● Militarisierung und
Desorganisation: Mängel und Verzögerungen bei den Ankünften zu
Lasten der Migrant*innen
● Aufnahme der Toten,
Zurückweisung
der Lebenden
● Isolation, Misstrauen und
Gewalt: Erhebliche Mängel bei der Aufnahme minderjähriger
Geflüchteter
● Asylsuchende
und minderjährige Geflüchtete
in der Falle zwischen
neuen und alten außerordentlichen Aufnahmezentren
● Infos
und Kontakt
MILITARISIERUNG
UND DESORGANISATION: MÄNGEL UND VERZÖGERUNGEN BEI DEN ANKÜNFTEN ZU
LASTEN DER MIGRANT*INNEN
120
Migrant*innen haben
Lampedusa erreicht, während 655 weitere in Palermo mit dem
Militärschiff Diciotti ankamen. Wie
es immer öfter der Fall ist werden
sie alle von einer Bürokratie
empfangen, dessen
Ziel nicht die Achtung der Würde der Menschen ist. Während die
Geflüchteten auf den Rettungsschiffen darauf warten, im Hafen
identifiziert zu werden und im Polizeipräsidium ihre digitalen
Fingerabdrücke abzugeben, sitzen sie auf dem Boden und werden von
oben bis unten gemustert.
Es sind die Blicke der Personen, die über ihre Zukunft entscheiden
werden.
1169
Personen kommen am Hafen
von Palermo an, nachdem sie vom Militärschiff Garibaldi gerettet
wurden. Die Rettung beginnt bereits mit einer Verzögerung und geht
nur sehr langsam voran, sodass sie für viele Geflüchtetezusätzlich
zermürbend ist. Die Atmosphäre ist nicht zuletzt bedrückend und
angespannt aufgrund der feindseligen Gesten und Worte der Polizei
sowie des Militärs. Das Vorgehen bei der Ankunft des Schiffes ist
sowohl auf institutioneller sowie auch auf operativer Ebene extrem
schlecht organisiert. Um 2 Uhr nachts wird die Operation unterbrochen
und 400 Migrant*innen sind gezwungen die gesamte Nacht im Laderaum
des Schiffes zu verbringen.
Zu einer weitaus
dramatischeren Situation kam es am Hafen von Messina, wo die
Anlandung von Geflüchtete
vom Spätnachmittag des 30. August bis um 21 Uhr des 1. September
andauerte,
gut 48 Stunden nachdem
die Anlandungsoperationen
begonnen hatten. Nun besteht die Gefahr, dass die Aufnahmezentren
unter dem Ansturm der Migrant*innen kollabieren und daher die
„verzögerten“ Anlandungen
in Wirklichkeit dazu dienen, die Schiffe zu „schwimmenden Hotspots“
umzufunktionieren. Bereits dort könnten die Geflüchteten nun, je
nach Nationalität, in verschiedene Gruppen eingeteilt werden, um
daraufhin wieder in ihre Heimat zurück geschickt zu werden, ohne
dass sie jemals ins
Scheinwerferlicht
gerückt werden.
AUFNAHME DER
TOTEN, ZURÜCKWEISUNG DER LEBENDEN
Fünf weitere Leichen
erreichen
Trapani, unter ihnen auch zwei Leichen syrischer Kinder. Die Leiche
eines weiteren Mädchens fehlt noch. Sie starb in den Armen
ihres Vaters, der sie gehen
lassen musste, da er
seinen anderen Sohn und weitere Kinder vor dem Ertrinken retten
musste. Es ist eine weitere Geschichte, die von Schmerz und
Großzügigkeit, von Tränen und Rettung erzählt. Eine weitere
Geschichte, die uns die Medien verschweigen, so wie die vielen
weiteren Geschichten derjenigen, die die Flucht überlebt haben und
nun zwischen Resignation, Hoffnung und Protesten nur darauf warten,
dem Limbus zu
entkommen, den die
Zukunft für sie bereit hält.
