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Mittwoch, 30. Juli 2014

Von Città Giardino nach Europa

Seitdem das Aufnahmezentren in Città Giardino (in der Provinz von Syrakus) im vergangenen April eröffnet hat, hat es sich darum gekümmert, Familien und Frauen vor allem aus Syrien, Eritrea und Nigeria aufzunehmen. In diesen Tagen sind ungefähr 200 Gäste hier untergebracht. Eine der Mitarbeiterinnen des Zentrums erzählt mir, dass hier in letzter Zeit nicht nur Frauen oder Familien mit Kindern aufgenommen wurden, sondern auch Geschwister und Menschen mit enger, familiärer Beziehung.
Das Problem ist wie immer, dass die Fehlentwicklungen und die Lücken im Gesetz, von verschiedenen Schleppern und Profiteuren benutzt werden, die skrupellos um jeden Preis Geschäfte auf Kosten der Flüchtlinge organisieren. Und dies geschieht öffentlich, ersichtlich für alle und zeigt die Unanwendbarkeit einer Richtlinie wie die der Dublin-Verordnung.
Womöglich wäre es sinnvoll sich darauf zu konzentrieren den Flüchtlingen mehr Informationen verschiedener Art zu geben und das direkt nach ihrer Ankunft.
Ich komme gegen ein Uhr nachmittags im Zentrum an. Die Einrichtung ist groß und neu. Einige Leute sitzen im Hof und sprechen miteinander und mehrere Kinder springen, spielen und fahren Fahrrad. Am Eingang überwachen zwei Männer vom Zoll die Situation und kommen auf mich zu.  Mir wird gesagt, ich solle später wieder kommen, weil alle Mitarbeiter zur Zeit beschäftigt sind und mich nicht empfangen können.

Ich setze mich in eine Bar gegenüber der Einrichtung, wo ein paar Jungs auf der Terrasse sitzen, essen und miteinander sprechen. Sie kommen aus Eritrea und sind am Samstag auf einem Boot mit etwa 800 Personen im Hafen von Augusta gekommen. In ihren Taschen haben sie bereits Bus-Tickets und werden am Nachmittag nach Rom fahren. "Wir haben uns geweigert, unsere Fingerabdrücke auf dem Marineschiff abzugeben“, berichten sie, "wir haben Freunde und Familie in anderen europäischen Ländern. Wir wissen noch nicht genau, wohin wir gehen, aber wir wissen, dass wir nicht in Italien bleiben wollen. Hier dauert es sehr lange, seine Dokumente zu bekommen und hier haben wir nichts".
Sie erzählen mir, dass das Zentrum in einem sehr gutem Zustand ist: sauber und geräumig. Sie haben eine gute Aufnahme erhalten und sehen erholt aus. Sie erzählen mir aber auch, dass Ihnen keine Informationen über die Möglichkeit Asyl zu beantragen gegeben wurden. Oder wie sich die sich in der Umgebung bewegen können und wie lange sie auf ihre Dokumente warten müssen. Deswegen haben sie sich selbst organisiert. Es war jedoch nicht einfach, ein Busticket in so einer kurzen Zeit zu bekommen. Durch eine Bekanntschaft und nach mehreren Versuchen konnte sie Kontakt zu einer Person herstellen, die ihnen helfen wollte: diese hat ihnen Informationen dazu gegeben, wie sie sich fortbewegen können, welchen Bus sie nehmen sollten und bis wohin sie fahren sollten. "Diejenigen, die diese Informationen nicht erhalten, müssen viel Geld zahlen, um die verschiedenen Ziele in Norditalien mit dem Auto zu erreichen", sagen sie mir. "Es gibt Menschen, die außerhalb des Zentrums warten und anbieten sie für für 150 Euro nach Rom und für 200 Euro nach Mailand zu bringen.“
Sie fragen mich um Rat, wo sie in Rom hingehen können und wie sie von dort in anderen europäischen Länder kommen können; sie sprechen davon nach England und Finnland zu reisen, aber sie haben keine Idee wie das anstellen sollen. In kurzer Zeit haben sie organisiert, dass sie Sizilien und das Aufnahmezentrum verlassen können, aber was den Rest der Reise angeht haben sie nur sehr ungenaue Vorstellungen.
Sie fühlen sich trotzdem sehr erleichtert, in Italien zu sein, das Schlimmste ist vorbei. Jeder hat rund 3.400 US Dollar bezahlt, um über das Meer von Libyen nach Italien zu fliehen. Aber sie erzählen mir, dass die Person, die das Geld erhält nicht mit auf das Boot steigt. „In der Realität“, sagen sie mir „zeigt jemand ein paar Personen, die die Überfahrt unternehmen wollen und die dafür auch schon bezahlt haben, wie man das Boot navigiert. Sie geben ihnen einen Kompass und ein GPS und das war’s. Die Überfahrt ist extrem gefährlich, weil die Person, die das Boot navigiert, nicht recht weiß er macht noch wo er hinfahren muss.“
Nach diesen Informationen denke ich daran, wie in den Medien die Festnahme von Schmugglern besonders betont wird. Diese Jungs sind nicht die Ersten, die mir erzählen, dass in der Realität die Boote von einem der Flüchtlinge selbst gesteuert werden, der ein bisschen was davon versteht und ein paar Erfahrungen hat und das derjenige, der die Reise organisiert, auf der andere Seite des Meeres bleibt.

