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Mittwoch, 30. November 2011

Bericht aus Mineo über die Inspektion der Europa-Parlamentarier im Mega-CARA

Am Sonntagnachmittag fanden wir uns gleichzeitig mit der Inspektion der Europaparlamentarier auf dem Platz vor dem „Dorf der Orangen“ ein. Nach der ziemlich negativen Erfahrung mit der Parlamentarier-Delegation für die Kampagne LasciateCiEntrare am 25. Juli hofften wir, die diesmalige Inspektion der Europa-Parlamentarier trüge dazu bei, die unzähligen, alltäglichen und seit Monaten andauernden Ungerechtigkeiten von den ca. 1500 Asylbewerbern ans Licht zu bringen. Durch die bestehenden Kontakte mit der Sekretärin von Rita Borsellino und durch die fundierte, ihnen zugeschickte Dokumentation wurde die Delegation im Vorfeld darüber informiert.An und für sich hätte der Aufenthalt der „Gäste“, wäre er so idyllisch gewesen, wohl kaum Anlass zu fünf Revolten (10. Mai 2011, 6. und 20. Juni 2011, 27. Juli 2011 und die letzte am 7. November 2011) gegeben, die trotz hunderter von „freiwilligen“ Verlegungen der anführenden Protestler in andere CARA (Aufnahmezentren für Asylsuchende) stattfanden.
Die Delegation hat korrekterweise ihren Unmut über den „unsicheren Hafen“ von Lampedusa geäußert - eine sadistische Entscheidung des ehemaligen Innenministers Maroni, der damit den xenophoben Anwandlungen des Bürgermeisters von Lampedusa, De Rubeis, gerecht werden wollte. Wenn jedoch das Hauptanliegen der Delegation die Menschenrechten der Migranten gewesen sein sollte, dann sind zumindest einige Aussagen der Europaparlamentarier über das „5-Sterne-Hotel“ zum CIE in Trapani (Zentrum für Identifikation und Abschiebung in Westsizilien), 12 Jahre nach dem Brand von Serraino Vulpitta (zweite Abschiebungshaft in Trapani) und der 6 dabei getöteten Migranten unverantwortlich. 
Durch unsere kontinuierliche Aktivität vor dem Mega-CARA in Mineo denken wir, dass wir das Recht dazu haben von den Europaparlamentariern, die sich dazu herablassen, ein Monitoring  über die Bedingungen der Migranten durchzuführen, zu verlangen, dass sie nicht einfach nur einen unnützen und aufwendigen „Catwalk“ veranstalten (zumal sie auch dank unserer Wahlstimmen bezahlt werden).  
Eher sollten sie, nach vorheriger Information über die Situation (zumindest für Mineo ist dies geschehen), den direkten Austausch mit den Migranten suchen. Wir schlugen vor, das Treffen mit den Asylbewerbern außerhalb des Mega-CARAs stattfinden zu lassen, um die vorauszusehende Beeinflussung zu vermeiden. Die Rechtsanwälte, die mit immer neuen Hindernissen bei der Begleitung ihrer Mandanten konfrontiert werden, kennen diese Bedingungen ebenso wie die Migranten, die häufig Einschüchterungen aufgrund der Kontaktaufnahme zu uns erleiden, da wir seit Monaten für die Verteilung der Kleidung, Wörterbücher, für die Organisation interkultureller musikalischer Veranstaltungen, ärztliche Versorgung (dank der Ärzte von LILA) und Solidarität mit ihren Kämpfe sorgen.
Präsident Castiglione, der in der Provinz Verantwortliche, und die Genossenschaften des CARA Mineo müssten wissen, dass sie es nicht mit zeitlich unbegrenzt zu parkenden Objekten zu tun haben (die Asylbewerber können bei einer Verweildauer von 35 Tagen - vorausgesetzt sie werden nicht von der Kommission angehört - einen dreimonatigen Aufenthaltstitel beantragen und dürfen das CARA auf eigene Verantwortung verlassen), sondern mit Individuen, mit Opfern tragischer Geschichten, die das dringende Bedürfnis haben, eine Zukunft für sich und ihre Familienangehörigen aufzubauen. Die Anwesenheit der Asylbewerber hingegen dient dazu, die Kosten des Mega-CARA künstlich aufzublähen, eine Quelle der Geschäftemacherei für die Freunde der Freunde auf Kosten der Opfern. Erst seit dem 16. Oktober erfuhren wir (nach gut 7 Monaten), dass die Asylbewerber ein Recht auf einen täglichen finanziellen Zuschuss haben. Jedoch werden die Migranten gezwungen, die wenigen ihnen zur Verfügung stehenden Euro im Innern des CARA auszugeben. Vielen gelingt es noch nicht einmal die benötigten Gebühren für die Beantragung der Aufenthaltserlaubnis zusammen zu bekommen. So verschwenden sie kostbare Zeit mit dem unnützen Aufenthalt im Innern des CARA. Der Grund der Proteste ist nach wie vor die Ungewissheit über die Anhörungszeiten der Kommission (bis letzten Sommer arbeiteten zwei Kommissionen),die mit einem nur spärlichen Dolmetscherdienst ausgestattet ist. Und anstatt angesichts dieser Nichteinhaltungen den Beitrag der Rechtsanwälte, die die Asylbewerber verteidigen, aufzuwerten, werden sie als zu boykottierende Hindernisse angesehen.
Der erst kürzliche Tod eines 36jährigen Pakistaners, Alì Mujahid, und die von seinen Landsleuten angezeigten Verantwortlichen des Roten Kreuzes sollten besser diejenigen nachdenklich stimmen, die den Mund mit Wörtern wie „Aufnahme“ bzw. „Empfang“ voll nehmen. Der Wechsel der Verwaltung zum Konsortium Sisifo der Lega Coop genügt nicht, um die Menschenrechte im größten Segregationszentrum für Asylbewerber Europas zu wahren, dessen sofortige Schließung wir fordern.
Bei unserer Rückkehr zur Inspektion der Parlamentarier am Samstag sahen wir um 14 Uhr den Bus der Europaparlamentarier ins Mega-CARA hinein- und nach weniger als 2 Stunden wieder hinausfahren. Einige der anwesende Journalisten und Migranten, die das Gelände verließen, wurden ignoriert. Eine weitere verpasste Gelegenheit, und mehr noch als eine „neue Geschichte“ eine unnütze Selbstdarstellung oberflächlicher politischer Amateure. 

Antirassistisches Netzwerk Catania 
 
(aus dem Italienischen von Julia Wahnel)