- Hotspot, Zurückweisungen und Abschiebungen: Weitere Zuwiderhandlungen und widerrechtliche Verfahren in Italien
- Sorgen um die, die ankommen und Andenken an die, die es nicht geschafft haben
- Existenzaufbau in Italien: die bewährten Praktiken einiger Zentren in der Provinz Ragusa
- Die Ausbeutung der Migranten ist ein offenes Geheimnis. Der Fall des Lagers in der Gemeinde Campobello di Mazara
- News und Events: die Roadmap kommt und das Recht auf Asyl wird zur Utopie
HOTSPOT, ZURÜCKWEISUNGEN UND ABSCHIEBUNGEN: WEITERE ZUWIDERHANDLUNGEN UND WIDERRECHTLICHE VERFAHREN IN ITALIEN
Italien vernachlässigt das
Asylrecht, um die europäischen Anforderungen zu erfüllen.
In Pozzallo prangert Ärzte ohne Grenze öffentlich das an, was
während und nach der Ankunft der Migranten passiert und berichtet darüber in der
Parlamentarischen Enquetekommission, die sich mit dem Thema Aufnahme beschäftigt.
Mangelnde Informationsvermittlung und keine angemessene Unterstützung für die
Asylsuchenden, Anwendung von Täuschungen, um an die Fingerabdrücke zu gelangen:
Das sind nur einige der Indizien, die den Verdacht erregen, dass hier schleichend
eine vorläufige Festnahme eingeführt wird, ohne richterliche Kontrolle und unter
Missachtung der Grundrechte der Migranten, die nicht sofort abgeschoben,
sondern in einem unwürdigen Ort festgehalten werden. Auch der Zustand des
Zentrums in Pozzallo ist weit entfernt von den Mindeststandards: Es handelt
sich um einen inakzeptablen Zustand, der eines dringenden und strukturierten
Einschreitens bedarf.
Die Widerrechtlichkeit einiger
Verfahrensweisen betrifft teilweise auch besonders schutzbedürftige
unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, die bei der Ankunft fälschlicherweise
als volljährig registriert und demnach zu einem späteren Zeitpunkt abgewiesen
werden. Auch in den Anprangerungen durch den UNHCR und Save The Children wird über den Mangel an Informationsvermittlung
vor dem polizeilichen screening gesprochen und das Schicksal von Jugendlichen,
die schwere Gewalttaten erlitten haben, ruht in den Händen von wenigen
hartnäckigen Rechtsanwälten und Aktivisten.
Aber die Unverschämtheit geht noch
weiter: Die italienische Regierung stellt die europäischen Interessen vor die
Beachtung der Menschenrechte und beteiligt sich stillschweigend an der
Abwicklung einer Erstaufnahme, die wirtschaftliche Faktoren in den Vordergrund
stellt. Immer mehr Asylsuchende bekommen einen Abschiebungsverweis im Anschluss
an die Ablehnung des Antrags auf internationalen Schutz durch die Präfektur von
Agrigent. Ein rechtswidriges Verfahren den Migranten gegenüber, denen das Recht
zusteht, Einspruch gegen die Ablehnung einzulegen und denen, weil sie noch als
Asylsuchende zu betrachten wären, auch
ein Obdach zustünde und die hingegen auf die Straße geschickt werden, wo sie
komplett schutzlos der Ausbeutung ausgeliefert sind. In einer Pressemitteilung fordert
Borderline Sicilia ein Treffen mit den zuständigen Präfekturen bezüglich der
neuen Verfahren, die ihren Ursprung in den Richtlinien der neuen Road Map des Innenministeriums
finden.
http://siciliamigrants.blogspot.de/2015/11/die-fabrik-der-irregularen.html
SORGEN UM DIE, DIE ANKOMMEN UND ANDENKEN AN DIE, DIE ES NICHT GESCHAFFT
HABEN
Weitere hunderte Migranten kommen
auf Sizilien an und jedesmal kommt die Befürchtung wieder auf, dass ihnen
gegenüber rechtswidrige Verfahren angewandt werden und das neben der Angst,
dass die Unterbringung menschenunwürdig sein könnte. Es geht sogar so weit,
dass bezweifelt wird, ob überhaupt die Möglichkeit des Antrags auf Schutz, der
Rechtsauskunft und der Hilfeleistung besteht. Es herrscht außerdem weiterhin
Unsicherheit bezüglich der Behandlung der Migranten, die auf andere Länder
aufgeteilt werden sollen.
Bei jeder Ankunft werden vermeintliche
Schlepper festgenommen und über diese Tatsache wird in den Medien ganz groß
berichtet, viel mehr als über die katastrophale Lage in den Herkunftsländern
der Migranten. Diese Menschen werden nur als eine Zahl in der Statistik geführt
und nicht als Menschen mit einer Geschichte wahrgenommen. Von ihnen erzählen
uns die Flüchtlinge, die als Zeugen darüber befragt werden, wer denn das Boot
gesteuert hat, in dem sie angekommen sind. Diese „Schleuser“ sind Männer und
Jugendliche, die gemeinsam mit den anderen Migranten Gewalt und Willkür erlebt
haben.
