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Dienstag, 12. August 2014

Palermo: Außerordentliche Aufnahme-Zentren (CAS) und die Caritas

Mit wirksamen und gut organisierten Tätigkeiten stellt die Caritas ihre Erfahrung in der Betreuung von Bedürftigen unter Beweis und wirkt somit den Mängeln des italienischen Aufnahme-Systems entgegen. Sich auf die Güte der Caritas und der Freiwilligen zu berufen, wie es Italien deutlich erkennbar tut, ist zwar inzwischen italienische Tradition, dennoch nicht genug. Die gegenwärtige chronische Situation als 'Ausnahmezustand' zu definieren, ermöglicht es dem Staat Verpflichtungen an andere zu delegieren anstatt strukturelle Entscheidungen zu treffen.
Personen, welche die lange Reise nach Europa auf sich genommen haben, haben nicht nur Bedarf nach einem Dach über dem Kopf und einer Mahlzeit, sondern auch nach Informationen bezüglich Aufenthaltsgenehmigungen und Asylanträgen. Don Sergio, Priester und Caritas Direktor deutet jedoch an, dass die Ahnungslosigkeit der Migranten meist lang andauert. Die Tatsache, dass mich die Bewohner von San Carlo, mehr als ein Monat nach ihrer Ankunft, mit Fragen über ihre Rechte, Modalitäten und Arbeitsmöglichkeiten überfluten, nachdem sie mein Interesse und meine Französischkenntnisse erkannt haben, unterstreicht die von Don Sergio genannte Unwissenheit. „Was bringt die Anerkennung als Flüchtling mit sich? Weshalb warten wir auf die Anhörung vor der Territorialkommission? Was nützt uns das?“ Die präzisen Fragen der Migranten lassen Zweifel über die Qualität der Kommunikation zwischen Mitarbeiter und Gäste des Zentrums aufkommen. Eine Kommunikation, die auch deshalb nicht funktioniert, da einige Mitarbeiter keine Fremdsprachen sprechen. Ich äußere meine Zweifel an einer gut funktionierenden Kommunikation gegenüber einem der Mitarbeiter, welcher fließend Französisch spricht. Dieser entgegnet, dass die Migranten lernen müssen ihre Bedürfnisse genau auszudrücken, da es nicht möglich sei ihnen ihre Rechte so im Allgemeinen zu erklären. Diese Antwort zeichnet die Grenzen der Bemühungen der außerordentlichen Aufnahme der Caritas auf: Ihr Auftrag ist es Migranten Aufnahme anzubieten.

Eine weitere Schwierigkeit, welche sich gezeigt hat, ist die Unmöglichkeit  einen Italienischkurs für alle zu organisieren.  Die Migranten, die im Punto Incontro Giovani (PIG) untergebracht sind und welche die Italienischkurse im Astalli-Zentrum nicht besuchen können, haben den Wunsch geäußert Italienisch zu lernen: als sie mich mit Heft und Stift gesehen haben, haben sie mich gebeten  Zahlen nieder zu schreiben, buongiorno, come ti chiami? (Wie heißt du?) und parli inglese? (Sprichst du Englisch) etc.
Im Gespräch mit einem jungen Mann, der im PIG arbeitet, wird deutlich wie es zu solchen Mängeln kommen kann: dem Zentrum stehen 30 Euro pro Person und Tag zu, wird die maximale Auslastung jedoch überschritten und es werden mehr Personen in der Einrichtung aufgenommen, sinkt der Tagessatz auf etwa 10 Euro. Diese Situation wird, nicht ohne Grund, 'Notstandsdiät' genannt. Trotzdem wird versucht, so wird mir berichtet, einen Lehrer für den Italienischunterricht ins Zentrum zu holen. Auch an dieser Stelle wird deutlich, dass die Caritas nicht taub ist gegenüber den Bedürfnissen der Migranten sondern, dass sie Unterstützung für ihre Arbeit benötigt.

Noch immer im Gespräch mit einem Mitarbeiter taucht das Problem der Vergaben und Verlegungen in andere Zentren auf. Die Zuweisung neu angekommener Migranten erfolgt glücklicherweise meist nach Nationalität aber das ist nicht immer so. Der einzige Pakistaner der ins San Carlo geschickt wurde, kommt häufig ins PIG, um andere Pakistaner zu treffen. Da er weder Englisch noch Französisch spricht, kann er sich mit den Afrikanern im San Carlo nicht verständigen. Die Präfektur teilt Entscheidungen über Verlegungen vier bis fünf Tage vor der Durchführung mit. Das einzige soziale Netz, das sich Migranten im Laufe von Monaten in den Zentren aufbauen, ist das zu ihren Landsleuten, denn wenn sie die Zentren auch tagsüber verlassen könnten, die Sprachbarriere und das Fehlen einer sozialen und kulturellen Mediation reduziert die Interaktion mit der lokalen Wirklichkeit. Die Entscheidungen von 'Oben' mögen zwar technische Details miteinbeziehen, wahrscheinlich aber keine menschlichen Begebenheiten. Ganz zu Schwiegen von Verlegungen außerhalb der Stadt. Ich war Zeuge eines Gesprächs zwischen einem jungen Nigerianer, welcher nach Partinico (Provinz von Palermo) verlegt wurde und einer Mitarbeiterin des außerordentlichen Aufnahme-Zentrums San Carlo. Der Migrant versuchte die Mitarbeiterin zu überreden, ihm die Rückkehr ins San Carlo zu erlauben. Wie mir die Mitarbeiterin darauf erklärt, sei es schon öfters vorgekommen, dass Migranten nachdem sie nach Partinico verlegt wurden, versucht haben zurückzukehren. Eine Gruppe musste sogar für eine Nacht im San Carlo untergebracht werden bevor sie am nächsten Tag wieder weggebracht wurden. Doch angesichts der andauernden und zahlreichen Neuankünfte ist es nicht möglich neue Personen aufzunehmen ohne andere zu verlegen. Die Schwerfälligkeit des bürokratischen Prozedere führt dazu, dass Migranten ein Zentrum verlassen, um im nächsten aufgenommen zu werden, ohne in der Zwischenzeit eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen zu haben. Das System der außerordentlichen Aufnahme-Zentren ähnelt eher einem Tetris als einem durchdachten Vorgang.

Carlotta Giordano
Borderline Sicilia

Aus dem Italienischen von Elisa Tappeiner