siciliamigranti.blogspot.com ist ein italienischsprachiges Monitoringprojekt zur Situation der Flüchtlinge in Sizilien, dort finden Sie die Original-Berichte, hier finden Sie die deutschen Übersetzungen. Klicken Sie auf die auf die Namen der Schlagworte (keywords), wenn Sie bestimmte Themen suchen.

Freitag, 3. Oktober 2014

Rechte auf der Warteliste

Ca. 100 Personen leben wieder einmal in den spontan entstandenen Lagern in der Unterführung gegenüber der Regierungsaufnahmeeinrichtung des Stadtteils Pian del Lago. Die Schließung der Sportanlage Palacannizzaro in der Nähe des städtischen Stadiums im letzten März hat das Problem nicht gelöst. Sie hat aber das Problem nur weniger sichtbar für die Stadt werden lassen.
Es verbleibt bei der Aufteilung nach den Nationalitäten in diesen Lagern: Es gibt eines, in dem Pakistaner leben, mit 50 Personen die größte Gruppe, gefolgt von einem weiteren, in dem Afghanen mit ca. 20 Personen leben. Schließlich gibt es eines, in dem ungefähr 10 junge Gambier leben.

Sie haben selbst in jeder dieser Behausungen Zelte mit Matratzen, die sie gefunden haben, aufgestellt, die hygienisch-sanitären Bedingungen sind alarmierend und von Wasser, Elektrizität und Toiletten keine Spur.

Tatsächlich lebt eine große Anzahl von Personen unter extremen Bedingungen unter freiem Himmel, ihre Rechte scheinen auf eine Warteliste gesetzt worden zu sein. Und das scheint gerade für diejenigen zu gelten, die sich beim Amt für Migration beim Polizeipräsidium melden, um identifiziert zu werden und um den Asylantrag zu formalisieren. Viele erzählen uns, dass sie bei ihrer Ankunft lediglich ihre Vor- und Nachnamen auf einer informellen Listen hinterlassen konnten und seit diversen Wochen darauf warten, fotografisch erfasst zu werden und das C3-Formular (für die Asylantragstellung, Anm. der Redaktion) auszufüllen. Dem Warten auf den Zugang zum Verfahren folgt das Warten auf die Anerkennung des Rechts auf Aufnahme. So vergehen die Wochen bis man Zugang zu einer Einrichtung erhält.

Unter denen, die gezwungen sind, in diesen behelfsmäßigen Lagern zu leben, befinden sich auch Personen, die auf die Erneuerung der Aufenthaltserlaubnis warten. Einige von ihnen erzählen, dass sie die Arbeit in der Stadt, in der sie sich aufhielten, verloren haben. Sie waren zur Verlängerung ihrer Papiere nach Caltanissetta gefahren, was aber länger als mit ihren Arbeitgebern vereinbart gedauert habe.
Weiterhin gibt es hier auch Migranten, die die Anerkennung auf Schutz erhalten haben und auf die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis warten müssen. Auch in diesem Fall dauert es Monate. Schließlich gibt es diejenigen, die nach der Ablehnung des Asylantrags durch die Asylkommission nicht wissenß, wohin sie während des Klageverfahrens gehen sollen, oder diejenigen, die endlich im Besitz der Papiere sind, aber nicht wissen, wie es nun weitergehen sollen und somit immer noch in diesen Behausungen wohnen. 

In der Tat folgt der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis das Problem der Meldebescheinigung. In Caltanissetta scheint es einen bedeutenden Markt für gefälschte Meldebescheinigungen zu geben. Ein Phänomen, dass die Beratungsstelle für Migration (seit fast einem Jahrzehnt von vier ehrenamtlichen Helfern geführt) versucht, einzudämmen, indem der Sitz der Beratungsstelle nun als virtueller Wohnsitz in das Register für die Obdachlosen der Gemeinde von Caltanissetta eingetragen wurde. Die Widersprüche dieses Systems der Aufnahme und des Schutzes  sind zahlreich und alarmierend.
In dieser sowieso schon extremen Situation steht die der Gambianer im Vergleich zu den anderen jedoch noch deutlicher für ein kollabierendes Aufnahmesystem und für die Nichterteilung des Schutzes und des Respekts gegenüber der Wahrnehmung von Rechten. Tatsächlich befinden sich dort u.a. sechs junge Gambianer, die wir letzten Juni getroffen haben. Nachdem sie von einem Schiff der Mare Nostrum Operation gerettet wurden sind sie gemeinsam mit vierzehn weiteren Landsleuten bei ihrer Ankunft in das CIE (centro di identificazione ed espulsione- Identifizierungs- und Ausweisungzentrum) verbracht worden, da Plätze in der CARA (Centro di accoglienza per richiedenti asilo – Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber) nicht genügten.  Im Gegenzug für eine „Aufnahme“ in einer Einrichtung, in der es wie in einem Gefängnis zugeht (man ist als vollwertiger Gefängnisinsasse anzusehen und nicht als Aufgenommener), ist ihnen eine kürzere Wartezeit bis zur Anhörung vor der Kommission versprochen worden. Dies ist sodann tatsächlich geschehen. Da aber diesen sechs Asylsuchenden der internationale Schutz nicht gewährt wurde, haben sie das Recht auf Aufnahme verloren und befinden sich nun seit Monaten in den irregulären Lagern, während sie auf den Ausgang des Klageverfahrens vor Gericht warten.


Giovanna Vaccaro
Borderline Sicilia 

Aus dem Italienischen von Thanh Lan Nguyen-Gatti