Das
Schiff Garibaldi im Hafen von Palermo – Photo:
Alberto Biondo
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Wir wurden Zeug*innen einer chaotischen Anlandung - einer totalen Nichtorganisation seitens des Ministeriums - und das auf institutioneller wie auch auf operativer Ebene. Die Präfektur (Verwaltung) und die Quästur (Polizeiorgane) waren hart gefordert, die bei anderen Landungen jedoch auf exakt entgegengesetzte Art und Weise gearbeitet und die Ankunft dadurch erleichtert hatten. Man hört, dass "sich Einiges geändert habe!"
Am
Hafen ist die Atmosphäre angespannt
und bedrückend. Die Ankommenden werden wie
Schwierigkeiten und Ärger verursachende Zahlen
behandelt, die uns die Ferien und den Alltag vermiesen – und das
trotz der neuen Einnahme- und Verdienstmöglichkeiten Vieler,
die am
"Migrantenbusiness" verdienen,
trotz
der Möglichkeit, Wählerstimmen angesichts von politichen
Wahlkampagnen zu gewinnen.
Die
Leute wurden aufs Polizeipräsidium gebracht zur Identifizierung und
zur Unterzeichnung des "foglio notizie"*, welches durch den
diensthabenden Angestellten oder von Mediator*innen
der Polizei bereits im Voraus ausgefüllt wurde
-
und bei allen Antworten mit einem Kreuz versehen - außer
bei der Angabe
"Asylantrag". Die Fotoidentifizierungen hatten bereits am
Hafen stattgefunden. E
handelte ich um eine
Operation, bei
der es nicht an feindseligen Gesten und Gewaltanwendung mangelte, bei
der die Polizei sich nicht darauf beschränkte die Sündenböcke und
vermuteten
Schlepper ausfindig zu machen. Es wurden ausländische Freiwillige
der Caritas (die stundenlang
Nahrungsmittel verteilt hatten) festgenommen, weil sie Fotos gemacht
hatten, und das an einem Ort, wo Polizeibeamte und Mitarbeiter*innen
des Italienischen Roten
Kreuzes
und anderer Organisationen regelmäßig
Selfies machen – die sozialen Netzwerke sind voll davon! Dank der
Vermittlung der Caritasverantwortlichen
wurde klargestellt, dass die
freiwilligen Helfer*innen, wie alle anderen,
eine Erfahrung in ihrem Leben festhalten wollten. Ein Polizit
hat sich ebenfalls entschuldigt, der sich vielleicht auch klarwurde,
dass Zwang und Machtmissbrauch ausgeübt wurden.
Das
Militärschiff G. Garibaldi – Ph. Alberto
Biondo
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Die
Landung verlief extrem langsam und
begann
mit Verspätung aufgrund von Missverständnissen zwischen den
zuständigen Behörden. Zuerst verließen
500 eskortierte Migrant*innen
das Schiff, die in verschiedene Aufnahmezentren in andern Regionen
Italiens gebracht werden sollten (Lombardei, Abruzzen, Apulien,
Molise, Marken, Kalabrien, Piemont, Toskana, Emilia Romagna und
Latium).
Dann erschienen nach und nach die unbegleiteten Minderjährigen, 152
aus Eritrea und 29 aus dem Maghreb. Mit diesen Mädchen und Jungen
wurde anders verfahren: eine erste Gruppe wurde aufs Polizeipräsidium
gebracht für die übliche Identifikation. Sie haben die ganze Nacht
in der Halle des Immigrationsbüros verbracht und wurden gestern
Nachmittag (nachdem sie 24 Stunden auf dem Boden sitzend ausgeharrt
hatten) in das
berüchtigte Zentrum in der
Via Monfenera gebracht. Am Ende dieses Tages waren 250 Jugendliche
dort untergebracht, nach der Ankunft der 92 Neunankömmlinge aus
Eritrea. Die zurückbleibenden
Mädchen und einige wenige andere Jugendliche sind immer noch auf dem
Präsidium und warten auf eine Unterbringung, genauso wie die Jungen
aus dem Maghreb, die mit großer
Wahrscheinlichkeit zurückgewiesen und ohne Hilfe und Angaben ihrem
Schicksal auf der Straße
überlaßen
werden - das ist die bereits zur Gewohnheit gewordene Praxis der
Quästuren.
