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Sonntag, 22. November 2015

Das Recht auf Asyl wird zur Utopie

In diesen Wochen, in denen sich die Nachrichtenmeldungen anderen Angelegenheiten widmen, verweigert Italien weiterhin jungen Migranten Zukunft und Hoffnung. Diese jungen Migranten sind aus den Händen der Terroristen, vor den 'demokratischen' Bomben, vor den multinationalen Unternehmen und vor der Sklaverei geflüchtet. Nachdem sie es durch die Wüste und über das Meer geschafft haben, sind sie unter Brücken oder Arkaden gelandet.

Die Hoffnung von der wir reden heißt internationaler Schutz. Doch sowohl für jene, die schon seit geraumer Zeit in Italien sind, als auch für jene, die in diesen Tagen ankommen, scheint Asyl vor allem eine Utopie. In absoluter Stille hat die italienische Regierung Abkommen mit einigen afrikanischen Ländern (Tunesien, Ägypten, Nigeria, Gambia) unterzeichnet oder bereits bestehende Verträge überarbeitet. Die Abkommen, hinter denen immense Geldsummen stehen, sollen sowohl die (illegalen) Reisen nach Europa verhindern, als auch die zügige Rückführung all jener ermöglichen, die weder von der Wüste, noch von den Menschenhändlern oder vom Meer gestoppt wurden.

Diese Abkommen gehen aus der „road map, einem von der Regierung abgefassten Dokument hervor, in dem die Absichten Italiens und die Versprechungen Europas im Bereich der Migration schwarz auf weiß dargestellt werden und hinter denen beträchtliche Geldsummen stecken. 
Das Abkommen mit der nigerianischen Regierung beinhaltet zum Beispiel eine Kursänderung bezüglich der  Möglichkeit auf internationalen Schutz: seit einigen Monaten werden Nigerianer, die ihren Fuß „illegal“ auf italienischen Boden setzten, direkt in ein CIE* gebracht, zur raschen Identifizierung von Seiten der afrikanischen Botschaft und mit der Bestätigung zur sofortigen Zurückführung in ihr Heimatland.
Bei den letzten Ankünften auf Lampedusa, in Pozzallo und in Trapani (wobei ein Mann sein Leben verlor und nur sein Leichnam am Hafen ankam), wurden die Nigerianer direkt in das CIE von Pian del Lago bei Ponte Galeria und in das CIE von Milo gebracht. 70 Frauen und 20 Männer kamen in das CIE von Pian del Lago und weitere 34 Personen wurden mit der Fähre nach Porto Empedocle gebracht und kamen in das CIE von Milo, obwohl diese auf der Fähre vergeblich den Willen geäußert haben, Asyl zu beantragen.
Tatsächlich ist allen der Zugang zum Asylverfahren verweigert worden. Zum Glück und dank der Informationen von den Mitarbeitern der OIM (Internationale Organisation für Migration), ist es den Nigerianern, die in das CIE von Trapani kamen gelungen, den Antrag zu stellen. Die Massenrückführung der 90 Personen im Zentrum Ponte Galeria in Rom wurde dank des Einsatzes der antirassistischen Vereinigungen gestoppt. Diese haben sich rechtzeitig eingeschaltet, um mit ihrer Hilfe, das Vorgehen zu verhindern, das leider in den letzten Wochen zur Normalität geworden ist.

Wenn nicht mit Botschaftern oder Konsulen zusammengearbeitet wird oder wenn die Plätze in den CIE ausgelastet sind, kümmern sich die Polizeipräsidien um die Veranlassung von illegalen Rückführungen. Deren Ausführung wurde schon oft von sizilianischen Gerichten verhindert.
Die zahlreichen Hinweise, die uns von verschiedenen Seiten bekannt sind, sprechen von einer nicht vorhandenen Informationsvermittlung gegenüber der soeben angekommen Migranten. Sie sind dazu aufgefordert Fragebögen auszufüllen, die ihnen von den Frontex Mitarbeitern ausgeteilt wurden. Dabei müssen sie ihren Namen, ihre Nationalität und ihr Geburtsdatum angeben, aber nicht ihr Motiv, weshalb sie nach Italien gekommen sind.

