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Samstag, 17. Januar 2015

Das Empfangszentrum in Pozzallo bleibt geschlossen. Und es folgt eine Razzia der Guardia di Finanza

Seit dem 7. Januar ist das Empfangszentrum in Pozzallo geschlossen und leer. Trotzdem erreichen uns immer wieder besorgniserregende Nachrichten. Am Morgen des 15. Januar besuchten Beamte der Guardia di Finanza (Zollpolizei) von Ragusa das Zentrum. Sie waren auf der Suche nach vielleicht nicht inventarisiertem Material, dessen Fund Anklagen wegen Unterschlagung und Betrug zur Folge hätten.
http://palermo.repubblica.it/cronaca/2015/01/16/news/immigrazione_blitz_della_finanza_nel_centro_di_pozzallo-105074155/
Die Resultate der Untersuchungen sind noch nicht bekannt, aber in den letzten Wochen, vor und nach der Schliessung, stand das Aufnahmezentrum im Mittelpunkt mancher Polemik.
http://www.corrierediragusa.it/articoli/cronache/pozzallo/29138-vestiario-ancora-sigillato-al-cpa-di-pozzallo-in-quantia-tale-da-poter-servire-3-paesi-ecco-da-dove-sono-partite-le-indagini.html
Tatsächlich waren Ende des Jahres Fotos im Umlauf, die Mitarbeiter des Zentrums gemacht hatten. Sie zeigten verrottete Matratzen und alarmierende hygienische Zustände des Aufnahmezentrums, das zu der Zeit mehr als hundert Migranten beherbergte, unter ihnen auch Minderjährige. Darauf folgten Aussagen einiger Flüchtlinge, die den Mangel an Kleidern und Wäsche, die rudimentäre oder fehlende medizinische Versorgung und die eisigen Temperaturen im Hangar anklagten.
http://www.corrierediragusa.it/articoli/attualit%C3%A0/pozzallo/29026-dopo-i-disservizi-veri-o-presunti-chiude-in-via-temporanea-il-centro-di-prima-accoglienza-del-porto-di-pozzallo-ora-vuoto.html
http://www.laspia.it/laffare-immigrazione-pozzallo-guadagni-capogiro-pelle-dei-profughi-foto-esclusive/.
Eine dramatische und potentiell explosive Situation. Einmal mehr verbleiben Jugendlichen - wie immer unter dem üblichen Vorwand des „Notstandes“ -  unter der üblichen Nichtbeachtung der gesetzlichen Bestimmungen - die eigentlich einen sofortigen Transfer der Jugendlichen vorsehen für mehr als eine Woche in einem dafür nicht geeigneten Erstaufnahmezentrum. 
Was alles noch erschwert ist Folgendes: die schon mehrere Jahre andauernde Debatte über die Höhe der Entschädigung in der Asylantenbetreuung und den aktuellen Vorschlag, diese  von 80 auf 35 Euro pro Tag zu reduzieren; dazu der ablaufende (noch bis zum 31. Januar verlängerte) Betreibervertrag mit der Kooperative „Luoghi Comuni“ und die Verzweiflung der Betreiber, die seit sechs Monaten keinen Lohn mehr bekommen haben. Einige von ihnen waren es, die diese untragbaren Bedingungen bekannt machten. Eine wichtige, während der letzten Monate nie gehörte, Zeugenaussage, die nicht nur auf diese Betreiber sondern auf die Organisation der Aufnahmebedingungen des vergangenen Jahres zutrifft. Es stellt sich die Frage warum vor einigen Monaten keiner der Betreiber daran gedacht hat, die Missstände öffentlich zu machen; zum Beispiel, dass 50 Minderjährige das Aufnahmezentrum in mehr als 10 Tagen nicht verlassen durften; oder dass im September im offiziell geschlossenen Zentrum (in Erwartung der Verlängerung des Betreibervertrages)  Jugendliche aus Ägypten untergebracht waren, für alle auch von der Straße aus sichtbar.   
Die Sorge um die Rechte der Migranten scheint nur aufzukommen, wenn eigene, sakrosankte Rechte nicht gewährt werden, wie zum Beispiel die Bezahlung der Löhne. Das schadet den Bestrebungen, eine Beziehung von gegenseitigem Vertrauen und Solidarität aufzubauen. Diese aber sind die Vorraussetzung für aktive Partizipation in einer besseren Gesellschaft.
Wird ein Zentrum geschlossen, erlischt die Aufmerksamkeit der Medien für das weitere Schicksal der transferierten Migranten. Wir wissen, dass die Minderjährigen ins Zentrum “Mediterranean Hope” in Scicli transferiert wurden. Sie waren in einem schlechtem Zustand, ohne genügend Wäsche und Kleider und ohne Vorstellung davon, was in Italien auf sie zukommt. Zum Glück haben sie im Zentrum „Mediterranean Hope“ ein gastfreundliches Umfeld vorgefunden, motivierte Mitarbeiter, die für das Lebensnotwendige sorgen, ihnen die Integration vor Ort ermöglichen und ihnen mit rechtlicher Unterstützung zur Seite stehen.
Unterdessen erreicht uns die Nachricht von der laufenden Untersuchung der Guardia di Finanza - und das im Klima der Hochspannung wegen der bereits laufenden Untersuchung der „Mafia Capitale“.
Fristverlängerungen, Aufschiebungen, Schließungen, Untersuchungen: die Medien bombardieren uns mit Skandalen und werfen das Licht auf die Ungeheuerlichkeiten der Vorkommnisse. So wird Angst geschürt und der dauernde Ausnahmezustand begründet. Die Schicksale der Migranten scheinen vergessen.


Lucia Borghi
Borderline Sicilia Onlus




Aus dem Italienischen von Susanne Privitera Tassé Tagne