Trotz
der Anwesenheit
der Gemeindebehörden während der Anlandungen hat bis heute keiner
eine Lösung zu einer menschenwürdigen Aufnahme der Minderjährigen
gefunden. Die Gemeinde hat hier die große
Verantwortung, sie können ihre Hände nicht in Unschuld waschen,
inbesondere
wenn das alte Liedchen davon erklingt, dass Palermo
die aufnahmefreundlichste Stadt Europas sei. Die täglichen
Vorkommnisse, ohne die Präsenz der Fernsehberichterstattung, strafen
diese Aussagen unerbittlich der Lüge.
In
einer Stadt, die sich ihrer Gastfreundschaft rühmt, sollten
Jugendliche nicht auf Bänken im Hafen übernachten, wie es vor zwei
Tagen der Fall war, für jene, die erst später von der Giuseppe
Garibaldi von Bord gehen konnten; eine solche Stadt muss für alle
Anlandungen gerüstet sein. Sie benützt nicht die Schwächsten für
ihren (sicher berechtigten) Kampf für die gerecht verteilte
Verantwortung auch an die anderen Gemeinden und Regionen für die
Unterbringung von unbegleiteten minderjährigen Migrant*innen.
Jugendliche
Migrant*innen
warten auf ihre Vor-Identifikation – Ph. Alberto Biondo
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Das
Innenministerium erteilt weiterhin Anordnungen, die gegen die
internationalen Konventionen verstoßen
und die verantwortlichen Beamten bekunden große
Mühe mit der Situation. Es seien die "Militärs", die
gehorchen, auch in unmöglichen Situationen, wie diese: 400
Migran*innten
mussten im Laderaum des Schiffes die ganze Nacht ausharren, denn die
Landeoperationen wurden um zwei Uhr morgens unterbrochen. Sogar die
Militärs haben zugegeben, dass der Aufenthalt im Laderaum nicht
angenehm ist und sie haben zugegeben, dass die bessere Lösung
gewesen wäre die Operation am Kai durchzuführen.
Die
Militärs kennzeichnen mit Filzstift einzelne Migrant*innen
auf ihrem T-shirt. Die Zahlen
identifizieren sie als Besitzer von verbotenen Gegenständen wie
Mobiltelefonen oder anderen Objekten, die ihnen abgenommen werden. Am
Kai werden die eingesammelten Dinge durch Beamt*innen
von
Frontex dahingehend
untersucht,
ob durch die
eingesammelten Objekte
die Sicherheit der europäischen Union nicht gefährdet werde und bei
Ungefährlichkeit den Leuten zurückgegeben. Das Bild der markierten
Menschen war nicht schön, es hat die Erinnerung an vergangene Zeiten
geweckt.
Die
Heuchelei dieses
tödlichen Systems
wird
täglich aufgedeckt – zum Beispiel wenn man in
Palermo Migrant*innen
auf der Straße
wiederfindet,
die die Woche vorher in Trapani zurückgewiesen
wurden.
Wer
aus dem System herausfällt hat weder Kontakte noch Geld. Er/sie
kann nur auf der Straße
leben. Also soll uns nicht eingeredet werden, dass diese Strafmaßnahmen
der Sicherheit dienen, weil die Tatsachen das Gegenteil beweisen. In
einer der kommenden Nächte werden auch die Migrant*innen
aus dem Maghreb der letzten Anlandung in Palermo auf die Straße
ausgesetzt werden und sie werden sich mit denen aus Trapani
zusammenfinden und mit
den
30 Eritreer*innen,
die gestern Nachmittag aus dem regionalen HUB Villa Sikania geflohen
sind. Es handelt sich um Leute, die der unendlich langen Wartezeit
auf ihre Umverteilung,
die Relocation, müde geworden sind und sich auf dem Weg nach
Agrigento befinden, um von dort aus weiter zu reisen.
Der
Krieg gegen die Migrant*innen
geht weiter. Aber die Folge davon wird die weitere Zerstörung von
Menschenleben und Familien sein, in
der Hoffnung, dass der Wind sich dreht.
Alberto
Biondo
Borderline
Sicilia
*Foglio
Notizie - verschiedene
Formulare
der
Polizei,
die ausgefüllt und unterschrieben werden müssen, je nach Antrag der
Person. Es sind Angaben zur Person und ihrer Vergangenheit und ihres
zukünftigen Aufenthalts in Italien zu beantworten.
Übersetzung
aus dem Italienischen von Susanne Privitera Tassé Tagne