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Montag, 7. September 2015

Geschichten aus Siculiana, Teil 2: Licht und Schatten auf der Villa Sikania


Beschäftigen wir uns weiter mit der Villa Sikania (Siculiana, Provinz Agrigent). Sie ist eine ehemalige Drei-Sterne-Unterkunft für Touristen, 2014 umgewandelt in ein Zentrum für die allererste Aufnahme, ein Durchgangsort. Verwaltet wird das Zentrum von der Kultur-Vereinigung Cometa, eine der viele Vereinigungen, die mit Acuarinto verbunden sind, eine der Körperschaften, die das Oligopol der Aufnahme in der Provinz Agrigent fest in den Händen hält. Wenn man jedoch die Schlüsselworte „Villa Sikania“ in eine Suchmaschine eingibt, sind die ersten Resultate, die Google vorschlägt, der Bewertung des Hotels (z.B. TripAdvisor) oder der Buchung gewidmet; als ob die Verwalter den Zweck des Hauses nicht geändert hätten. Nur wenn man verschiedene Online-Zeitungen durchforstet und in der Vergangenheit wühlt, findet man Spuren des radikalen Wechsels, den das alte Parkhotel in Siculiana überrollt hat.

In einem Artikel, der auf Sicilia24H am 02.11.2011 veröffentlicht wurde, kann man lesen, wie sich der Eigentümer Pietro Giglia nach 10 Jahren Erfahrung in der Tourismus-Hotel-Branche gezwungen sah, seine Aktivitäten zu verändern. Die Villa Sikania würde an diesem Tag als Gesundheitseinrichtung neu an den Start gehen. Nur ein Jahr später wieder ein Kurswechsel: Die Villa Sikania soll zur Aufnahme von Migranten genutzt werden. Der damalige Stadtrat von Siculiana hat, unter anderem, den Antrag an den Präfekten von Agrigent, Diomede, beschlossen, die Villa Sikania als Zentrum für die zweite Aufnahme zu nutzen und dass dem Bürgermeister, der verantwortlich ist für die öffentliche Sicherheit und Volksgesundheit, täglich die Zahl der Anwesenden in der Einrichtung übermittelt werden sollen. Offensichtlich ist es so nicht gelaufen. Die Villa Sikania ist heute ein Zentrum für die allererste Aufnahme und Verteilung derjenigen, die auf Lampedusa anlanden und von Porto Empedocle aus hereinkommen, bevor sie ihre Reise zu anderen Zielen fortsetzen.

Die Villa Sikania ist ein sehr großes Gebäude, das bis zu 1000 Personen aufnehmen kann. Außer in Zeiten offensichtlicher Überbelegung liegen die mittleren Belegungszahlen bei 200 bis 300 Personen. Die ehemalige Bürgermeisterin von Siculiania, Mariella Bruno, hat im Einklang mit dem Stadtrat, die Regierung aufgefordert, Maßnahmen zu ergreifen, insbesondere im Blick auf die Zahl der Anwesenden in der Einrichtung, die nicht mehr zu verwalten sei. Angelino Alfano (zu der Zeit Innenminister) hat sich selbst darum gekümmert, Frau Bruno hinsichtlich dieser Fragen zu beruhigen.

Im ersten Teil unseres Berichtes haben wir von circa 20 Jugendlichen erzählt, die aus den Zentren verlegt worden waren, die von Omnia Academy verwaltetet wurden. Sie sind noch immer hier und warten seit einem Monat darauf, dass sie wieder in einem CAS* untergebracht werden. Wir hatten die Bestätigung, dass sich unter ihnen auch Minderjährige befänden, die für einige Tage aus einem der Zentren von Naro verlegt worden waren; dank des rechtzeitigen Eingreifens der Sozialassistenten, die per Vereinbarung mit der Einrichtung in Siculiana zusammenarbeiten, sind sie in geeignete Einrichtungen zurückverlegt worden. In dieser Art engagieren sich die Sozialassistenten auch, wenn es sich um eine schwangere Frau oder eine Alleinstehende mit Kindern handelt.

