„Seven Days“, so nennen die Geflüchteten die Verfügung
zur „verzögerten Abschiebung“ nach Artikel 10 Absatz 2 des vereinheitlichten
Texts zur Migration, die sie dazu auffordert, das italienische Territorium
innerhalb von sieben Tagen vom Flughafen Fiumicino in Rom aus zu verlassen. In
den letzten Monaten hat dieses Schicksal Hunderte von Menschen getroffen und, wie
in den letzten Tagen registriert wurde, steigt das Phänomen konstant an. In der
Provinz von Agrigent wurde die kritischste Situation aufgezeichnet, was kein
Zufall ist.
Von den in Sizilien vorgesehenen Hotspots in der italienischen Road Map ist der einzige offiziell Aktive der Ex-CPSA* auf Lampedusa. Nach der kurzzeitigen Ausnahme dank Mare Nostrum, ist die Insel wieder der Hauptankunftsort, ein wichtiger Kreuzweg für das Schicksal der im Meer geretteten Flüchtlinge.
Auch wenn es alles andere als einfach ist, die Modalitäten der Verwaltung des Zentrums nachzuprüfen, können wir den vielen Zeugenaussagen der zurückgewiesenen Flüchtlingen, die im Gebiet rundherum aufgefunden wurden, zufolge und die von verschiedenen belastbaren Quellen bestätigt wurden, Folgendes rekonstruieren:
Nach den Landeprozeduren werden die Flüchtlinge einer Gesundheitskontrolle auf dem Kai am Hafen von Lampedusa unterzogen, um anschließend zum Hotspot gebracht zu werden. Dort führen die Spezialpolizeieinheiten das Verfahren zur fotografischen Identitätssicherung fort und teilen die Registrierungsformulare aus. Die Priorität, die von Brüssel gesetzt wird, ist es, direkt mit der Aufteilung der Flüchtlinge fortzufahren: Asylbewerber*innen und sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge. Das Ziel, Erstere aufzunehmen und Letztere abzuschieben, ist klar. Die physische Aufteilung erfolgt an Bord der Fähre, die Lampedusa mit Porto Empedocle verbindet. Die Asylbewerber*innen werden in das Zentrum in Villa Sikania (Siculiana) überführt, während den „Wirtschaftsflüchtlinge“ an Bord der Fähre das Verfahren zur Abschiebung des Polizeipräsidiums von Agrigento erklärt wird. Anschließend werden sie nach Agrigent gebracht und auf der Straße in der Nähe des Bahnhofs zurückgelassen, ohne jegliche Information.
Sie sind zahllos und verschiedener Natur, die Kritikpunkte, die bisher an die Oberfläche gedrungen sind. Abschiebeverfahren, die lediglich auf der Nationalität beruhen, und zu deren Überprüfungsmaßnahmen gleichermaßen Zweifel gehegt werden, scheinen unrechtmäßig. Davon abgesehen, dass bilaterale oder multilaterale Abkommen zur Wiederaufnahme mit Drittstaaten bestehen, sollte immer auch die persönliche Verfassung der Person berücksichtigt werden. Wir nehmen jedoch immer mehr von kollektiven Abschiebungen Notiz, und darüber hinaus scheint das Asylrecht stark von der neu angenommenen Linie untergraben. Derlei Praktiken erweisen sich ferner als diskriminierend. Den Zugang zum Asylverfahren auf der Basis der Staatsangehörigkeit zu verwehren bedeutet gegen ein Persönlichkeitsrecht zu verstoßen, das von internationalen und nationalen Standards festgelegt ist. Analog dazu ist die Weigerung des Polizeipräsidiums Agrigents unrechtmäßig, Anträgen auf Internationalen Schutz, gestellt von bereits durch zurückgewiesenen Migrant*innen, stattzugeben.