Uns fällt außerdem auf, dass sich dutzende Migranten, die vom Rückführungsdekret betroffen sind,  an die sizilianische Polizei gewandt haben und darum gebeten haben einen Asylantrag zu stellen. Ihr Glück war es gute Anwälte zu treffen, die zu ihrer Verteidigung und zum Kampf für die Anerkennung ihrer Rechte bereit waren. Dieses Glück hatten auch 13 Pakistaner und 2 Malier, die am vergangen 5. November von Lampedusa nach Agrigento gekommen sind. Dort hat ihnen die Polizei mitgeteilt, dass die Vorkehrungen für ihre Ausweisung getroffen wurden. Am 11. November sind sie in Palermo gelandet, wo ihnen die Tür der Einwanderungsbehörde vor der Nase zu geschlagen wurde und sich die Beamten weigerten ihren Antrag auf internationalen Schutz anzunehmen, eine Handlung, die jeglichem Gesetz widerspricht.
Die einzige Lösung für jene, die keine Vereinigung (die Vereinigungen zur Unterstützung der Obdachlosen machen zur Zeit außerordentliche Schichten) oder keinen bereitwilligen Anwalt finden, die sie unterstützen, ist die Straße, wo sie erneut Demütigung erfahren und wo ihnen erneut ihre Würde genommen wird. Gleichzeitig entsteht durch diese Praxis ein Heer von unsichtbaren Menschen. In diesen Stunden irren hunderte Personen malischer, nigerianischer, pakistanischer oder senegalesischer Herkunft durch italienische Städte. Mit dem Ausweisungsbescheid in ihrer Tasche, versuchen sie ein Polizeipräsidium zu finden, das ihren Antrag auf Asyl entgegen nimmt, eine Handlung, die eigentlich zu den Grundrechten eines jeden Menschen gehört! Die italienische Regierung beabsichtigt bereits am Hafen zu entscheiden wem internationaler Schutz zugesprochen wird und wem nicht. Dabei will man sich ausschließlich auf die Nationalität der Migranten berufen und nicht auf deren persönliche Schicksale.

Um den Rückstand zu überwinden, behelfen sich die sizilianischen Territorialkommissionen mit der Einwilligung der internationalen Organisationen, wie des UN-Hochkommissariats für Flüchtlinge (das laut Konvention das Recht auf Asyl schützen müsste) auch einer anderen beschämenden Praxis, die ebenfalls den Versprechen der „road map“ widerspricht. Da die durchschnittliche Wartezeit auf die Anhörung bei der Asylkommission noch immer zwischen 15 und 18 Monate beträgt, führen die sizilianischen Territorialkommissionen Anhörungen durch, die 30 oder maximal 40 Minuten dauern. Das Ergebnis sind oberflächliche Interviews basierend auf vorgedruckten Mustern, die das Recht der Asylantragsteller deutlich verletzen. In den letzten Wochen wurden sehr viele Asylanfragen abgelehnt. Unter allen abgeschlossenen Anträgen erreichten die Ablehnungen Spitzenwerte bis zu 60 Prozent.  (Die Ablehnungen haben in den letzten zwei Jahren zugenommen). Die Personen, denen kein Asyl zugesprochen wurde, so bezeugen es die Mitarbeiter der Aufnahmezentren, sind das Warten müde und es leid gegen das Monster der italienischen Bürokratie anzukämpfen; deshalb entfernen sie sich entmutigt aus den Zentren und tauchen ab in die Welt der Unsichtbaren. Den Präfekturen, die somit wieder einen freien Aufnahmeplatz mehr haben, tun sie damit einen Gefallen.
Alle diese Missstände des Systems provozieren Unzufriedenheit zwischen den Flüchtlingen und  den Asylantragstellern. In Zentren wie dem CSPA* von Lampedusa weigern sich die kürzlich angekommenen Migranten ihre digitalen Fingerabdrücke abzugeben, außerdem haben sie einen Hungerstreik begonnen. Lampedusa ist der erste „Hotspot“ Italiens, ein Labor von Frontex und anderen europäischen Agenturen. Von Lampedusa aus werden die Migranten nach Rom (CIE, Ponte Galeria) überführt, bevor sie die Rückführung erwartet (zum Beispiel die Nigerianer). Auf Lampedusa kommt man in kleinen Schiffchen zu 14 Mann an, wird man aufgespürt oder als Tunesier erkannt, kommt man nach Palermo von wo aus regelmäßige Abschiebungen per Flugzeug  nach Tunis durchgeführt werden.

Zu all dem kommen noch die verspäteten Zahlungen der Präfekturen an die Aufnahmezentren, eine Tatsache, die die anstrengende Arbeit der kleinen Betreiber erheblich verkompliziert und sie dazu zwingt ihre Tore zu schließen. So machen die Kleinen Platz für die Haifische des Business der Einwanderung, welche die Migranten dann gefräßig unter sich aufteilen. Wenn wir all das bedenken, ist klar, dass das System nicht mehr nur 'die italienische Art', sondern mittlerweile eine europäische Variante ist, welche die Garantie für Schutz mehr und mehr verringert, den Zugang zu den Grundrechten erschwert und ihn immer öfter ganz unmöglich macht.

Wir versuchen uns all dem entgegenzustellen, denn der Respekt der Grundrechte liegt in der Pflicht eines Staates, der sich als zivil und demokratisch bezeichnet. Wir fordern Treffen mit den Präfekturen und der Polizei Siziliens und schlussendlich auch die Einstellung der illegitimen Praktiken. Wir fordern, dass nach einvernehmlichen Lösungen gesucht wird, damit das Recht auf Asyl nicht zur Utopie wird.

Alberto Biondo
Veröffentlich von Borderline Sicilia

*CIE – Centro di Identificazione ed Espulsione: Identifikations- und Abschiebezentrum
*CSPA – Centro di Soccorso e prima Accoglienza: Zentrum zur Ersten Hilfe und Erstaufnahme

Aus dem Italienischen von Elisa Tappeiner