siciliamigranti.blogspot.com ist ein italienischsprachiges Monitoringprojekt zur Situation der Flüchtlinge in Sizilien, dort finden Sie die Original-Berichte, hier finden Sie die deutschen Übersetzungen. Klicken Sie auf die auf die Namen der Schlagworte (keywords), wenn Sie bestimmte Themen suchen.

Donnerstag, 25. September 2014

Tagebuch auf Lampedusa[InFestival]: Kreieren heißt Widerstand leisten

'Porto M' auf Lampedusa
Eröffnung von „LampedusaInFestival“ im Museum ‚Porto M’

“Il ‘Porto M’ é un simbolo politico (‚Porto M’ ist ein politisches Symbol)”, betont der ASKAVUSA-Aktivist Giacomo Sferlazzo.

Seit Februar 2014 ist das Museum geöffnet und gibt seitdem verschiedenen Gegenständen, die das Kollektiv über drei Jahre aus Flüchtlingsbooten gesammelt und zusammengestellt hat, ein neues zu Hause. Dieser Ort der Stille, dieser Ort des stillen Gedenkens und der stillen Erinnerung ist zugleich der Startpunkt und der Beginn des Filmfestivals „LampedusaInFestival“.

Giacomo Sferlazzo bei der Eröffnung von "LampedusaInFestival"
Das Museum ‚Porto M’ (dt.: ‚Hafen M’) hat seinen Namen aus zweierlei Gründen: Zum einen trägt das Museum den Namen Porto/Hafen, weil der Hafen symbolisch für Ankunft, Aufeinandertreffen, Einreisen, Ausreisen, Fremdes/Neues und Vertrautes/Altes, Handel, Austausch und Reisen steht. In einen Hafen einlaufen verheißt die Erfüllung, oder stellt zumindest die Hoffnung der Erfüllung unserer Träume, dar. Der Hafen ist ein Symbol für das ‚Ankommen am Ziel’, dass sich in direkten Zusammenhang mit dem Thema ‚Migration’ lesen lässt. ‚M’ steht dabei für Vieles: Mediterraneo (Mittelmeer), Movimento (Bewegung), Migrazioni (Migration), Meraviglia (Verwunderung/Bewunderung), Monete (Geld), Munnizza (Verschmutzung/Müll), Merce (Handel), Miglia (See-)Meilen), Mare (Meer), Militarizzazione (Militarisierung), Mobilitazione (Mobilisierung), Mete (Ziele), Mondo (Welt), Mutamenti (Verwandlungen), Missione (Aufgaben) und Memoria (Erinnerung).



Wenn Giacomo Sferlazzo von der Ausstellung im Museum ‚Porto M’ spricht, betont er, dass dieses ein sehr wichtiges und persönliches Projekt ist, auch ein sehr emotionales, denn immerhin werde dort (nur exemplarisch) die private Habe der Migrant_innen ausgestellt, von denen zehntausende auf ihrem Weg nach Europa sterben mussten. Man habe sich ganz bewusst dagegen entschieden, den Gegenständen eine Beschreibung hinzuzufügen. Die Gegenstände seien ohnehin mit einer ganz besonderen ‚Energie’ aufgeladen. Außerdem werden Gegenstände so oder so direkt vom Betrachter mit einer Bedeutung bedacht. Gegenstände könnten niemals objektiv betrachtet werden, sondern sind immer abhängig vom subjektiven Auge des Betrachters. So werde auch den Besucher_innen des Museums ‚Porto M’ die Gelegenheit gegeben den dort ausgestellten Stücken einen ganz persönlichen Inhalt, eine ganz persönliche Geschichte zu geben.


Wichtig ist den Initiator_innen des Festivals „LampedusaInFestival“, die zugleich die Kurator_innen der Ausstellung im ‚Porto M’ sind, dass die Gegenstände im ‚Hafen M’ durch die Ausstellung eine möglichst breite Öffentlichkeit erreichen. Die Ausstellungsstücke des ‚Porto M’ erzählen viele Geschichten und eine Geschichte ganz besonders: Sie erzählen von den persönlichen Hoffnungen und Wünschen der Menschen, denen sie einmal gehört haben. Sie erzählen von Mut und Angst. Träumen und Befürchtungen. Sie gehören zur persönlichen Lebensgeschichte der ehemaligen Besitzer_innen einerseits und sind Teil der (großen) Migrationsgeschichte der Menschheit andererseits. Sie erzählen von Militarisierung, von Abschottung und Krieg. Sie erzählen von Kolonialisierung und dem noch immer vorherrschenden weißen, westlichen Imperialismus.



