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Montag, 10. Oktober 2011

Report Lampedusa, 10.-12. Oktober 2011

Ich bin am Samstag auf Lampedusa angekommen. Es ist ein Tag der Anlandungen, sie kommen um 7, um 10 und um  22 Uhr. Insgesamt ungefähr 600 Personen, zusammen mit den 500, die sich bereits in den zwei Zentren befinden, macht das 1100 inhaftierte Personen, die auf Identifikation und Transfer in ein CIE (Abschiebungs- und Identifikationszentrum) oder auf ihre Abschiebung warten. Am Sonntag kam ein weiteres Boot um 4 Uhr morgens in Linosa mit 36 Personen an. Bei den letzten Ankommenden handelt es sich ausschließlich um Tunesier. Darunter wenige Frauen und Minderjährige. Durch den Status der Tunesier, die keinen Zugang zum Asylverfahren haben, haben sich die Zentren auf Lampedusa stillschweigend in CIEs verwandelt.
Die Situation nach der Revolte von vor einigen Tagen hat sich beruhigt, aber die Zustände im Aufnahmezentrum bleiben erniedrigend. Das liegt an der großen Zahl an Migranten, der generell harten Haltung insbesondere im Umgang mit den tunesischen Migranten und an der üblichen ineffizienten Arbeit der ausführenden Behörden, die teils die Migranten demütigen und zu brechen versuchen, und teils das Ziel verfolgt, die Kosten zu minimieren und den Profit zu maximieren.
Die Bedingungen der Frauen und Mädchen (minderjährige Nigerianerinnen und Tunesierinnen) sind besonders heikel, da die Geschlechter innerhalb des Zentrums nicht getrennt sind. Es erscheint sehr wahrscheinlich, dass diese Frauen und Mädchen im Tausch gegen Schutz oder Gefälligkeiten sexuell unter Druck gesetzt werden.
Generell ist die Insel wie leergefegt von Touristen. Die Bewohner der Insel beklagen kontinuierlich die Kürze und Dürftigkeit der touristischen Saison. Die Aufgeklärteren geben zumindest einen Teil der Schuld der Politik, die nicht in der Lage ist, moderate Flugpreise (vor allem aus Mailand) zu gewährleisten.
Viele schieben die Schuld auf die Journalisten. Eine deutsche Filmcrew, die mit mir unterwegs war, wurde von einer Gruppe Mädchen (16 bis 17 Jahre alt) angegriffen und beleidigt, als wir eine Landung zu filmen wollten. Die Crew dachte, dass die Mädchen nicht gefilmt werden wollten, stattdessen aber waren diese wütend auf die Journalisten, die das Bild der Urlaubsinsel ruinierten und damit ihre Existenzgrundlage gefährdeten.
In anderen, nicht seltenen Fällen, bestätigt sich die ablehnende Haltung gegenüber den Migranten: “Es geht um mein Überleben. Wenn ich einen sehe, werde ich auf ihn schießen“ (ein Bewohner von Lampedusa am Flughafen). Das Bild ist dabei diffus,  während die Migranten aus sub-saharianischen Afrika als mutige Menschen in Schwierigkeiten angesehen werden, gelten die Tunesier größtenteils als Ex-Häftlinge, skrupellos und gefährlich.
Alice Pugliese, für das Antirassistische Forum Palermo 
(aus dem Italienischen von Elias Steinhilper)