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Mittwoch, 29. Juli 2015

Caltanissetta: Treffen mit den Bewohnern des außerordentlichen Aufnahme-Zentrums in der Niscemi Straße in Villa Amedeo

Unser Monitoring außerhalb der Aufnahme-Zentren der Provinz Caltanissetta geht weiter. Die Entscheidung zum Monitoring von Außen ist eine direkte Konsequenz auf die für uns inakzeptablen Umstände der neuen Bevollmächtigung des Präfekten. Diese Umstände stehen nämlich im Gegensatz zum Schutz der Rechte der Asylantragsteller, welchen sich unsere Vereinigung verschrieben hat. Aus diesem Grund habe ich letzte Woche die Gäste des außerordentlichen Aufnahme-Zentrums in der Niscemi Straße, im Stadtpark „Villa Amedeo“ getroffen.
Wir haben das besagte Zentrum bereits im letzten Jahr besucht und dabei ziemlich kritische Verhältnisse vorgefunden. Im Januar haben wir, nach Protesten der Bewohner, erneut von diesem Ort berichtet. 

Das außerordentliche Aufnahme-Zentrum in der Niscemi Straße ist seit April 2011 geöffnet. Es befindet sich in einem Gebäude des Telekommunikationsministeriums, welches laut Genehmigung als Aufnahmestruktur benutzten werden kann. Seither wird es von der Genossenschaft „Vivere insieme – zusammen leben“ geleitet, die auch das außerordentliche Aufnahme-Zentrum im Ex-IPAB in San Cataldo führt. Die Genossenschaft wurde zu Beginn direkt von der Präfektur beauftragt. Um an der folgenden Ausschreibung teilzunehmen, hat sich „Vivere insieme“ mit allen anderen Betreibergesellschaften der außerordentlichen Aufnahme-Zentren zum "ATI" zusammen getan und die Ausschreibung gewonnen. 
Am Treffen haben über 20 Asylantragsteller des Zentrums teilgenommen. Gleich zu Beginn haben sie die größten Kritikpunkte des alltäglichen Lebens im Zentrum aufgelistet. Sie haben mir ihrer Meinung nach abgelaufene Zahnpasta gezeigt. In Wirklichkeit war an den meisten Tuben gar kein Verfallsdatum angeführt, mit einer Ausnahme und diese Tube war bereits im Jahr 2006 abgelaufen. 

Im zweiten Punkt, über den sie mit mir sprechen wollten, ging es um die Mahlzeiten. Die Flüchtlinge beschrieben sie als schlecht und nicht ausreichend. Vor allem morgens, so die Bewohner, wird ihnen mit Wasser verdünnte Milch ausgeteilt und auch diese sei oft bereits abgelaufen. Das Brot beschreiben sie als „like a stone“, hart wie Stein. Die Gäste haben bereits verschiedene Versuche unternommen, essbare Speisen zu bekommen. Bei einigen Unternehmungen handelte es sich um richtige Proteste außerhalb des Zentrums, jedoch auch diese Initiativen blieben ohne Erfolg. Wer versuchte den Verantwortlichen zu sprechen und ihn zu bitten, diese Mängel zu beheben, der bekam bis heute nur eine Antwort: Wer mit dem Essen nicht zufrieden sei, der könne das Zentrum verlassen, denn es gäbe hunderte Asylantragsteller, die auf die Aufnahme in ein Zentrum warteten. Diese Einschüchterungsmethode als Antwort auf die Klagen scheint in diesem Zentrum, ähnlich wie in vielen anderen, die Praxis zu sein. Die Art und Weise der Verantwortlichen auf die Nachfragen der Bewohner zu antworten, werden zu echten Drohungen, auch weil Name und Nachname der Kritiker festgehalten werden. Das Notieren der Namen lässt darauf schließen, dass die Betroffenen bei der Territorialkommission mit negativen Konsequenzen rechnen müssen, z.B. dass sie länger auf die Anhörung bei der Territorialkommission warten oder dass es Vorkehrungen zur Ausweisung  aus dem Zentrum getroffen werden, immer gefolgt von negativen Auswirkungen auf ihre Asylentscheidung. 
„Wenn du Probleme machst, lassen wir dich länger auf die Anhörung warten“, oder „Ich gehe zu denen, die bei dir in der Kommission sitzen werden und lasse deinen Antrag ablehnen.“ Dies seien, so erzählen uns die Asylantragsteller, einige der Antworten, welche die Bewohner auf jede ihrer Nachfragen bekommen. 
So werden wir wiederholt Zeugen eines modus operandi, bei dem die Führung von psychologischen Terror gebraucht macht, um die Situation unter Kontrolle zu halten. Da sie niemandem eine Erklärung schuldig sind, können die Betreiber nach ihrem Gutdünken arbeiten. Davon abgesehen, dass mittlerweile fast alle Erstaufnahme-Zentren außerordentliche Aufnahme-Zentren sind, hält es die italienische Regierung nicht für nötig, Kontrollorganismen zur systematischen Kontrolle der Betriebe einzusetzen. Sollte auch weiterhin die Präfektur die Ausschreibungen der Aufnahme-Zentren leiten, wird es auch weiterhin keine signifikante Kontrollpflicht der Zentren geben, die überall und von jedem betrieben werden können. 

