“In
aleis strenua – in pugna invicta”,
„Entschlossen in der Risikobereitschaft, unbesiegbar in den
Kämpfen“ Das ist das Motto der mächtigen Virginio Fasan (F591),
einer Fregatte der Militärmarine, deren unüblicher und verlängerter
Aufenthalt im Hafen von Messina die Neugier der Passanten geweckt hat
und die Zweifel der örtlichen Aktivist*innen
nach sich gezogen hat. Diese Bedenken wurden
in der Pressemitteilung der PRC* von Messina ausgedrückt. Diese
hat wiederum
dazu geführt, dass wir gerade noch rechtzeitig angekommen sind, um
den letzten Akt der Landung mitzuerleben, die die längste und
anstrengendste der letzten Zeit geworden ist. Die letzte Gruppe
Migrant*innen, ca. 150 von insgesamt 1159 Personen, durfte erst gegen
21:00 Uhr am Donnerstag, den
1.
September, das
Schiff
verlassen, also mehr als 48 Stunden nachdem die
Landungsaktion
am späten Nachmittag des Dienstags, den
30.
August, angefangen hatte.
Welcher
ist der Grund einer solchen unerklärlichen und inakzeptablen
Verspätung? War das eine geplante Wahl oder doch
eine Zwangsentscheidung?
Es gibt viele Vermutungen, aber bis jetzt keine offizielle Erklärung.
Aus den Zeugenberichten, die am späten Donnerstagnachmittag
gesammelt wurden, lassen sich einige wichtige Schlüsse ziehen. Wir
haben den ganzen Nachmittag damit verbracht, die verschiedenen
Etappen des langsam
beschrittenen Weges
zu
beobachten,
den jede*r
einzelne Migrant*in, der/die
aus dem Schiff kam.
“Die
Landungsaktion hat am späten Dienstagnachmittag - A.d.R. am 30.
August – angefangen (…), anfänglich schien alles wie gewohnt zu
laufen. Nachdem ca. 30 oder 35 Personen aus dem Schiff gekommen
waren, haben plötzlich einige Beamten des Gesundheitsministeriums,
die am Pier anwesend waren, angeordnet, dass ab sofort nur Frauen und
Kinder aussteigen dürfen. Nach ein paar Minuten der Aufregung, sind
in der Tat nur noch Frauen und einige Minderjährige ausgestiegen.
(…) insgesamt sind ca. 130 Personen, unter ihnen ca. 70 „besonders
Schutzbedürftige“,
d.h. Frauen und Kinder, ausgestiegen“.
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Dienstag,
30. August – Fotoidentifizierung
einer ersten Gruppe von Frauen
am Pier
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Marta
Bellingreri, die schon seit Dienstagabend mit einem Team der BBC das
Geschehen verfolgt, hat
uns dies berichtet.
Während wir versuchen, uns ein Bild der Lage zu machen und zu
erfahren, was in den
vergangenen Tagen passiert ist, merken wir sofort, dass die
internationalen Organisationen, wie IOM,
die interationale Organisation für Migration,
und der
UNHCR
gar nicht hier sind. Vermutlich mussten sie sich zwischen den vielen
Landungen in den sizilianischen Häfen entscheiden.
Nachfolgend
haben wir einen Polizisten
nach den Gründen dieser Landungsmodalitäten gefragt und ihm auf die
Ähnlichkeiten mit der Landung im Hafen von Palermo von vorigem Tag
(und der
vorigen Nacht)
angesprochen. Seine erste Antwort war: „In Messina gibt es keinen
Hotspot“.
Nachdem wir uns mit ihm ein wenig unterhalten hatten, haben wir eine
zweite und viel wichtigere Tatsache erfahren: „In der Stadt und
Umgebung sind alle Zentren total überfüllt. In der Nacht des 30.
August wurden,
gerade als hier im Hafen das Schiff mit über 1100 Migrant*innen
ankam, auf dem Landweg von Trapani ca. 200 weitere Migrant*innen zum
Pala Nebiolo gesendet“.
