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Mittwoch, 2. Dezember 2015

Das Cara von Mineo: Etappen der Antimafiauntersuchung

Blogsicilia – Die Untersuchung der parlamentarischen Antimafia-Kommission des sizilianischen Regionalparlaments wurde am 6.Februar 2014 beschlossen, noch bevor das nationale Parlament den Untersuchungsausschuss über das System der Aufnahme und Identifikation eingesetzt hat (17. November 2014) und vor der gerichtlichen Untersuchung, die als Mafia Capitale bezeichnet wird (Juni 2015).

Das Material der Untersuchung
In einer Einvernahme sind acht Bürgermeister angehört worden (Castel di Ludica, Licodia Eubea, Mineo, Palagonia, Ramacca, San Michele di Ganzeria, Raddusa, Vizzini) und der Direktor des Konsortiums der Gemeinden „Calatino1 - Land der Aufnahme“, Giovanni Ferrera, der für die Verwaltung des Cara2 von Mineo verantwortlich ist. Für eine allgemeine Rekonstruktion des Phänomens hat die Kommission zwischen Januar und Mai 2015 den Innenminister Angelino Alfano vorgeladen; des Weiteren den Chef der Abteilung des Innenministeriums für bürgerliche Freiheit und Immigration, Präfekt Mario Morcone, den Präfekten von Palermo, Francesco Cannizzo und den Präsidenten des Anci3-Sicilia, Leoluca Orlando.
Die Kommission hat ferner von den Präfekturen und in den betreffenden Arbeitsagenturen die Verzeichnisse der in jeder Provinz bestehenden Einrichtungen und der unter Vertrag stehenden Beschäftigten an sich genommen, die von den in die Aufnahme und die Versorgung der Migranten involvierten Unternehmen genutzt werden.
Um die Rekonstruktion zu vervollständigen, wurde auch die Einvernahme des Untersekretärs Giuseppe Castiglione vor der aus beiden Kammern bestehende Kommission für die Aufnahme und Identifikation angeordnet.

Die Ziele
Durch den Beschluss für die Untersuchungen hat sich die Kommission folgende Ziele gesetzt:
·      den Vorgang der Entstehung des Konsortiums der Kommunen und die Übertragung der Leitung und der Direktion des Konsortiums zu rekonstruieren;
·      die Gründe für die Entscheidung, Luca Odevaine als Berater der Betreibergesellschaft des Cara hinzuzuziehen, für seine verhinderte Ernennung zum Generaldirektor des Konsortiums und für seine anschließende Einstellung zu ermessen;
·      Informationen zu sammeln über die Auftragsvergabe für die dreijährige Leitung des Aufnahmezentrums;
·      die Methoden kennenzulernen, mit denen die Einstellungen im Cara und in den Sprar4 durchgeführt wurden;
·      die Lebensbedingungen der beherbergten Migranten und die ökonomischen und sozialen Auswirkungen auf die Gegend zu bewerten.

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Die Aktivitäten, die von der Kommission durchgeführt wurden, um Erkenntnisse zu gewinnen, haben die Existenz „eines roten Fadens“ bestätigt; der verbindet die Vorfälle im Cara und in den Sprar der Gegend von Catania mit dem politischen Milieu und den Hauptstadtinstitutionen.

Die Region Sizilien
Die Kommission prangert die unverantwortliche Entscheidung an, dass sich die Region in der schwierigen Phase des Notstandes geweigert hat, die Leitung des Cara durch den regionalen Zivilschutz zu übernehmen. Eine Region, die die politische Autonomie für sich beansprucht, hätte die Hauptakteurin sein müssen; stattdessen hat sie sich geweigert, überhaupt irgendeine Rolle zu spielen.

Der Untersekretär Castiglione
Castiglione hat offensichtlich eine rein politische Rolle gespielt, sowohl in der Anbahnung und in der Leitung des Cara in der Notfall-Phase wie auch im Übergang zur nachfolgenden Phase.
Die Entscheidung, für die Einsetzung eines Konsortiums der Kommunen zu stimmen, obwohl wahrscheinlich angeraten von Luca Odevaine (jedoch zu einer Zeit, in der diesem keine strafrechtlichen Verfolgungen drohten und er für einen tüchtigen „Technokraten“ im Umfeld der PD5 gehalten wurde) scheint in Castiglione einen überzeugten Unterstützer gefunden zu haben. Der Generaldirektor des Konsortiums hat berichtet: „Als die öffentliche Auswahl für den Posten des Generaldirektors getroffen wurde, hat er selbst (Castiglione) mir gesagt, dass er Odevaine sponsere, weil er der PD nahesteht – so hat er mir gesagt – um eine bessere Beziehung innerhalb seiner … zu haben“.