Die Lage in vielen Aufnahmezentren
ist für die Migranten unerträglich, auch weil sie sich nicht verständigen
können. In vielen Zentren sind die Leistungen auf ein Minimum reduziert und die
Migranten sind sich selbst überlassen: In so einer Situation ist das Warten auf
die Papiere nicht auszuhalten. Eine neue Herangehensweise, gekennzeichnet von
Respekt und dem Wunsch den Gegenüber kennenzulernen, könnte den Unterschied
machen, obwohl die bürokratischen Hürden das zentrale Problem bleiben. Siehe
hierzu die Beispiele des Zentrums in Canicattini und S. Giuseppe Iato unweit
von Palermo.
Auch die aus Christen, Juden und
Muslime bestehende Gruppe, die sich an dem palermitanischen Friedhof Rotoli
trifft, um die gestorbenen Migranten mit einem Gebet zu ehren, bekräftigt wie
wichtig es sei, die Gleichgültigkeit zu bekämpfen und über die einzelne
Schicksale zu berichten. Der Respekt dem Leben gegenüber und die Rechte jedes
Menschen lassen die Forderungen nach humanitären Kanälen stärker werden und der
Anspruch auf menschenwürdige Unterbringung in den Ankunftshäfen und im
Angesicht des Todes wird immer lauter eingeklagt.
EXISTENZAUFBAU IN ITALIEN: DIE BEWÄHRTEN PRAKTIKEN EINIGER
ZENTREN IN DER PROVINZ RAGUSA
Die Tatsache, dass die
Flüchtlingsaufnahme wie ein Notfall gehandhabt wird, hat dazu geführt, dass das
Wort Aufnahme seinen Sinn verloren hat. Jene Menschen, die Italien erreichen,
haben nicht nur das Recht auf eine würdevolle Unterstützung, sondern sie haben
auch das Recht an ihre eigene Zukunft als freie und autonome Bürger des neuen
Auffangstaates zu denken. Glücklicherweise gibt es einige Zentren, in denen das
Konzept der Aufnahme im besten Sinne realisiert wird und nicht nur ein
niedergeschriebenes Ziel bleibt. So zum Beispiel im hochspezialisierten Zentrum
für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Ragusa. Dort versuchen die
Mitarbeiter die vorgeschriebenen Dienste zu optimieren und vor allem den
künftigen Wohlstand ihrer Bewohner im Auge zu haben ohne diese, im
empfindlichen Moment nach der Ankunft allein zu lassen. Auch im
außerordentlichen Aufnahmezentrum für Frauen und Männer, Villa Tedeschi in Modica muss den unzähligen Schwierigkeiten,
verursacht durch die Schwerfälligkeit der Bürokratie, die Erwartungen und das
Unverständnis getrotzt werden. In der Villa
Tedeschi versucht man viel Aufmerksamkeit auf den Aufbau von Netzwerke vor
Ort, die Momente der Anteilnahme sowie auf das Zusammenleben zu lenken. Dies
hilft den Migranten ihr Leben wieder in die Hand zu nehmen; Zwar in kleinen
Schritten, aber dennoch wichtige Beziehungen zu knüpfen, die die Integration
erleichtern.
DIE AUSBEUTUNG IST EIN OFFENES GEHEIMNIS. DER FALL DES
LAGERS IN DER GEMEINDE CAMPOBELLO DI MAZARA
Wie es scheint sind
Migranten in Italien nur dann willkommen, wenn sie ihre Arme zum Arbeiten
einsetzen. Für den wirtschaftlichen Profit so mancher, sind sie als
Arbeitskräfte unentbehrlich. So auch in der kleinen Gemeinde Campobello di
Mazara, wo ihre Mithilfe bei der Olivenernte seit mittlerweile mehr als zehn
Jahren von den Einrichtungen, den Politikern und den Landbesitzern stillschweigend
hingenommen wird. Sie alle tolerieren die Ausbeutung hunderter Migranten, die keine
andere Arbeit kriegen können und die zudem erpressbar und verzweifelt sind. Im
Lager neben den Feldern treffen wir auf solidarische Bürgerinnen und Bürger,
die sich unter großen Mühen dafür einsetzten, dass die Bedingungen angemessen
bleiben. Sie sensibilisieren die Arbeiter in Bezug auf die Ausbeutung und ihre
Vertragskraft. Außerdem treffen wir auf Migranten, von denen wir nie geglaubt
hätten, sie hier anzutreffen.
NEWS UND EVENTS: DIE ROADMAP
KOMMT UND DAS RECHT AUF ASYL WIRD ZUR UTOPIE
Mit der Unterzeichnung
der Roadmap beginnt Italien die
Einwanderungsvereinbarungen, die es mit Europa geschlossen hat, auszuführen: der
Ausbau der Abkommen mit afrikanischen Staaten, darunter Nigeria und Gambia; die
Anwesenheit von Konsulatsmitarbeiter während der Identifizierungsphase; die
Rückführungen in die Heimatländer und die Übersiedelungen in die
Identifikations- und Abschiebezentren. Das sind nur einige Punkte der
Vereinbarung, doch sie lassen den blinden Anstieg der Abschiebungen und
Zurückführungen bereits erahnen. Im Gegensatz dazu vervielfacht sich die Zahl
der Asyl-Ablehnungen und die Anhörungen bei der Kommission werden für jene, die
es schaffen auf italienischem Territorium zu bleiben und um Asyl anzufragen,
immer unsorgfältiger.
Mehr
Infos in italiensicher Sprache zur neuen Road Map finden Sie unter: http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/resources/ministry_of_interior_roadmap_for_relocation.pdf
Veröffentlicht von
Borderline Sicilia
Aus dem Italienischen von Antonella Monteggia
und Elisa Tappeiner