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Donnerstag, 28. November 2013

Caltanissetta: Ärzte ohne Grenzen intervenieren in den Feldlagern von Pian del Lago

In diesen Tagen haben wir viel Zeit mit den Menschen verbracht, die in den Feldlagern von Caltanissetta leben, und wir hatten die Möglichkeit, sie besser kennenzulernen. Wie haben ungefähr 160 Personen gezählt; alle Männer stammen aus Pakistan, Bangladesch, Afghanistan. Das Durchschnittsalter liegt bei dreißig Jahren, aber es gibt einige kaum volljährige Jugendliche und einige erwachsene Männer über 50 Jahre.

Um die Würde dieser Personen ist es so bestellt, dass sie sich immer noch im Freien waschen müssen und eine Lungenentzündung riskieren. Sie waschen weiterhin ihre Kleider, auch wenn das Aufhängen und Trocknen wegen des häufigen Regens und der Kälte, die jetzt keine Atempause mehr lassen, zum Problem geworden ist. 
 
Am Samstagvormittag haben wir das Team von „Ärzte ohne Grenzen“ in das Feldlager begleitet, das sich vor dem Stadion von Caltanissetta befindet. Außer der herzlichen und respektvollen Begrüßung, die sie ihnen bereitet haben, haben sich viele Jugendliche spontan in Bewegung gesetzt, um ihnen beim Aufbau der Zelte zu helfen und zu kochen. Ein Willkommen, das auch wir gut kennen; und in diesem Zusammenhang fragen wir uns, wer diejenigen waren, von denen die Journalistin von RAI Parlamento in ihrer Dokumentation spricht, die sie kürzlich über das staatliche Lager von Pian del Lago gemacht haben und die auch den Besuch in diesem Feldlager einschließt. Tatsächlich wird an einem bestimmten Punkt der Dokumentation erzählt, dass das Fernsehteam von Personen umzingelt worden ist, die Geld verlangt haben, in einer so beunruhigenden Situation, die das Fernsehteam dazu gedrängt hat, nach draußen wegzulaufen. Seit circa zwei Monaten gehe ich jetzt mehr oder weniger wöchentlich in die verschiedenen Feldlager und meistens bin ich nur mit ein oder zwei Freiwilligen hinein gegangen, die mich im Auto begleitet haben. (Darum ist es gut, immer wieder zu erwähnen, dass dieses Gebiet ungefähr 5 Kilometer vom Zentrum entfernt liegt und von keinem öffentlichen Verkehrsmittel bedient wird.) Es ist nie vorgekommen, dass einige der Personen, die dort wohnen, uns bedrohend umzingelt und Geld von uns verlangt hätten, und niemals haben wir irgendein Gefühl von Gefahr verspürt. Ich frage mich daher, was an dem Tag passiert ist, als „das Fernsehen“ ankam, weil, was unsere Erfahrung betrifft, der Dienst von RAI Parlamento von einer Situation und von Personen spricht, denen wir in keinem der drei Feldlager begegnet sind, die wir regelmäßig besuchen. Im Gegenteil, obwohl diese Personen unter unmenschlichen Bedingungen leben, haben sie uns immer mit Höflichkeit, Respekt und Zurückhaltung begrüßt, und sie haben sich immer bereit gezeigt, uns einen Tee anzubieten oder ihr Essen mit uns zuteilen… So, wie sie es dieses Wochenende mit dem Team von „Ärzte ohne Grenzen“ gemacht haben. 
 
Die Arbeit von „Ärzte ohne Grenzen“ ging das ganze Wochenende ununterbrochen voran, um all jenen, die sich der Untersuchung unterzogen haben (ca. 92 Personen), die allgemeine Reihenuntersuchung sicher zu stellen. Im Hinblick auf die nahe Eingliederung dieser Personen in Einrichtungen, die kürzlich von der Präfektur ermittelt wurden, wird sich dieses Screening als noch wertvoller erweisen, weil es wahrscheinlich ist, dass Monate vergehen werden, bevor die Lager, die für die Aufnahme behelfsmäßig hergerichtet wurden, in der Lage sein werden, die Untersuchung für alle Gäste zu gewährleisten. „Ärzte ohne Grenzen“ hat darüber hinaus jeder untersuchten Person eine Karte überlassen, auf der die festgestellten Krankheiten festgehalten sind: Dies wird die unverzügliche Aufnahme der Verantwortung seitens der Lagerverwalter erleichtern und die angemessene gesundheitliche Versorgung für denjenigen, der besondere Krankheiten aufweist, sicherstellen. Ferner war es im Verlauf des Screening möglich, sieben besonders problematische Fälle zu identifizieren, die dank der Zusammenarbeit vonseiten der Präfektur schon am nächsten Tag in angemessenen Einrichtungen untergebracht wurden.