Luca Odevaine - der „Kopf“
Er hat die Bildung des Konsortiums der Kommunen angeregt und er blieb von 2011 bis 2014 die Schlüsselfigur des Cara von Mineo; er hatte Zugang zur zentralen Verwaltung, und er war die Bezugsperson sowohl in den Beziehungen zu den politischen Kräften, die sich in der Regierung des Landes abwechseln, wie auch zu den großen Dienstleistungsunternehmen.
Unter diesem Gesichtspunkt hält die Kommission fest: Die Entscheidung Odevaines, der erste Generaldirektor zu werden und, gescheitertes Ziel, Angestellter der Einrichtung, sei direkt verbunden gewesen mit seiner Absicht, in die Kommission für die Ausschreibung der Maxi-Auftragsvergabe berufen zu werden, um die Ausschreibung und ihr Ergebnis zu steuern. Mit diesem Sachverhalt hat sich auch die römische Richterschaft beschäftigt und die Anac6 von Raffaele Cantone.

Paolo Ragusa - der „Arm“
Paolo Ragusa, Unternehmer der Gemeinschaftsarbeit, war der „ausführende Arm“ des Cara.
Klarsichtiger Unternehmer, geschickt, politische Beziehungen zu pflegen, fähig, sich die Dienstleistungsversorgung im ersten Sprar zu sichern, das in der Provinz Catania entstand (Vizzini); zwei Jahre später, während des Notstandes durch die hohe Zahl an Anlandungen, war er der erste, der eine Akkreditierung im Cara von Mineo erhielt.
In kurzer Zeit hat Ragusa dank politischer Absprachen in der Gegend von Catania die Bedingungen für ein absolutes Monopol in der Versorgung der Migranten mit den unterschiedlichsten Dienstleistungen geschaffen.
Um sich weiterhin die nötige politische Deckung an der Spitze des Konsortiums zu sichern, das das Cara verwaltet, hat er sich dafür eingesetzt, dass seine eigene Beraterin Bürgermeisterin von Mineo wurde und Präsidentin des Gemeinschaftsunternehmens.

Giovanni Ferrera - der „Techniker“
Ferrera ist „der Techniker“, dessen sich Castiglione in der ersten Phase der Verwaltung des Cara bedient hat; er war durch die vom vorherigen Präsidenten Raffaele Lombardo getroffene Entscheidung seit 2004 externe Führungskraft der Provinz. Mit seiner Vergangenheit als Assessor der Kommune von Catania wusste Ferrara seine Fachkompetenzen mit der Flexibilität, die die Politik verlangt, auszubalancieren. Und doch hat er die „Dummheit“ begangen, (mit Erfolg) für den Posten des Generaldirektors im Konsortium, das das Cara verwaltet, zu kandidieren. Dennoch hat sich das Verhalten Ferraras in der Rolle des Direktors bei mehreren Gelegenheiten nicht als gradlinig und konsequent erwiesen. Er hat zugegeben, dass er die Beanstandungen des Verwaltungsrates übergangen und die Einstellung Odevaines eingeleitet hat, ohne den Rat noch einmal einzubeziehen. Gleichfalls hat er,- nach Ansicht der Anac - es nicht für nötig gehalten, irgendeine administrative Vorkehrung für den Wettbewerb um die Leitung des Cara zu treffen.

Die Bürgermeister des Konsortiums - das „Räderwerk“
In diesem komplexen Bild erscheinen die Bürgermeister der Gegend von Catania, die dem Konsortium angehörten, zum Großteil als Randfiguren. Sie wurden berufen, an einem System der Aufnahme mitzuwirken, in dem sie nur kleine Rädchen sind; im Tausch dafür erhielten sie kleine Zuwendungen durch das Konsortium; die bestanden in der Einstellung der Arbeiter der entsprechenden Kommunen und in der Auszahlung bescheidener finanzieller Zuwendungen; Geldbeträge, die darüber hinaus nur scheinbar bestimmt waren, nicht näher definierte „Projekte zur Integration“ zu unterstützen, die aber tatsächlich überhaupt nichts mit Integrationsmethoden zu tun hatten. Im Klartext: Es sind tatsächlich nur kleine Schlückchen Sauerstoff, um auf erbärmliche Weise die schon leblosen Bilanzen der Kommunen zu stützen.

