von Radiopopolare
Cristina Artoni
Es ist wenig mehr als ein Monat seit der Erklärung der Pressesprecherin des Hochkommissariats für Flüchtlinge Carlotta Sami vergangen, in welcher das Umverteilungsprogramm für Geflüchtete als ein "erster positiver Schritt" bezeichnet wurde. Der Plan, der von Brüssel nach einer Reihe von Gipfeln entschieden worden war, wurde als die Entwicklung eines Erstaufnahmesystems von irregulären Migrant*innen präsentiert. Dieses sieht vor, Flüchtlinge nach dem Betreten europäischen Bodens mit Hilfe eines Quotensystems auf den Rest des Kontinents zu verteilen.
In Wirklichkeit entpuppt sich dieses Projekt aber immer mehr als eine große Organisationsmaschinerie, durch welche zweifelhafte Abschiebungsverfahren vollzogen werden. Sizilien und Griechenland, die Eingangspforten zur Europäischen Union, sind unfreiwillig auch das erste Versuchslabor dieses Brüsseler Programms geworden.
In Catania wurde ein Büro der europäischen Agentur Frontex eröffnet. In Lampedusa, Pozzallo, Trapani, Porto Empedocle und Augusta, Orte an denen die größten Ankunftszahlen registriert werden, sind die berühmten Hotspots in Betrieb genommen worden, bei welchen es sich im Wesentlichen um Identifikationszentren handelt. Nur sehr wenige Migrant*innen erhalten hier die Möglichkeit einen Asylantrag zu stellen, in der Hoffnung so regulär ein anderes europäisches Land erreichen zu können, das der Einführung des Quotensystems zugestimmt hat.
Mit den Neuankömmlingen an den sizilianischen Häfen führt die Polizei ein kurzes Interview, auf welches die Überreichung einer Verordnung folgt, das darauf hinweist Italien innerhalb von sieben Tagen zu verlassen. Hunderte Menschen enden so auf der Straße ohne zu wissen, wohin sie gehen sollen. Es handelt sich dabei um die „aufgeschobenen Abschiebungen“ von sogenannten „Wirtschaftsgeflüchteten“ Das sind vorrangig Männer und Frauen, die aus Westafrika stammen: Burkina Faso, Mali, Gambia, Senegal, Nigeria, Togo, Elfenbeinküste und Guinea.
Frontex streitet ab, dass die einzigen Personen die einen Asylantrag stellen könnten, Geflüchtete aus Eritrea und Syrien seien. Doch das Polizeipräsidium von Catania liefert den Gegenbeweis. Radio Popolare hat in den Straßen des Stadtzentrums hunderte Migrant*innen getroffen, welche aus den Erstaufnahmezentren entfernt und allein gelassen wurden, ohne jegliche Hilfe seitens der Institutionen.
Laut Anzeigen des Vereins Borderline Sicilia kommen viele von ihnen über Lampedusa, wo in den Hotspots Voridentifizierungen seitens der Mitarbeiter*innen der Polizeibehörde in Zusammenarbeit mit Frontexbeamt*innen durchgeführt werden. Letztere sind bereits eine feste Institution auf der Insel. Die Migrant*innen, welche ohne Hilfe in Palermo, Agrigent und Catania zurückgelassen werden, berichten dass sie bei ihrer Identifizierung nur nach Name, Geburtsdatum und Nationalität gefragt wurden. Es gibt keinerlei Fragen bezüglich der Fluchtursache, zum Asylantrag und vor allem wird ihnen nicht das Informationsschreiben über ihre Rechte in Italien überreicht, wie es das Gesetz eigentlich vorsieht.
Das Registrierungsverfahren der Migrant*innen ist nach wie vor das Selbe: Sie werden mithilfe von Fotografien und Fingerabdrücken identifiziert. Das alles innerhalb von 48 Stunden nach ihrer Ankunft. Es handelt sich um Abläufe, welche von italienischem Personal abgewickelt werden, unter der Aufsicht von Frontex. In diesem Vorgang mangelt es an Transparenz, wie Radio Popolare in einer Reportage aufzeigt. Die Abschiebungsverfahren werden auf widersprüchliche Weise begründet. Die Abläufe unterscheiden sich zwischen den einzelnen Hotspots. Zudem ist die Europäische Kommission bereit, Verfahren gegen einige EU-Länder, zu welchen auch Italien gehört, einzuleiten, da diese ihrer Pflicht, die Fingerabdrücke der Asylsuchenden zu nehmen, nicht nachgekommen seien.
Eine neue Bestätigung aus Brüssel bezüglich der politischen Linie zur Verfahrensweise mit dem Migrationsphänomen: Eine militärische Antwort auf einen nicht zu stoppenden Zustrom. Es ist nicht nur ein Eindruck, wir haben ihre Bestandselemente bereits vor Augen, wie Borderline Sicilia betont: „Die italienische Regierung, getrieben von der Europäischen Union, hat beschlossen einige Verfahrensweisen einzuleiten, welche den Einsatz von italienischen und europäischer Polizeikräften vorsehen und Rechtsprechung und Legalität außer Kraft setzen. Diese Dynamiken erscheinen gänzlich rechts- und gesetzeswidrig, als dass sie auf unmenschlichen und menschenunwürdigen Umgangsweisen basieren.“
Aus dem Italienischen von Giulia Coda