Hier kommt eine weitere Besonderheit der außerordentlichen Aufnahme-Zentren ins Spiel, der wirtschaftliche Aspekt wirtschaftlicher Rechenschaftsbericht mit seinen vielen Ermessensspielräumen. Da erklärt es sich von selbst, dass die Betreiber, - Hoteliers, Pensionsbesitzer oder ad hoc gegründete Gesellschaften - am Business der Aufnahme teilhaben, um nach dem größtmöglichen Profit zu wirtschaften. Sie kürzen die in den Vertragsbestimmungen vorgesehenen Dienste und Mittel so viel wie möglich und ohne jegliche Konsequenzen fürchten zu müssen. Denn die Betreiber sind in keiner Weise dazu verpflichtet zu begründen, wofür die von der Regierung bereitgestellten Gelder ausgegeben werden und welche Dienste effektiv garantiert sind. So können wir feststellen, dass es nicht nur die knappen und mangelhaften Speisen sind, bei denen eingespart wird, um den Profit zu steigern. Auch bei der Bekleidung, welche den Gästen zu Beginn jeder Jahreszeit ausgeteilt werden müsste, kann gekürzt werden. In diesem Zentrum in der Niscemi Straße wurden noch nie Kleidungsstücke ausgeteilt. Die Bewohner berichten mir jedoch, dass vor kurzem 40 der 65 Insassen, nachdem sie fast sechs Monate im Zentrum leben, endlich Schuhe bekommen hätten - aber eben nur diese und keine Kleidung. 
Um bei der Versorgung mit Basiskonsumgütern zu bleiben: Die Bewohner erzählen mir, dass sie nur eine Stunde pro Tag Trinkwasser haben, denn nur dann wird an der Hauptwasserleitung der Filter montiert, welcher das Wasser reinigt. Ist die Stunde um, wird dieser wieder entfernt. 
Beim Personal, welches die Bewohner des Zentrums unterstützen und betreuen sollte, sind natürlich große Einsparungen möglich. Nach Aussage der Gäste arbeiten im Zentrum aktuell nur eine Reinigungskraft, ein Hausmeister, zwei Italienischlehrer und ein Sozialarbeiter. Wobei letzterer nur hin und wieder vor Ort sei. Keiner dieser Mitarbeiter und auch nicht der Direktor des Zentrums, der momentan die einzige Person ist,  an welche sich die Bewohner wenden können, spricht eine ihrer Sprachen oder eine Vermittlungssprache. Wie es scheint, waren bis Ende Juni mehrere Mitarbeiter sowie Sprach- und Kulturmediatoren im Zentrum angestellt. Einige legten ihre Arbeit nieder, weil sie seit Monaten keinen Lohn ausgezahlt bekamen, während andere kündigten nachdem sie während des Ramadan zwangsbeurlaubt wurden. Der Direktor war jedoch der Meinung, dass ihre Präsenz in diesem Zeitraum unnötig war. Der totale Mangel an Betreuung führt dazu, dass es weder juristische Aufklärung, noch psychologische Betreuung gibt.
Der Italienischkurs findet hingegen regelmäßig zwei Stunden pro Tag an vier Tagen der Woche statt. Es gibt zwei, drei und fünf Bettzimmer in denen es momentan sehr heiß ist. Der Direktor wollte jedoch nichts von der Anschaffung von Ventilatoren wissen. Einige der Bewohner haben sich deshalb selbst um die Beschaffung von Ventilatoren gekümmert und diese mit ihrem Taschengeld bezahlt. Das Taschengeld wird in bar ausgeteilt, wenn auch nicht pünktlich. 
Für die Gesundheitsversorgung der Bewohner ist ein Allgemeinmediziner zuständig. Er steht ihnen jeden Montag von 8.30 Uhr bis 9.30 Uhr zur Verfügung. Für die restliche Woche, so die Gäste, gibt es niemanden im Zentrum, der sich um körperliche Beschwerden kümmert. Des weiteren gibt es im Zentrum weder Medikamente noch Mullbinden oder Pflaster. In den Nachtstunden befindet sich kein Mitarbeiter im Zentrum, so sind es die Bewohner selbst, die im Notfall den Krankenwagen rufen. 

Der Zustand dieses Zentrums ist ein perfektes Abbild der weitverbreiteten Praktiken des Erstaufnahmesystems, welches von der italienischen Regierung immer noch nach der Logik des Notstandes betrieben wird und deswegen keine systematischen Kontrolle der Vorgehensweise in den Aufnahmestrukturen vorsieht. Auf diese Weise wird viel viel Raum gelassen für mangelnde Vorbereitung und Spekulation. Die Leittragenden sind immer jene, denen dieses System eigentlich Schutz garantieren sollte.

Giovanna Vaccaro
Borderline Sicilia Onlus

Aus dem Italienischen von Elisa Tappeiner