Die zweihundert verstreuten Migranten
Nach dem Urteil der Kommission war die fehlende innere und äußere Überwachung im Cara ebenfalls allarmierend. Beunruhigend die Episode, die in der Anhörung des leitenden Staatsanwalts der Republik am Gericht von Caltagirone, Giuseppe Verzera, vor der parlamentarischen Kommission bekannt wurde (Mai 2015): „…vor einigen Wochen sind in Messina 400 Migranten angelandet, von denen 200 in das Cara von Mineo geschickt wurden, ohne identifiziert worden zu sein. Und am anderen Morgen sind sie verschwunden. Dass also viele dieser Subjekte unterwegs sind, ist sicher; dass sie von anderen Organisationen geführt werden, scheint äußerst begründet. Der Staatsanwalt hat bei dieser Gelegenheit außerdem hervorgehoben, dass „die Schwierigkeiten, die die Leitung des Cara habe, sich auf dem Niveau der öffentlichen Ordnung zu verhalten, nicht gleichgültig seien.“

Die Einstellungen
Zwei verschiedenartige Phasen haben die Rekrutierung des Personals für das Cara von Mineo charakterisiert: Die erste ist die zu Beginn und der unbefristeten Verträge; die zweite ist die des Konsortiums der Kommunen, mit einem fast kompletten Personalbestand und Einstellungen mit oft befristeten Verträgen, weil die Zahl der Mitarbeiter abhängig ist von den schwankenden Zahlen der Gäste in der Einrichtung.
Aus den Anhörungen geht der Versuch lokaler Politiker hervor – vor allem in der zweiten Phase –, wieder eine Rolle bei den Einstellungen spielen zu wollen, indem sie auf Personal (sogar aus der Familie) aufmerksam gemacht haben; dieses verfügte aber oft nicht über die nötige professionelle Voraussetzungen, um den schweren Aufgaben nachzukommen, zu denen sie berufen sind.

Der Bluff der Integration
Die Initiativen, die das Ziel der Integration der Migrant*innen haben, haben diese als Trick benutzt, um Zugang zu Zuschüssen zu bekommen: 10.000€ für jede Initiative, höchstens 20.000€ pro Jahr für jede Kommune.
Ferrara hat erklärt, dass der Zuschuss gegeben wurde, „weil die Migranten entweder am Krippenspiel teilgenommen haben oder Sachen in der Küche gemacht haben oder sie haben sich um an einen Stand gekümmert: Eine Reihe von Integrationsmaßnahmen, die vorgesehen waren und über die Rechenschaft abgelegt wurde.“
Um eine Vorstellung davon zu bekommen, was das Projekt der „Integration“ der Migrant*innen in der Gegend von Catania ist und worin es besteht, reicht es, den Bürgermeistern der Kommunen zuzuhören, die in den Genuss der Zuschüsse gekommen sind.
Verga (Licodia Eubea): „Wir haben mit dem Reisebus hundert Migranten aus dem Cara von Mineo in meine Kommune gebracht. Wir haben ihnen das Abendessen spendiert. Es war eine Modenschau vorgesehen: Fünf oder sechs Jungs und Mädchen sind in dieser Modenschau aufgetreten. Wir haben ein Turnier mit drei Mannschaften gemacht, darunter auch eine Mannschaft des Cara; es sind ganz viele Leute gekommen, die an dieser Veranstaltung teilgenommen haben.“
In San Michele di Ganzaria sind die Zuschüsse für das Projekt „Sport und Integration“ (10.000€) und für „Unser Meer: Gerüche und Geschmäcker des Mittelmeeres“ (10.000€) angekommen.
Auch Raddusa hat einen Zuschuss von 10.000€ für jedes der zwei Projekte bekommen. Der Bürgermeister hat referiert: „Ich habe die Migranten, die sie mir geschickt haben, an allen Aktivitäten rund um das Fest des Weizens teilnehmen lassen und habe auch Initiativen für sie gemacht.“ (Marotta, S.32)
Sinatra (Vizzini): „Dieses Jahr (2015) habe ich die Finanzierung einiger Initiativen meiner Stadt beantragt, die mit musikalischen Veranstaltungen verbunden sind. Und die Leute aus dem Cara haben applaudiert! Weil ich Integration mache! Ich trickse nicht mit der Anwesenheit von nur einigen und sage: Da gibt es einen Farbigen, und das bedeutet dann Integration. Nein!“ (S.13)
Die Aloisi7 beeilt sich zu versichern, dass „bei uns (in Mineo) die Integration rundum bei jeder Gelegenheit geschieht. Bei jeder Gelegenheit – unabhängig von der Finanzierung durch das Konsortium – vollzieht sich Integration durchgängig.“ Man hat dann erfahren, dass die Integration, von der die Bürgermeisterin spricht, in der Teilnahme einer Gruppe der Migrant*innen am Karneval besteht, an dem Fest „Natale nei vicoli“ und am Patronatsfest.
Manchmal wird nicht einmal der Augenschein gewahrt: Ferrara hat zugegeben, dass er die Kostenzusage zugunsten von drei Gemeinden in der Region Catania wiederrufen habe, als sie nicht nachweisen konnten, dass sie Integration machen. „Ich habe ihnen die Gelder nicht gegeben; sie hätten die Gelder vergeudet.“ Nur der erste Bürger von Ramacca, Zappalà, hat zugegeben, dass „diese Ressourcen (ein Betrag von 10.000€) für uns ganz wichtig geworden sind; das heißt, es ist nicht mehr ein Problem des Gebrauchs. Wir haben kein Geld mehr, wir wissen nicht, wo wir uns festhalten können.“

