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Mittwoch, 7. Mai 2014

Auch ich möchte davon laufen

Der gestrige Tag war von x Ankünften auf Sizilien, besonders in Trapani, gekennzeichnet. Die
Migranten, sie stammen ursprünglich aus Syrien, Palästina und Subsahara Afrika, wurden 35 Meilen vor der libyschen Küste vom Militärschiff Aliseo „eingesammelt“.  Auf dem Holzkahn befanden sich 887 Personen. Zu Beginn der Rettungsaktion wurden sie alle auf die Aliseo gebracht. Später wurden 343 der Flüchtlinge, aufgrund der hohen Anzahl von Personen, in einer zweiten Aktion auf das Handelsschiff Asso Trenta verlegt. Dabei wurden die 343 Männer von etwa 20 Soldaten des Bataillon San Marco eskortiert.
Der hygienisch-sanitäre Zustand auf dem Handelsschiff, das normalerweise zehn Mann Besatzung an Bord hat, war so fürchterlich, dass einige der Matrosen die Vermutung äußerten, dass es in einem libyschen Gefängnis wahrscheinlich besser sei.
Auch auf der Aliseo war die Lage katastrophal. Das Marineschiff verfügt weder über Toiletten noch Möglichkeiten zum Ausruhen. Die Migranten, darunter viele Familien mit Kindern und schwangeren Frauen, mussten 48 Stunden auf dem Deck ausharren und die Kälte der Nacht sowie die brennende Sonne des Tages ertragen. Zwar haben die Soldaten zwei Toiletten mit Sichtschutz installiert, jedoch war diese Lösung nicht ausreichend. Könnte man nicht darüber nachdenken irgendwo auf diesen Schiffen chemische Toiletten aufzustellen? Oder sich anderer Mittel bedienen? Könnten nicht einige Räumlichkeiten dieser Schiffe jenen Personen zu Verfügung gestellt werde, die gerettet werden? Wie immer gibt es viele Fragen, wie immer fehlen die Antworten! Die Empfangsmaschinerie hat zumindest bei der Ankunft in Trapani relativ gut funktioniert.

Die Mitarbeiter des Projekts Praesidium sowie die freiwilligen Helfer des Zivilschutz waren aufmerksam auf die Bedürfnisse der Migranten, die langsam die Schiffe verließen. Schwangere Frauen, circa ein Dutzend, und Familien mit vielen Kindern, vorwiegend Syrer, die Presse sprach von 191, konnten als erste von Bord. Viele Migranten wurden vom medizinischen Personal direkt an der Hafenmole Ronciglio erstversorgt und für weitere Untersuchungen ins Krankenhaus gebracht. Natürlich waren die Ordnungskräfte und der Präfekt von Trapani vor Ort, auch die Frontex Mitarbeiter fehlten nicht, die wie immer in diesen Stresssituationen nach Informationen über mutmaßliche „Schleuser“ fragen. Einige der Ankömmlinge wurden sofort fotografisch festgehalten und sie mussten ihre Fingerabdrücke abgeben. Die übrigen der 887 Migranten bekamen, nach einem ersten medizinischen Check, einen „Korb“ mit Speisen und Wasser und wer keine mehr hatte, bekam Turnschuhe.

Welches Schicksal erwartete sie jedoch nach der Ankunft?
Es war eine gute Entscheidung der Präfektur, die Migranten auf verschiedene Strukturen in der Region Trapani aufzuteilen: 150 Personen, Familiengruppen, wurden nach Castellammare del Golfo gebracht, 100 in eine neue, eigens geöffnete Einrichtung und weitere 50 in eine bereits existierende. 119 kamen nach Marsala,  35 nach Mazara, 72 nach Castelvetrano und 100 ins Aufnahme-Zentrum für Asylantragssteller (CARA) in Salinagrande. Zudem war es geplant weitere 200 Personen nach Palermo und Mineo zu bringen. Die restlichen 200 Migranten sollten per Luftbrücke nach Norditalien, genauer in Zentren der Region Piemonte und Latium, geflogen werden.
Irgendwann jedoch kommt die Wahrheit immer ans Licht und das bereits zusammenbrechende System in Trapani hat mit seinen Notlösungen einzig Misswirtschaft und Unbequemlichkeiten noch weiter verbreitet.