Die Präfektur ist in diesen Tagen weiterhin dabei, die Vereinbarungen mit den Verwaltern der verschiedenen Lager zu unterzeichnen, die Verfügbarkeit signalisiert haben, und man hofft, dass im Verlauf der nächsten zwei bis drei Wochen alle Personen, die im Augenblick draußen leben, eine Unterkunft finden.

Es kann nicht sein, dass es so ist!!! Diese Situation ist nicht akzeptabel, darüber hinaus ist sie jetzt unerträglich geworden. Nachts können diese Menschen wegen der Kälte nicht mehr schlafen. In dem kleinsten der Lager, das nur aus einem Zelt besteht, in dem 11 Personen afghanischer und pakistanischer Nationalität leben, halten sie das Feuer in einem Kohlebecken am Brennen, um sich zu wärmen. Es ist äußerst gefährlich, aber sie sagen mir, dass dies die einzige Möglichkeit sei, dem Risiko zu entgehen, durch Erfrieren zu sterben… Darum machen sie nur von der Vorsichtsmaßnahme Gebrauch, das Feuer vor dem Einschlafen zu löschen. Dies ist die beschränkte Situation, in der diese Personen gezwungen sind für Monate zu leben… nur damit sie sehen können, dass ihr Recht, Schutz zu beantragen, anerkannt wird. 
 
Im Allgemeinen ist der Gesundheitszustand dieser Personen ausreichend, aber sowohl physisch wie auch psychisch stark von diesem erschöpfenden Aufenthalt im Feldlager gezeichnet. Nur für zwei der untersuchten Personen war es notwendig, den Krankenwagen zu rufen, um Abklärungen machen zu können, aber sie wurden dann am nächsten Tag mit einer letztlich unbedeutenden Diagnose entlassen. Vergangenen Freitag mussten auch wir die Ambulanz wegen eines Jugendlichen rufen, der einen um sich selbst total verdrehten Arm hatte und der, vielleicht wegen der Schmerzen, auch Fieber hatte.
Montagmorgen haben wir die Delegation von „Ärzte ohne Grenzen“ in das Lager von Pian del Lago begleitet, um die Identifikation von 2 der sieben schwereren Fälle, die noch auf der Liste für die Fotoerkennung stehen, zu erleichtern und um den Zugang aller zu erleichtern. Draußen vor dem Immigrationsbüro des Lagers Pian del Lago (das um 10:20 noch geschlossen war, obwohl es um 9:00 öffnen sollte) warteten fast alle Männer aus den 3 Feldlagern, welche wie jeden Montag, Mittwoch und Freitag da draußen waren und warteten, um in die Liste eingetragen oder fotografiert zu werden und vor allem, in das Aufnahmelager hineinzukommen.

Der Einzug der von „Ärzte ohne Grenzen“ angezeigten 7 Personen wurde von dem Großteil der Anwesenden gar nicht gut aufgenommen, die das als Ungerechtigkeit erlebten. Trotz unserer Anstrengungen und der der Migranten selbst, die mit uns ihren Landsleuten den Grund dieses Zutritts erklärten, waren viele von ihnen dagegen. Sie sind schon zu aufgebracht, um wem auch immer zu vertrauen und um zu verstehen, dass es jemanden gibt, dem es schlechter gehen kann als ihnen, weil es unter den Bedingungen, unter denen sie leben, unmöglich scheint, dass es jemandem schlechter gehen kann. Die Angst, den Winter über im Zeltlager verbringen zu müssen, ist zu groß; folglich haben sie, obwohl wir ihnen auch von dem Bescheid von der bevorstehenden Unterbringung in kürzlich bestimmte Einrichtungen berichtet haben, beschlossen, auf jeden Fall zu protestieren und friedlich den Eingang zum Lager blockiert. Bis schließlich ein Polizist herauskam, um die Nachricht von den bevorstehenden Eintritten in die Lager, mit denen die Präfektur in diesen Tagen Übereinkünfte unterzeichnet, offiziell zu kommunizieren. Wenn auch mit Misstrauen, weil sie zu oft gehört haben, dass der Eintritt um Tage und Wochen verschoben wurde, ohne dafür eine Begründung zu haben, haben sie an diesem Punkt die Blockade aufgehoben.

Giovanna Vaccaro
Borderline NGO

Aus dem Italienischen von Rainer Grüber