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Montag, 22. August 2011

Ungewöhnliche Zurückschiebung an der Küste von Lampedusa

Stellen Sie sich vor, sich mit vielen anderen ins Meer zu werfen, um das Leben für einen Traum von Freiheit zu riskieren, um eine Arbeit zu finden oder vielleicht einem unpraktischen homosexuellen Leben zu entgehen oder um zu versuchen, Ihre Familie wiederzufinden…viele andere Motive können vorliegen, wenn man sich entscheidet, an einem anderen Teil der Welt zu leben, wenn man auf der Suche nach einigen Möglichkeiten der Veränderung ist…sind Sie tatsächlich in der Lage, sich das Stückchen Holz vorzustellen, worin Sie seit Tagen treiben, eingetaucht in die Körper von anderen, es immer weiter sinken zu sehen, während Sie um sich schlagen, um es mit einem beliebigen Behälter zu leeren, fremde Hilfe kommen zu sehen- Menschen, die Sie aus dem Boot ziehen, das jetzt nur noch mit Mühe schwimmt, noch den Geschmack des Lebens zu kosten, auf der Fahrt in Richtung Europa, endlich in Sicherheit.
Stellen Sie sich vor, flüchtig das Land zu erblicken, dieses Land, das überall von den ausländischen Fernsehsendern versprochen wurde, oder dieses Land, das Sie schon kannten und aus dem Sie ausgewiesen wurden, ein halbes Leben zurücklassend, so nah zu sein, dass Sie sie beinahe berühren können, den Enthusiasmus wahrzunehmen und instinktiv die Hände zum Siegeszeichen zu heben, um die zu grüßen, die an der Mole auf Sie warten, um Sie an Land zu bringen. Aber anstelle der Mole kommt der Kurswechsel und anstelle des europäischen Landes das offene Meer, denken Sie an die gemachte Mühe, an die durchlebte Angst, an das verlorene Geld, an die Demütigung einer gezwungenen Rückkehr…sind Sie tatsächlich in der Lage sich alle möglichen Konsequenzen einer Rückkehr in ein unsicheres Land vorzustellen? Hätten Sie nicht Lust, sich ins Meer zu werfen, um unbedingt die italienische Insel zu erreichen, die allmählich riskiert, noch einmal aus Ihrem Horizont zu verschwinden?
Lampedusa, 21. August.
Um 17.30h kommt ein schnelles Wachboot der Zollbehörde direkt an die Verbindungsstelle der Mole Favarolo gefahren. Anstatt anzulegen und die Passagiere an Land zu bringen, dreht es sich um sich selbst, um zurück auf das offene Meer zu fahren, über die Einmündung des Hafens hinaus. Es lässt dann einige Personen auf das Wachboot der Küstenwache umsteigen, das daraufhin an den Hafen zurückkehren, um nur wenige Personen an Land zu bringen, darunter zwei Frauen, einen Jungen im Rollstuhl und einen anderen, der auf einer Tragbahre zu einem Krankenwagen transportiert wird. In diesem Moment sucht die Zollbehörde das Weite, beladen mit wenigen Dutzend Migranten, die an Bord geblieben sind. Und es ist nur die ANSA (Agenzia Nazionale Stampa Associata=italienische Presseagentur), die nach wenigen Stunden das Schicksal der Passagiere enthüllt: umgeladen auf ein Schiff der italienischen Kriegsmarine und nachfolgende Überfahrt auf einem tunesischen Wachboot direkt in die Heimat. Kurz gesagt, eine Zurückschiebung auf dem Meer, eine kollektive Ausweisung, vorgeschaltet vor jegliche Identifizierungsverfahren und die Möglichkeit, das Recht auszuüben, Asylanträge zu stellen. Ein informeller Umtrunk mit der Polizeigewalt, die in die Aktion verwickelt ist, macht den Ursprung der sofortigen Auslieferungsbestimmungen an die italienische Kriegsmarine klar: es ist das Innenministerium, das entscheidet, ohne einen öffentlichen Bericht, ohne eine Übernahme der politischen Verantwortung, in der Dunkelheit des internationalen Rechts und des Bewusstseins der öffentlichen Meinung; gestützt auf eine mündliche Absprache mit dem Innenministerium einer Übergangsregierung in Tunesien, die sich im vergangenen April formte.     Trotzdem gehen die Hilfsmittel Richtung der lampedusanischen Mole, der Befehl kommt einmal als die Wachboote schon im Meer sind, es treten Kommunikationsprobleme auf und die Priorität kommt dann dem ursprünglichen Auftrag der Hilfe auf dem Meer zu. Einmal kommt der Befehl im Hafen, aber die Ausschiffungsaktion einiger ausgewählter Passagiere scheint nicht realisierbar zu sein und es entscheidet sich, auf hoher See zu wirken, weit weg von der bevölkerten Mole, den humanitären Arbeitern und kulturellen Vermittlern, den Kais beladen mit neugierigen Beobachtern, bestürzt über die ungewöhnlichen Maßnahmen. Schließlich fährt die Zollbehörde in Richtung des Schiffes der italienischen Kriegsmarine, es ist nicht das erste Mal, dass das passiert, andere Male sind die Migranten direkt nach Taranto geführt worden, in diesem Fall ist das endgültige Ziel des Schiffes, das in internationalen Gewässern wartet, unbekannt. Trotzdem lässt die informelle Rekonstruktion der Angelegenheiten einige dunkle Seiten des Ereignisses in der Schwebe. Es ist eine spontane Operation geblieben, ausgerichtet auf die Rettung einiger menschlicher Leben, darüber hinaus höhere Befehle stabilisierend, von einer effektiven Leistungsunfähigkeit in der kommunikativen Rechtzeitigkeit oder des Willens eine unerträgliche Aktion auszuführen, die sonst einen Dämpfer erhalten hätte. Warum diese Zurückschiebung? Handelt es sich um einen Einzelfall? Ist es in der Vergangenheit schon einmal vorgefallen? Handelt es sich um eine Ausnahme von der Regel oder um eine neue Regel?

Presseagenturen:
http://www.lasiciliaweb.it/
http://www.ansa.it/web/notizie/collection/rubriche_cronaca/08/21/visualizza_new.html_753632014.html

Anna Garrapa, BSA Toscana  (aus dem Italienischen von Anna Bernhard)