In Pozzallo, wo innerhalb von zwei
Tagen zwei Boote mit jeweils 473
Personen und 692 Personen ankamen, kam es zu einer totalen
Überlastung des Hotspots. Seit Wochen bereits befinden sich in der
Einrichtung Dutzende unbegleitete minderjährige Geflüchtete,
Mädchen wie Jungen,
die nicht rechtens alle zusammen mit weiteren Männern und Frauen,
Erwachsenen und Kindern untergebracht sind. Währenddessen äußert
die Europäische Union gemäß den Worten des stellvertretenden
EU-Kommissars Timmermans erneut ihre politischen Absicht,
vermehrt Abschiebungen durchzuführen
und die Grenzen zu schließen. Damit
wird den Geflüchteten der
Rücken zugewandt,
ohne deren
Geschichten anzuhören. Es sind Menschen, die vor Krieg und Elend
geflohen sind, die die Wüste durchquert haben, Schleuser hinter sich
gelassen und die Gefahren des Meeres überlebt haben. Sie sollen nun
einfach in ein Flugzeug verfrachtet werden und in ihre Heimatländer
zurückgebracht werden, wo es für sie schlichtweg keine Hoffnung auf
eine lebenswerte Zukunft gibt.
ISOLATION,
MISSTRAUEN UND GEWALT: ERHEBLICHE MÄNGEL BEI DER AUFNAHME
MINDERJÄHRIGER GEFLÜCHTETER
Immer
wieder kommt es zu Situationen, in denen sich die soziale
Eingliederung der minderjährigen Geflüchteter
sowie der Kontakt zur lokalen
Bevölkerung als sehr schwierig erweisen. Dies liegt nicht zuletzt an
dem Ausbleiben jeglicher ernsthafter Planung sowie systematischer
Organisation bei der Aufnahme und Unterbringung der Menschen in
außerordentlichen Aufnahmezentren. Hinzu kommt, dass die Zentren oft
weit entfernt der bewohnten Städte sind. Oftmals leiden die jungen
Migrant*innen daher unter Isolation, worauf sie mit Protesten
reagieren oder einfach fliehen,
"um nicht verrückt zu werden". Es herrscht ein Klima des
Misstrauens und der Intoleranz, das in der Vergangenheit bereits zu
Fällen schwerwiegender Gewalt geführt hat, so wurden
vier minderjährige ägyptische Jungen kürzlich Opfer von Gewalt
durch einige junge Männer aus
dem Dorf San Cono.
ASYLSUCHENDE
UND MINDERJÄHRIGE GEFLÜCHTETE
IN DER FALLE ZWISCHEN NEUEN UND ALTEN AUSSERORDENTLICHEN
AUFNAHMEZENTREN
Außerordentliche
Aufnahmezentren entstanden ursprünglich aus dem Mangel an Plätzen
in bereits
bestehenden
Einrichtungen, bevor sie regulär zu einem Teil des bestehenden
Aufnahmesystems wurden. Borderline Sicilia hat
vor Kurzem eine Analyse
von gesammelten
Daten zu
außerordentlichen Aufnahmezentren in der Hauptstadt sowie in der
Region um Palermo durchgeführt.
Aus der Analyse geht
hervor, dass die Zentren letztlich nichts weiter als Orte der
Bürokratie eines blinden Staates sind. Orte, in denen die
Asylsuchenden oft Jahre lang dahinsiechen. Ihnen bleibt oftmals
nichts anderes übrig, als zu warten, bis ihre Zukunft nach ihrer
unterbrochenen Reise mit der Ankunft in Italien wieder eine positive
Wende nimmt. Bis dahin treiben sie oft langsam in die Unsichtbarkeit,
die sie immer wieder zu leichter Beute für den Schwarzmarkt, mafiöse
Hilfsarbeiten, Ausbeutung oder Prostitution macht.
Erneut ist
die Antwort auf die Notsituation
durch die hohe Zahl ankommender Menschen der
Erlass eines Dekrets, das freie Bahn schafft für die Einrichtung
neuer außerordentlicher Aufnahmezentren für unbegleitete
minderjährige Geflüchtete.
So geschieht es die Tage auch in Ragusa. Hierbei besteht die Gefahr,
dass eine Verteilung der minderjährigen Geflüchteten
auf verschiedene Kommunen in ganz Italien, unabhängig ihres
Ankunftsortes und gemäß ihrer eigenen Interessen, nicht möglich
sein wird. Stattdessen werden sie dort landen, wo wirtschaftliche
Interessen der außerordentlichen Aufnahmezentren sie unterbringen
möchten.
INFOS
UND KONTAKT
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Aus
dem Italienischen von Marlene Berninger