‚Porto M’ als bedeutungsvoller Raum und politisches Symbol bietet den Besucher_innen des Filmfestivals „LampedusaInFestival“ über sechs Tage die Gelegenheit, sich Zeit zu nehmen und lädt dazu ein sich Zeit zu nehmen, sich Gedanken zu machen, den Objekten genau zuzuhören und sich eine ihrer möglichen Geschichten vor Augen zu führen. Darüber hinaus wird die Ausstellung im ‚Porto M’, auch nach dem Festival, allen kommenden interessierten Besucher_innen der Insel Lampedusa offen stehen.



Eröffnungsfeier an der Porta d’Europa



„Io non ho paura“, singt der  Künstler und ASKAVUSA-Aktivist Giacomo Sferlazzo zum Auftakt von „LampedusaInFestival“. Ich habe keine Angst. Und weiter:

“Siamo la stessa polvere che vaga nell’universo in attesa d’amore.”

(Wir sind derselbe Staub im Universum in der Erwartung der Liebe.)

“Respiriamo la stessa aria lo stesso gas lo stesso profumo.”

(Wir atmen die gleiche Luft, das gleiche Gas, den gleichen Geruch.)

“Combattiamo lo stesso sistema che in nome dei soldi è pronto a qualsiasi tortura.”

(Wir bekämpfen das gleiche System, das im Namen des Geldes zu jeder Schandtat bereit ist.)



Porta d'Europa 2014
Wie letztes Jahr wird die sechste Edition von „LampedusaInFestival“ auch 2014 feierlich an der Porta d’Europa, dem Tor zu Europa, eröffnet. Veranstalter_innen und Besucher_innen des Festes versammeln sich an diesem Ort, der ebenfalls politisches Symbol für die Immigration nach Europa ist. Offiziell heißt es die Porta di Lampedusa, das Tor zu Lampedusa, aber da Lampedusa das Tor zu Europa ist, ist auch die Porta, die Porta d’Europa.



Giacomo Sferlazzo eröffnet die sechste Edition mit einem kurzen Konzert, gefolgt von weiteren Musiker_innen, die eine Jamsession anschließen. Darauf folgt die französische Theatergruppe „Senza“ aus Paris. Sie bringen mit ihrer Performance nochmals auf den Punkt, warum Lampedusa, als Raum und als Symbol, der Ort ist für ein Festival, wie dieses ist.


„Es kursiert der Mythos, das Lampedusa sich einst vom afrikanischen Kontinent abspaltete“,
Theatergruppe "Senza"
beginnt der Erzähler des Stückes. Gefolgt von einer Odyssey zwischen Flucht und Alltagsleben auf der Insel, zwischen Alltagswahn um lampedusanische Feiertage, Tourismus und das Leben im Flüchtlingslager auf Lampedusa, das seit dem 3. Oktober 2013 geschlossen ist. Hier betonen die Schaupieler_innen mithilfe ihres Stückes noch mal das Paradoxe, nämlich, dass das Alltagsleben der Lampedusaner_innen so nah und doch so fern von dem Alltagsleben der Geflüchteten stattfindet. Der ganz „normale“ Alltagswahnsinn der Einen, fern ab vom dauerhaften Ausnahmezustand der „Anderen“. Am Ende werden Namen und Todesdaten von Menschen vorgetragen, die auf dem Weg nach Europa sterben mussten. Hervorgehoben wird weiter, dass das Thema Migration kein Italienisches oder das eines Landes ist, sondern Thema aller Menschen und in der Verantwortung aller Politiker_innen, in diesem Fall in der Verantwortung aller Europäer_innen, vor allem der europäischen Politiker_innen liegt. Wer wegsieht macht sich dem Tot von Tausenden mitverantwortlich. 

Rückblick: Der 3. Oktober 2013 auf Lampedusa
Der erste Tag endet mit einer bedrückend und beeindruckenden Dokumentation über den Tag des 3. Oktober 2013 auf der Insel Lampedusa, von Antonino Maggiore. Er berichtet von den Retter_innen dieses Unglückstages. Den wahren Held_innen, nämlich den Bewohner_innen und Fischer_innen der Insel, welche an jenem Morgen des dritten Oktobers die Unglücksstelle zuerst erreichten und damit über 150 Menschen das Leben retten konnten, während die Küstenwache erst Stunden später den Ort der Tragödie erreichte und damit auch Schuld am von mindestens 366 Menschen trägt. Die Aktivist_innen und Helfer_innen, die in der Dokumentation zu Wort kommen klagen die Europäische Union an, klagen die Politiker_innen an, die viel reden und viel davon sprechen, dass sich etwas verändern muss, aber bis dato auf europäischer Ebene immer noch kein Handeln erkennen lassen.


Etwa 300 Menschen waren heute dabei und haben an „LampedusaInFestival“ partizipiert. Kreieren heißt Widerstand leisten. Das hat ASKAVUSA mit dem Auftakt zu „LampedusaInFestival“ heute wieder einmal eindrucksvoll bewiesen. 

Text und Fotos: Alexa Magsaam, borderline-europe