Die Mitarbeiterin, mit der ich am Nachmittag spreche, sagt mir, dass sich das Zentrum kontinuierlich leert und wieder füllt:  "Die Mehrheit der Personen bleiben hier nicht länger als 24 Stunden ", sagte sie "Sie kommen, duschen, wechseln ihre Kleidung, ruhen sich aus, organisieren sich und fahren dann weiter.“
Jeder weiß, wie hier das Netzwerk rund um das Zentrum funktioniert: Taxi-und Privatautos warten auf ihre Gäste draußen vor dem Tor, die Flüchtlinge bezahlen und verlassen das Zentrum. "Alle, die es sich leisten können, verlassen das Zentrum  so schnell wie möglich", bestätigt die selbe Mitarbeiterin. In diesem Aufnahmezentrum, in dem ungefähr 200 Menschen untergebracht wurden (einige davon sind gerade zu dem Zeitpunkt meines Besuchs angekommen), sind nur wenige Familien, sie sich nicht vom Zentrum entfernt haben und die schon seit mehreren Monaten hier leben. Diese haben das Asylverfahren begonnen und werden bald in ein SPRAR-Zentrum transferiert. Unterdessen scheint der Betreiber "Eriches 29", der viele weitere Zentren der gleichen Art in Italien führt, sehr aufmerksam auf die Bedürfnisse der Bewohner zu achten. Unter anderem werden bereits Kochkurse für Frauen und Italienisch-Unterricht für Kinder angeboten.
"Natürlich versuchen wir nicht, jene die weggehen wollen, aufzuhalten“ erklärt sie, "auch werden die Fingerabdrücke mittlerweile nicht mehr auf den Marineschiffen und nicht mal bei der Ankunft in Aufnahmezentren abgenommen."
Es gibt auch diejenigen, die es sich nicht leisten können wegezufahren. Sie warten dann jeden Tag erneut Informationen über ihre Rechte zu bekommen oder registriert zu werden, damit sie Asyl beantragen können. So auch in dem Fall eines nigerianischen Mannes, den ich außerhalb des Zentrums treffe. Vor 10 Tagen kam er mit seiner Frau und es wurden noch immer nicht seine Fingerabdrücke abgenommen. Vor allem wurde er nicht über seine Rechte als Asylbewerber informiert.

Aus dem Italienischen von Ollga Mato