Schlussfolgerungen
In der Region Catania hat sich eine Art Vereinigung gebildet zwischen einem allesfressenden Unternehmersystem und einem Teil der politisch-institutionellen Vertretung. Mit einer besonderen Charakteristik: Während es für gewöhnlich die Methode der Unternehmen ist, sich der Dienste der Politik zu bedienen, ist es hier geschehen, dass die Politik (oder zumindest ein Teil dieser Klasse) sich unterwürfig als Stütze angeboten hat, auf der sich dieses perverse Monopolsystem in der Versorgung mit Dienstleistungen in Bewegung setzt.
Die Kommission hat unterschiedliche Ebenen an politischer Verantwortung festgestellt, die in Mitleidenschaft gezogen sind:
1.) Die Region Sizilien, die sich geweigert hat, mit Hilfe des Zivilschutzes eine aktive Rolle zu spielen;
2.) Die Entscheidung, Odevaine miteinzubeziehen in das Gefüge des Cara;
3.) Die Entscheidung, nicht einzugreifen, nachdem die Fakten der Mafia Capitale und die Ansicht der Anac zum Wettbewerb für die Verwaltung des Cara bekannt waren;
4.) Die Bürgermeister, die dem Konsortium angehörten, die auf jedes Recht als Mitglieder verzichtet haben, um sich der politischen Logik zu beugen und um die Beeinflussung durch das Unternehmer- und Genossenschaftssystem mitzumachen;
5.) Die Bürgermeisterin von Mineo, die der gleichen Beeinflussung durch Paolo Ragusa erlegen zu sein scheint, leibhaftiger „Co-Bürgermeister“ der Bürgerin und unangefochtener Regisseur in der Verwaltung menschlicher Ressourcen. Erschwerend kommt noch hinzu, dass sie die Präsidentin der Einrichtung ist.

1Die Gegend um Catania
2CARA – Aufnahmezentrum für Asylsuchende
3ANCI – Zusammenschluss der Kommunen Siziliens
4SPRAR  – Sistema di protezione richiedenti asilo e rifugiati
Im Gegensatz zu den Cara Einrichtungen zum Schutz Asylsuchender und Flüchtlinge, die auf lokaler Ebene organisiert werden
5PD-Partito democratico – Demokratische Partei, Mitte-Links-Partei mit Matteo Renzi an der Spitze
6ANAC – Nationale Antikorruptionsbehörde
7Anna Aloisi, Bürgermeisterin von Mineo

Aus dem Italienischen von Rainer Grüber