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Samstag, 24. September 2011

Linosa – die neue Grenze?

Nach der Beteiligung einiger Mitarbeiter von „Lampedusa Accoglienza“ (dem Betreiber des Aufnahmezentrums) bei den gewaltätigen Kundgebungen gegen die Tunesier auf Lampedusa haben vorgestern Unbekannte das Privatauto von Cono Galipò (Verantwortlicher für das Aufnahmezentrum für Migranten) angezündet.Es ist bestätigt, dass die ungefähr 170 Tunesier, die vorgestern von Lampedusa (darunter zwei Frauen und zwei Minderjährige) und gestern von Linosa  verlegt worden sind, an der Mole von Porto Empedocle identifiziert und nachfolgend mit Bussen zum Hafen von Palermo gebracht wurden, um auf den Gefängnis-Schiffen inhaftiert zu werden, ohne irgendeine Hilfe oder Informationen durch die Organisation von „Praesidium“ (UNHCR, IOM, SAVE the children, Rotes Kreuz) zu erhalten.
Im Laufe der ersten Verlegungen auf die Gefängnis-Schiffe sind ungefähr 50 Asylantragssteller im Aufnahmezentrum für Asylsuchende von Caltanissetta (28) und wahrscheinlich im Zentrum von Foggia untergebracht worden.
Es müssten sich ungefähr 600 Tunesier auf diesen Schiffen im Hafen von Palermo befinden.  Heute ist einer der auf den Schiffen inhaftierten Jugendlichen infolge von Verletzungen in ein Krankenhaus der Hauptstadt gebracht worden.
Nach den Unruhen der vergangen Tage, deren Urheber verschiedene Bewohner von Lampedusa waren, scheint sich die Situation heute zu beruhigen. Diese Bewohner wurden nie zur Rechenschaft gezogen und erst recht nicht von den Ordnungskräften inhaftiert, sodass  sie nach Aussage von Zeugen (wir haben auch einige Bilder) höchstens von den Carabinieri „getadelt“ worden sein dürften.
Die ehemalige Basis „Loran“, aus der in den vergangenen Stunden die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen weggebracht worden waren - einige (ungefähr 20) wurden mit der Fähre und dem Tragflächenboot nach Sizilien gebracht, andere zeitweise in einigen Villen eines Wohn-Hotel-Komplexes in Cala Creta (Bucht auf Lampedusa) untergebracht - , sind im Laufe des Tages wieder zur ehemaligen NATO-Basis zurückgebracht worden. Es handelt sich dabei um etwa 40 Minderjährige. In diesen Stunden ist eine weitere Verlegung vorgesehen – das Ziel ist Porto Empedocle.
Die ersten Fragen kommen plötzlich auf (viele sind in Wirklichkeit schon unter den klugen Köpfen der Bewohner von Lampedusa formuliert worden, und nicht nur dort): Wieso hat die Polizei nach dem Brand im Zentrum des Hauptauffanglagers "Contrada Imbriacola" den Tunesiern erlaubt, sich für einen ganzen Tag an der Tankstelle zu verbarrikadieren und nicht für eine sofortige Räumung der Migranten gesorgt (was erst später erfolgt ist), die die „Möglichkeit“ (wie??) hatten, sich mit Gasflaschen zu versorgen und Spannung und Angst in der örtlichen Bevölkerung zu verursachen?
Viele Zeugen bestätigen, dass die Bewohner von Lampedusa, welche sich an den „bestrafenden „ Bürgerwehren beteiligt haben, wahrscheinlich Abgesandte von de Rubeis sind. Tatsache ist, dass der Bürgermeister der Insel nicht nur bei den abscheulichen  Rassenhass-Kundgebungen anwesend war, sondern die Gewalt der Anwesenden schürte. Einer unserer Ehrenamtlichen vor Ort hat uns vom Staunen und der Empörung der Tunesier über das Verhalten des Bürgermeisters in dieser Angelegenheit berichtet.
Aber die Nachricht, die uns gestern Abend durch Hörensagen erreichte, betrifft die Ankünfte auf Linosa. Diese dauern an, und es handelt sich um echte Anlandungen. Es gibt unter den Fischern der Insel einige, die von „fremden“ Booten erzählen, die tagsüber ungefähr 6 Meilen vor der Küste anlegen, um dann die Migranten nachts auf der Insel abzuladen.
Wir wissen nicht, welche anderen Szenarien sich eröffnen, aber es ist sicher, dass die Ankünfte nicht auf diese Weise beendet werden können.

Germana Graceffo, Borderline Sicilia

aus dem Italienischen von Anna Berharnd