Die oben beschriebenen schweren Verstöße produzieren eine Notfallsituation in Agrigent, die sich bis zu den anderen großen Städten Siziliens erstreckt. Die zurückgewiesenen Geflüchteten werden buchstäblich auf der Straße zurückgelassen. Die Freiwilligenorganisationen tun ihr Mögliches und noch mehr, doch schaffen sie es nicht die notwendige Unterstützung zu leisten. Die Schlafsäle sind überfüllt und heute sind in Agrigent viele Geflüchtete dazu gezwungen, auf der Straße zu schlafen. Darüber hinaus beginnen die Zahlen besorgniserregende Größen zu erreichen. Ungefähr 40 zurückgewiesene Geflüchtete sind am Dienstag, den 8. Dezember, angekommen, dazu kommen ungefähr 50, die zwischen heute und gestern angekommen sind. Es ist angebracht, daran zu erinnern, dass die Fähre zwischen Lampedusa und Porto Empedocle, abgesehen von Ausnahmefahrten, morgens losfährt und am Abend ankommt. Das bedeutet, dass die Geflüchteten gegen zehn Uhr abends am Bahnhof von Agrigent entlassen werden – wenn keine Züge mehr fahren. Viele von ihnen haben es in den letzten Tagen geschafft, Palermo und Catania zu erreichen, jedoch erwartete sie in beiden Städten die gleichen Schwierigkeiten dabei, freie Plätze in den Schlafsälen zu finden.
Außerdem weisen wir auf verschiedene Abschiebungsbescheide für Asylbewerber*innen von der Präfektur von Agrigent hin, die gleichzeitig mit der Ablehnung des Internationalen Schutzgesuchs erlassen wurden.
Zu den Vorfällen um die „verzögerten Abschiebungen“ und die Abschiebung von Asylbewerber*innen haben Borderline Sicilia, die Caritas und die Sezione siciliana Asgi ein Treffen in der Präfektur gefordert und eine Zusage erhalten, sodass es am vergangenen 3. Dezember stattfinden konnte. Die schwerwiegende Situation der Zurückweisungen wurde dennoch aufgrund der Abtrünnigkeit des Polizeipräsidiums nicht erschöpfend diskutiert. Bei dem Treffen war die Leiterin des Bereichs IV Zivilrecht, Staatsangehörigkeit, Rechtliche Stellung der Ausländer, Immigration und Asylrecht, Frau Passalacqua und zwei Funktionäre der Präfektur anwesend. Ein Aspekt der wiederholt während des Treffens zutage kam, war die neue Ausrichtung, die das Innenministerium vorgibt und welche Frau Passalacqua ständig in Bezug auf verschiedene Rundschreiben erwähnte (insbesondere auf eines, das um Mitte September herum vom Innenministerium gesandt worden war). Diese lässt keinerlei Verhandlungsspielraum in Bezug auf das Schicksal derjenigen Geflüchteten, die aus Ländern gekommen sind, mit denen Italien über Rückführungsabkommen verfügt. Selbstverständlich vorausgesetzt, dass kein Rundschreiben und/oder eine Road Map geltende Gesetze aufheben kann, ist es nötig darauf hinzuweisen, dass auch viele Fälle von somalischen Staatsbürgern registriert sind, die abgeschoben wurden, da sie sich weigern, sich den Identifikationsverfahren zu unterziehen. Schlussendlich haben wir kürzlich verschiedene Hinweise auf Jugendliche erhalten, die willkürlich als volljährig identifiziert und abgeschoben wurden.
Im Lichte dessen, was bisher berichtet wurde, erklären wir unsere tiefgehende Sorge über die aktuelle Situation und bitten dringend um ein neues Treffen mit der Präfektur und dem Polizeipräsidium in Agrigent zwecks einer Diskussion über jene Praktiken, die Menschenrechte verletzen und riskieren, den x-ten sozialen Notstand zu erzeugen. In der Hoffnung, dass das sofortige Einstellen der erwähnten Praktiken erreicht werden kann, wie es vor Kurzem in Catania, nach dem Treffen, das mit lokalen Autoritäten und Vertreter*innen der Zivilbevölkerung abgehalten wurde der Fall war.
Redazione Borderline Sicilia Onlus
*CSPA – Centro di Soccorso e prima Accoglienza: Zentrum zur Ersten Hilfe und Erstaufnahme.
Übersetzung aus dem Italienischen von Alina Dafne Maggiore