In Castellammare: nach 16 stündiger Ausschiffungs-Prozedur erreichten die Migranten das Zentrum um 23 Uhr. Da die Bewohner auf Grund von Platzmangel in Frauen mit Kindern und Männer unterteilt wurden, haben Familien gleich zu protestieren begonnen und sind in Hungerstreik getreten. Selbst die Kinder haben bis heute Mittag nichts gegessen und der Protest geht weiter auch wegen der Struktur selbst. Es handelt sich dabei um den ehemaligen Agriturismo 'Sicilia Uno', welcher jetzt zum außerordentlichen Aufnahme-Zentrum und gleichzeitig zum Schutzprogramm für Asylantragssteller und Flüchtlinge umfunktioniert wurde. Das Zentrum wird von zwei Genossenschaften geleitet, zwischen denen es Konflikte gibt.
Zu anderen 100 Migranten, alles Familien, war das Schicksal noch höhnischer. Sie wurden nämlich in ein Zentrum gebracht, welches auf nur 50 Migranten, und dies bereits unter enormen Beschränkungen, vorbereitet war. Ein anderes Zentrum welches ausschließlich Frauen und Minderjährige erwartete, wurde von einem Bus mit nur männlichen Migranten überrascht. Sicher ist, dass jene Migranten die in Palermo erwartet wurden, dort nicht ankamen.
Um in der Region Trapani zu bleiben, ins Aufnahme-Zentrum für Asylsuchende (CARA) wurden 100 Personen gebracht, mit den bereits anwesenden 250 wurde das Aufnahmelimit der Struktur erneut überschritten. Die Turnhalle ist übervoll, eine seit vier Monaten defekte Wasserbeheizungsanlage, für dessen Reparatur die Präfektur noch immer nicht das OK gegeben hat, gehört zu den weiteren Unannehmlichkeiten in einer Einrichtung, welche bereits zuvor zu ‚kollabieren‘ begann. In den übrigen außerordentlichen Aufnahme-Zentren münden die Proteste zwecks der langen Aufenthalte in Wut und Verkehrsblockaden in Orten, in denen sich die Zentren befinden. Fehlende Klarheit von Seiten der Leitung der Zentren verursacht außerdem schlechte Stimmung und ständige Fluchten.

Doch auch wir würden flüchten, würden wir in dieser höllischen Notstandsmaschinerie feststeckten, in der, wer heute in Italien ankommt vermutlich im Sommer 2015, sprich in einem Jahr, bei der   Territorialkommission angehört wird!
Zu guter Letzt, das Identifikations- und Abschiebezentrum von Milo: Nachdem das Rote Kreuz seit dem 1. April die Leitung übernommen hat, ist die Situation vor Ort ruhig. Das Rote Kreuz arbeitet somit in doppelter Funktion einmal bei der Aufnahme am Hafen, gleich nach der Ankunft, und später im Zentrum. Es wird letzteres jedoch nur solange übernehmen, bis eine neue Leitung gefunden wurde, an der betreffenden Ausschreibung nimmt das Rote Kreuz nicht teil. In Milo sind zur Zeit 50 Personen untergebracht. Drei Abteilungen sind geschlossen und man wartet auf den Beginn der Renovierungsarbeiten. Das Personal hat die Reduzierung der Arbeitszeit auf 30 Wochenstunden akzeptiert, wartet jedoch noch immer auf die Auszahlung der Löhne Februar März, für welche der vorige Arbeitgeber Oasi aufkommen muss.
Das ist leider der verrückte Zug des Notstands, der keine Rücksicht kennt, auch nicht gegenüber einer schwangeren Frau oder einem neugeborenem Kind. Erneut stehen wir den verweigerten Rechten wehrlos gegenüber.
Migranten wollen nicht in Italien bleiben, wir können sie verstehen!

Alberto Biondo
Borderline Sicilia
Aus dem Italienischen von Elisa Tappeiner