In
kompletter Offenheit und ganz ohne Ironie haben wir nochmals auf die
Ähnlichkeiten mit dem Fall von Palermo hingewiesen und unsere
Besorgnis ausgedrückt: Ist es nicht so, dass mit
dieser Praxis
sogenannte „schwimmende“ Hotspots
geschaffen
werden? Ist es nicht so, dass dadurch im Verborgenen die
Migrant*innen aufgrund der Nationalität aussortiert werden? Und
somit die Rückführung in die Länder, mit denen
Wiederaufnahmeabkommen bestehen, beschleunigt werden? Und zum
Schluss, auch
wenn die
organisatorischen
und logistischen Schwierigkeiten
– in Anbetracht der Anzahl von gleichzeitig ankommenden
Migrant*innen in den
wichtigen sizilianischen Häfen - offensichtlich sind: ist es
vertretbar, dass Menschen, die schon eine sehr anstrengende Reise
hinter sich gebracht haben, weitere 48 Stunden auf dem im Hafen
liegenden Schiff und dann noch weitere 4 Stunden in den in der Sonne
wartenden Bussen festgehalten werden?
Unsere
Fragen und Bedenken haben dazu geführt, und das ist im Übrigen
völlig verständlich, dass die Antworten in erster Linie auf die
Korrektheit und Transparenz der Aktion der Polizei zielen, weil „es
hier
nichts zu verbergen gibt“. Wir bekommen keinen Kommentar bezüglich
des Unbehagens der Migrant*innen, nur ein resigniertes Kopfnicken:
deren
Gesichter und der Ausdruck ihrer Augen sagen mehr als viele Worte.
DeieRückführung
betreffend erhalten wir nur eine
allgemeine
Antwort: „Die werden nur in die Länder Nordafrika erfolgen“
Zum
Schluss haben wir noch gezielt nach den Blättern gefragt, die die
Migrant*innen in den Händen hielten, während sie in einer
Reihe standen. Der
Polizist hat geantwortet, dass der Inhalt der Blätter ihm nicht
bekannt sei und dass es sich
jedoch
vermutlich
um die
sogenannten
„fogli
notizie“, also kurze Informationsbogen der Polizei handele.
Mit der darauffolgenden Frage wollten wir erfahren,
ob es möglich sei,
dass die in diesen Blättern gemachten Angaben zum Erlass eines
verzögerten
Rückführungsdekrets laut Art. 10.2 führen könnten? Die Antwort
kam schnell und eindeutig: „Absolut nein, die werden nicht mehr
gemacht“.
Darüber
hinaus bleibt festzuhalten, dass wir
aufgrund der Langsamkeit der Landungsoperationen die
Möglichkeit hatten, jede Phase genau zu beobachten und auch die, die
normalerweise nicht so offenkundig sind, zu verstehen. Zum Beispiel
die erste Zwangsetappe: Ein großes, blaues Zelt, in dem, wie wir
später erfuhren, die Beamt*innen
des Migrationsamts die Erwachsenen und die Minderjährigen trennen.
Weil die Migrant*innen eine ziemlich lange Zeit im Zelt verbrachten
und das Personal hin und her schwirrte, vermuten wir, dass auch eine
Art Vor-Identifizierung dort stattfand. Nachdem sie das Zelt
verlassen hatten, durften
die Migrant*innen die Toiletten benutzen. Es waren 12 Dixi-Klos am
Abend des 30. August aufgestellt worden, so erfuhren wir von Marta
Bellingreri, nachdem sich die Besatzung der Fregatte und die
Hafenbehörde
laut darüber beschwert
hatten, dass die Migrant*innen ihre Notdurft direkt im Meer in der
Nähe des Schiffes verrichten mussten und dadurch Geruchsbelästigung
entstanden
war. In
der zweiten Etappe wurden die Fotoidentifizierung
vorgenommen,
direkt unter freiem
Himmel und für jeden sichtbar. Ferner waren die Zelte des Roten
Kreuzes aufgestellt, wo die Migrant*innen von den Mitarbeiter*innen
des Roten Kreuzes und der Misericordie etwas zum Essen bekamen, und
wo medizinische Untersuchungen stattfanden. Diejenigen, deren
gesundheitlicher Zustand es erforderte, bekamen in zwei weiteren
Zelten in der Nähe erste Behandlungen. Im Laufe des Nachmittags
musste der Krankenwagen drei
Mal
intervenieren und in der ersten Nacht waren schon mindestens drei
Fälle behandelt worden, einer davon ziemlich dringend, weil es um
einen epileptischen Anfall ging.
Neben
dem Zelt, in dem die Verteilung von Essen und Wasser stattfand, hielt
ein Tankwagen an, so dass die Wartenden sich erfrischen konnten. Die
letzte Etappe war inzwischen erreicht und die Migrant*innen reihten
sich ein.