Wenn die Migranten in der Villa Sikunia ankommen, werden sie in den Saal geführt und beköstigt. Dann wird ihnen die Grundausstattung ausgehändigt, bestehend aus Zahnbürste, Zahnpasta, Shampoo, Seife, Rasierer, Handtuch, Pantoffeln, Bettlaken. Wer sich mehr als zwei oder drei Tage aufhält (selbst gewählt oder wegen höherer Gewalt), bekommt darüber hinaus noch eine Telefonkarte im Wert von 5€ und das tägliche Taschengeld von 2,50€, das jeweils am Wochenende verteilt wird. Diese Art der Auszahlung könnte erklären, warum während unseres Monitorings vor einem Monat einige Gäste positiv auf die Frage nach der Versorgung durch diesen Dienst geantwortet haben und andere nicht (vor allem diejenigen, die erst vor kurzem verlegt wurden). Auf jeden Fall ist die Frage des Taschengeldes immer heikel und Gegenstand von Willkür und Manipulation auf beiden Seiten, die im Spiel sind. Nachdem sie Essen und Ausstattung bekommen haben, werden die Migranten auf die Zimmer verteilt. Gewöhnlich werden im Erdgeschoss die Familien untergebracht, im ersten Stock die Frauen und im zweiten Stock die Männer, die üblicherweise zahlreicher sind. Diese Vorgehensweise löst fast immer Unruhe und Klagen aus, vor allem bei den Paaren, die nicht getrennt werden wollen. Eine Lösung, die vonseiten der Verwalter nicht durchführbar scheint, da die Zimmer mit jeweils 4 bis 6 Betten bestückt sind. Jedes Zimmer hat ein eigenes Bad. Einer unserer Quellen zufolge findet die Reinigung der Einrichtung zweimal täglich statt. Darum kümmern sich zwei Männer am Morgen und zwei am Nachmittag, am Wochenende eine Frau aus der Schicht. Trotzdem haben die beherbergten Migranten des Zentrums die Sauberkeit der Wohnräume mit einem angewiderten „Pfui“ kommentiert…

Aber fahren wir fort. Laut Quellen, die der Verwaltung nahestehen, wird das Essen im ehemaligen Restaurant der Einrichtung nach folgendem Plan serviert: Frühstück von 08:30-09:30; Mittagessen 12:30-13:30; Abendessen 19:00-20:00; es besteht am Morgen aus Milch, Brot und Marmelade, mittags aus 1.Gang, 2.Gang mit Beilagen, Früchten der Saison und Wasser zum Mittag- und Abendessen. Das ist das, was wir von den Mitarbeitern erfahren haben. Einige der Jugendlichen, mit denen wir gesprochen haben, sind nicht der gleichen Meinung, immer natürlich vorausgeschickt, dass die Geschmäcker persönlich und sehr subjektiv sind. Darüber hinaus respektieren die Gäste nicht immer die Zeiten für das Essen; sie kommen auch Stunden zu spät. In solch einem Fall wird ihnen trotzdem das Essen serviert, auch wenn das für die Mitarbeiter bedeutet, mehrmals zu servieren, den Saal aufzuräumen und zu putzen. Zwei Cateringfirmen liefern, sich monatlich abwechselnd, dreimal wöchentlich das Essen für die Einrichtung.

Die Mitarbeiter arbeiten normalerweise in Schichten von 6 Stunden; mit Übergabe am Ende der Schicht. Für jede Schicht sind anwesend: 6 Mitarbeiter, 2 Mediatoren, ein Verantwortlicher und oft und gerne einer der beiden Brüder, denen die Einrichtung gehört. Die Nachtschicht dagegen dauert 12 Stunden und ist mit einem Mitarbeiter und einem Mediator besetzt. Wer diese Art Schicht macht, arbeitet normalerweise 2 Tage am Stück und hat dann zwei Tage Zeit zum Ausruhen, immer in diesem Rhythmus. Im Fall der Verlegung von Lampedusa muss die zweite Tagesschicht in der Einrichtung bleiben und die Nachtschicht unterstützen, bis alle Gäste untergebracht sind. Es kommt vor, dass Ehepaare bei der Ankunft in Porto Empedocle durch Zufall getrennt werden. Wenn man davon im Zentrum Villa Sakania etwas mitbekommt, werden die Mitarbeiter aktiv und versuchen alles, damit die getrennten Eheleute wieder zusammenkommen. Das ist aber für gewöhnlich nur möglich, wenn die Eheleute den gleichen Nachnamen haben. In vielen Ländern Afrikas, wie zum Beispiel in Nigeria und Benin, wird aus kulturellen oder ökonomischen Gründen oft nur die traditionelle Hochzeit gefeiert. Eine traditionelle Eheschließung besteht vor allem darin, dass der Brautbewerber offiziell um die Hand der Braut anhält und in der Zahlung des Brautpreises, oft in Form von Nahrungsmitteln, Getränken und Musik: Insgesamt also ein Fest für die Familienmitglieder, Freunde und Bekannte, um auf traditionelle Art die Vereinigung des Paares zu feiern. Die Frau behält den eigenen Familiennamen und, da das Treffen traditionell ist, wird die Hochzeit weder in der Kommune registriert, noch ist sie folglich nachweisbar. Dies ist ein großes Problem, wenn man erstmal mit der europäischen Bürokratie zu tun bekommt. Ohne eine Bescheinigung über die Eheschließung oder wenigstens den gleichen Hausnamen, ist es schwierig zu beweisen, dass man wirklich Mann und Frau ist und darum das Recht hat, zusammenzubleiben.

