Das Wetter verbessert sich merklich, die See ist ruhig; jedes Boot am Horizont versetzt uns deshalb in Alarm. Tatsächlich ist die erste Neuigkeit des Tages, dass die Nachtfähre aus Porto Empedocle angekommen ist und später sehen wir die Mittagsfähre auslaufen.
Obst und Gemüse sind demnach frisch auf der Insel eingetroffen. Bevor wir uns auf den Weg zum Hafen machen, schauen wir bei der Legambiente [Naturschutzbund] vorbei. Wir stellen uns als Forum Antirazzista Palermo vor, doch die Person, die uns begrüßt, scheint nicht allzu geneigt, das zum Gegenstand der Konversation zu machen, sodass sich das Gespräch auf andere Themen verschiebt: Es geht um Naturschutzgebiete, um die Freiwilligencamps auf der Insel während des Sommers und um die Zugvögel, die beobachtet und geschützt werden. Wir bekommen Inselkarten, auf denen die Casa della Fraternità der Caritas, der ehemalige Loran-Stützpunkt der Nato, die Contrada Imbriacola, der Schiffsfriedhof etc. eingezeichnet sind. Wir beschließen, mit einem Motorroller eine Runde über die Insel zu drehen, um ihre Topographie genauer kennen zu lernen und zu sehen, wo sich die Aufnahmezentren für die Flüchtlinge befinden. Hinter dem Handelshafen liegt die Cala Turchese [Türkische Bucht], an deren gegenüberliegender Seite die Hotels stehen, in denen der größte Teil der Ordnungskräfte untergebracht ist: So stehen vor dem Hotel Miramar und den angrenzenden Häusern ausschließlich Mannschaftswagen. Wir fahren mit dem Roller die ganze Küste entlang, bis wir den Luftwaffenstützpunkt und das Zentrum auf dem Gelände des ehemaligen Loran-Stützpunkts (der Nato) erreichen. Direkt daneben gibt es einen weiteren ziemlich großen Schiffsfriedhof, den wir allerdings nur aus der Distanz »bewundern« können. Daran anschließend lässt sich eine sehr große Radaranlage ausmachen. Wir setzen unsere Tour entlang der Nordküste fort und stoßen auf noch einen Schiffsfriedhof sowie auf eine offene Mülldeponie; wir fahren bis Cala Pisana – auf der anderen Seite der Friedhof der Inselgemeinde – und weiter bis zum Flughafen. Wir haben praktisch die gesamte Insel umrundet, denn wir befinden uns wieder mitten im bewohnten Gebiet. Wir begeben uns erneut zum Hafen und machen uns auf in Richtung Contrada Imbriacola, die allerdings, wie wir bereits wissen, nicht zugänglich ist: Noch bevor sich das Zentrum auch nur erahnen lässt, sagt uns ein Polizist, dass man auf dieser Straße nicht weiterfahren kann. Am Nachmittag begeben wir uns zum Verein Askavusa, wo wir uns ein Video-Interview ansehen, das die Brigate di Solidarietà Attiva mit einer Mitarbeiterin der IOM, die als Rechtsbeistand tätig ist, geführt haben. Der Aufenthalt der Mitarbeiterin im CPSA (Centro di Primo Soccorso e Acccoglienza – Ersthilfe und Erstaufnahmezentrum) dient dem permanenten Monitoring des Zentrums selbst. Sie berichtet, zwar laufe jeden Tag irgendetwas schief (von Problemen mit der Sauberkeit der Sanitäranlagen bis hin zu offen liegenden Stromleitungen), doch würden die Mängel den Verantwortlichen des Zentrums gemeldet und man kümmere sich schnell um ihre Behebung. Das alles sei selbstverständlich weder möglich noch praktikabel gewesen, solange sich 2000 Menschen im Zentrum aufgehalten hätten. Gegenwärtig hielten sich 24 Migranten dort auf: einer scheint aufgrund gesundheitlicher Problemen nach Palermo geflogen worden zu sein, auch zwei weitere hat man wohl nach Palermo gebracht, als Zeugen in einer Sache, deren nähere Umstände wir nicht kennen. (Geht es um einen Prozess? Wegen welcher Straftat?) Viele Informationen über das Zentrum konnte die Mitarbeiterin nicht preisgeben, um sich nicht persönlich zu exponieren. Um 19.30 Uhr bekommen wir einen Anruf von einer Genossin der Brigate, die durch Askavusa von der Ankunft eines Bootes an der Mole erfahren hat. Sofort fahren wir mit dem Kleintransporter der Brigate, am Steuer sitzt Ilaria, auf eine Cavallo Bianco genannte Anhöhe mit Blick auf die Mole und beobachten: Es sind 77 Migranten (die genaue Zahl erfahren wir von Mitarbeitern von Save the Children sowie der Ärzte ohne Grenzen), alle sind aus Tunesien (auch wenn jemand versucht hat, sich als Libyer auszugeben) alle sind männlich, darunter wahrscheinlich drei Minderjährige. Vor Ort an der Mole befinden sich außer den Ordnungskräften alle am Projekt «Praesidium» beteiligten Organisationen. -Das INMP, das Rote Kreuz, die sich, wie uns ein Dolmetscher von Ärzte ohne Grenzen erzählt, im Bereich der Ersthilfe alleinverantwortlich um den Gesundheitszustand der Migranten kümmern, solange deren Zahl hundert nicht überschreitet. Unter den an Land Gegangenen sind drei, die zur medizinischen Ambulanz gebracht werden, weil es ihnen während der Überfahrt sehr schlecht ging. Alle anderen steigen in Busse des Transportbetriebs «Lampedusa Accoglienza», die sie direkt ins CPSA bringen. Was wir sehen konnten, haben wir fotografiert und aufgezeichnet. Im Verlauf des Abends, den wir beim Verein Askavusa verbringen – wir essen zusammen zu Abend, das Essen haben wir alle gemeinsam in der Küche zubereitet –, erfahren wir von verschiedenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der bereits erwähnten Organisationen, dass im Laufe der Nacht weitere Anlandungen von Booten erwartet werden. Wir bleiben wach und warten. Der Vereinssitz von Askavusa ist wirklich ein Ort der Begegnung der verschiedenen Menschen, die aus professionellen oder politischen Gründen Migrantinnen und Migranten unterstützen: Sie alle kommen hierher, um Freunde zu treffen und Informationen auszutauschen. Nun warten hier alle darauf, dass eventuell jemand anruft. Um 2.30 Uhr kommt eine SMS von Ilaria und wir begeben uns zum Hafen. Dort positionieren wir uns wieder auf der Cavallo Bianco-Anhöhe. An der Mole sind Mitarbeiter des Roten Kreuzes zu sehen, die offenkundig auf eine Anlandung warten. Nach einer halben Stunde sehen wir sie in ihre Zelte zurückgehen und mangels aktueller Nachrichten gehen auch wir gegen 3.40 Uhr nach Hause. Telefonische Nachricht von Marta am 29.4.2011 um 11 Uhr: Seit vier Uhr nachts sind 178 angekommen. Die drei Minderjährigen, die sich noch in Contrada Imbriacola befanden, gehen in diesem Moment an Bord der «Palladio» der Reederei Siremar, um nach Porto Empedocle zu fahren. Durch Save The Children will Marta herausfinden, wohin sie dann gebracht werden. Es ist noch die Rede von einer weiteren, angeblich gerade stattfindenden Anlandung, doch noch ist nichts zu sehen.
Livia, Marta und Giovanni, Forum Antirazzista Palermo