In zwei Zelten der Präfektur Messina warteten
drei
Mediator*innen (zwei
Frauen und ein
Mann) und eine Mitarbeiterin des Zentrums Amal* – wie aus ihrem
Oberteil hervorging
– unter der Kontrolle und der Mithilfe vermutlich von Polizisten in
Zivil auf die Migrant*innen, die mit einigen Papierbögen in den
Händen ankamen, deren Inhalt uns nicht bekannt ist. Nach einem
kurzen Gespräch – wir haben mehrmals Fragen über die Personalien
vernommen – haben die Migrant*innen die Bögen, die sie zuerst
hatten, unterschrieben und dem Personal übergeben, die diese Bögen
dann auf verschiedene Stapel auf dem Nebentisch verteilten. Zu diesem
Zeitpunkt trennten sich dann die Wege der Migrant*innen: Erst später
haben wir die Heiterkeit verstanden, mit der ab und zu die Zahlen
1988 oder 2000 zugerufen wurden. Diejenigen, die für Minderjährigen
gehalten wurden, sollten sich in ein grünes Zelt begeben, das sich
hinter dem mobilen Büro fand; all die anderen sollten in den Bus der
Firma Calamunci oder in einige wartende Linienbusse einsteigen. Die
Letzteren, also die Erwachsenen, wurden dann zum Pala Nebiolo
gebracht, wo dann in einem Raum, der als Büro des Polizeipräsidiums
fungierte, die Identifizierungsprozedur zu Ende ging.
.
Bevor wir den Hafen verließen, haben wir noch die Möglichkeit gehabt, mit Herrn Zaccone, einem Beamten des Sozialdezernats der Gemeinde Messina zu sprechen. Wir fragten ihn, welches Schicksal für die unbegleiteten Minderjährigen vorgesehen war, die schon mindestens seit 5 Stunden in dem oben erwähnten grünen Zelt warteten, ohne die 48 Stunden, die sie noch auf dem Schiff im Hafen verbracht hatten, zu vergessen. Während wir sprachen, ist die Gesamtzahl der unbegleiteten Minderjährigen von etwa 20 auf 32 gestiegen. „In Messina gibt es keine freie Plätze mehr, alle Zentren sind überfüllt. Wir warten auf Anweisungen seitens der Präfektur. Die Minderjährigen, die in den letzten 2 Tagen angekommen sind, sind in den Zentren um Messina herum untergekommen; 78 in der ehemaligen Kaserne Gasparro, 5 in Giampilieri in dem von der Genossenschaft Santa Maria della Strada geführten Zentrum und 4 in Fondachelli Fantina“. Wir haben die Offenheit des Beamten ausgenutzt und die Schwierigkeiten der Aufnahme und besonders des Schutzes der unbegleiteten Minderjährigen auf dem ganzen Regionalgebiet unterstrichen. Bezüglich Messinas haben wir die Unangemessenheit der ehemaligen Kaserne Gasparro hervorgehoben, sowohl im Hinblick auf die Aufnahme, als auch unter der Berücksichtigung der im letzten Juni erfolgten Umwandlung in ein Zentrum, das ausschließlich für die Unterbringung von unbegleiteten Minderjährigen gedacht ist, dessen rechtlicher Charakter jedoch unbestimmt ist. Herr Zaccone hat ohne Weiteres unsere Bedenken geteilt, allerdings hat er darauf hingewiesen, dass die Kaserne Gasparro nicht in die Zuständigkeit der Gemeinde fällt, sondern in die der Präfektur. Wir konnten das nur bejahen. Wir hatten schon, Mitte August, eine Anfrage an die Präfektur gestellt, um die Erstaufnahmestrukturen in Messina am darauf folgenden Tag besuchen zu dürfen, leider immer noch ohne Antwort.
In
der Erwartung, dass der neue Präfekt am 5. September sein Amt
antritt und in der Hoffnung, bald eine Antwort zu unserem Gesuch
zu erhalten und letztendlich den Zugang zu den Strukturen zu bekommen
und dort Klärung für unsere Fragen in Bezug auf diese neue
Landungsmodalitäten zu erhalten, verlassen wir ratlos und betrübt
den Hafen. Den letzten Gruß, direkt und ohne Zögern, widmen wir
einem Jungen, der seit Stunden unter dem Zelt wartet: Wir wünschen
ihm „Good Luck“, das wird er sicherlich brauchen!!
Elio
Tozzi
Borderline
Sicilia
PRC*
Partito Rifondazione Comunista (Linke Partei Italiens)
Amal*
- Auf Arabisch Hoffnung
Aus
dem Italienischen von A. Monteggia übersetzt