Per Vereinbarung stehen der Villa Sikania auch ein Rechtsanwalt und zwei Sozialassistenten zur Verfügung. Vor Ort sind auch zwei Krankenpfleger. Falls es schwere Fälle geben sollte, kümmern sich die Mitarbeiter darum, dass sofort die Ambulanz gerufen wird. Es scheint vorgekommen zu sein, dass die Ärzte bei dem eingelieferten Patienten keine Krankheit haben feststellen können. Aus diesem Grund, munkelt man, dass die 118 oft nicht antwortet, wenn die Nummer der Villa Sikania auf dem Display erscheint. Manchmal sind aber die Erkrankungen real und schwerwiegend. Dann ist es vorgekommen, dass die Mitarbeiter zuerst die Polizei kontaktiert haben, um das Eingreifen der Ambulanz zu verlangen.

Die Einrichtung hat auch einen Fernsehraum mit einem Projektor, eine Tischtennisplatte, einen kleinen Computerraum mit 3 oder 4 PCs, WI-FI, zwei Telefonzellen, eine Garderobe und einen großen Lagerraum für die Vorräte. Für den, der will, werden jeden Tag Italienischstunden organisiert. Ein Raum ist freigehalten worden für das Gebet der Muslime, während sich die Christen oft und gerne im Innenhof treffen, nahe dem Schwimmbecken. Dieses trockengelegte Schwimmbecken wird manchmal als Fußballfeld genutzt.

Fakt ist, dass sich sehr viele auch nicht eine halbe Stunde in der Villa Sikania aufhalten wollen. Sie wollen sofort aufbrechen, woanders hingehen, den Ratschlägen von Verwandten und Freunden folgen. Die Mediatoren versuchen, sie zu überzeugen, wenigstens eine Nacht zu bleiben, sich nach der Reise auszuruhen, zu essen, sich zu waschen, einen Augenblick Frieden zu finden. Falls sie dann wirklich nicht warten wollen oder können, bittet man sie, wenigstens Bescheid zu sagen. Oft kommt es vor, dass das Essen, von der Cateringfirma geliefert, kalkuliert auf der Basis der Anzahl der Personen, die in der Einrichtung anwesend sind, in großer Menge übrigbleibt, da sich die Gäste entfernen, ohne Bescheid zu geben. Diese Personen nehmen entweder den Bus von Siculiania nach Palermo (zweimal am Tag) oder von Agrigent (einmal pro Stunde) oder entscheiden sogar, zu Fuß von der Villa Sikania zum Bahnhof oder zur Busstation in Agrigent zu gehen (circa 15Km). Wir haben tatsächlich mehr als einmal kleine Gruppen von Menschen (in den besonderen Fällen wahrscheinlich Eritreer und Afrikaner aus den Ländern südlich der Sahara) gesehen, die entlang der SS115 Richtung Agrigent gegangen sind. Das ist eine Straße mit schnellem Verkehr, sehr eng an einigen Stellen und oft kurvig, ohne Bürgersteig oder Fußgängerstreifen. Meistens laufen die Menschen in Fahrtrichtung, eine gefährliche Entscheidung, weil die Autos von hinten kommen, unmöglich, sie rechtzeitig zu sehen. Um die Hitze zu meiden oder um nicht gesehen und angehalten zu werden, entscheiden viele, die Straße nachts zu laufen, verschluckt in der fast vollständigen Dunkelheit und buchstäblich unsichtbar.

Zum Schluss erinnern wir uns an eine Geschichte von Anfang Juni, die wir auch dokumentiert haben: Damals haben wir auf dem Parkplatz einen Lieferwagen gesehen, in dem die Identifikation der Migranten mit Fotos und Fingerabdrücken durchgeführt wurde. Dann wurde er für einige Zeit nicht mehr gesehen. Uns wurde diese Aktivität bestätigt, die aber, wie es scheint, nicht von Dauer war. Gerade gestern ist der weiße Lieferwagen wieder aufgetaucht, an der gewohnten Stelle, aber diesmal waren die Türen geschlossen.

Catarina Bottinelli
Borderline Sicilia Onlus

*CAS - Centro di accoglienza straordinaria, außerordentliches Aufnahmezentrum

Aus dem Italienischen von Rainer Grüber