Am
Morgen des 29. Juli sind 453 Migranten in Messina angelandet und mit ihnen
die Leichen ihrer 14 Reisegefährten, die auf der Überfahrt den Tod gefunden
haben.
Die an der Landung beteiligten Helfer
berichteten vor allem vom starken Verwesungsgeruch, den man bereits von der
Mole aus wahrnahm. Sie zeugen von den grauenvollen Bedingungen auf dem
Fluchtweg über das Meer.
Offenbar haben die Migranten das vorhandene
Trinkwasser zur Kühlung des Motors gebraucht. Der Flüssigkeitsmangel über
mehrere Stunden hinweg führte bei 14 von ihnen zum Tode. Einige Stunden oder
wenige Seemeilen bestimmen über Leben und Tod. Das scheint Europa nicht zu
erschüttern. Man spricht weiterhin von Ausnahmezustand und treibt die
Militarisierung des Mittelmeerraumes und den Kampf gegen die Schlepper voran. Am
Landepier waren die staatlichen und kirchlichen Behördenvertreter, die
Betreiber von Praesidium, das Team
von Ärzte ohne Grenzen mit seinem neuen Projekt der psychologischen Betreuung,
das rote Kreuz und die Gemeinschaft S. Egidio anwesend. Einige der Migranten
wurden weiter Richtung Norden transferiert. Andere in die städtischen Zentren
Pala Nebiolo und in die ehemalige Kaserne Bisconti, wo sie, die es bis hierhin
geschafft haben, auf eine menschenwürdige Aufnahme hoffen.
Am nächsten Tag landet das Schiff Spica der italienischen Militärmarine in
Augusta. Es ist Teil der Mission Triton. An Bord sind 523 Migranten, die
meisten aus Eritrea.Die Ausschiffung dauert lange. Auf dem Pier warten ausser
der Polizei die Betreiber von Praesidium,
das rote Kreuz, der Zivilschutz, die Mitarbeiter von Emergency und von „Ärzte
ohne Grenzen“ und vor allem eine beträchtliche Anzahl von Frontexbeamten. Die
ersten auf sicherem Boden sind Frauen, Kinder und junge Eritreer, die sich kaum
auf den Beinen halten. Sie passieren die Quarantänezone, wo sie von der
forensischen Abteilung der Polizei fotografiert und nochmals kurz medizinisch
untersucht werden. Dann warten sie unter der Sonne in Gruppen auf den weiteren
Transfer in die Zelte, die im Hafen aufgestellt wurden.
Es sind schon einige Betreiber von
Praesidium und von der Präfektur hier. Aber in der Mehrzahl sind es
Frontexmitarbeiter. Mit Fragen und Aufforderungen begleiten sie die Flüchtlinge
zu den Zelten, wo diese sich auf Feldbetten und vor der Sonne geschützt
ausruhen können. Wie bereits manches Mal zuvor geschehen, bitten uns die
Ordnungskräfte, uns aus dem Zelt zurückzuziehen und den Abschluss der Empfangs-
und Identifikationsformalitäten abzuwarten und erst anschließend mit den
Migranten zu sprechen. Einige Stunden später und nach mehreren Versuchen mit
den bereits vorregistrierten Migranten einige Worte zu wechseln, werde ich ins
Zelt des Kommissärs gebeten, der meine Daten aufnimmt und mich bittet, die
„Privatsphäre der Migranten“ zu respektieren und mit ihnen ausserhalb des
Zeltes zu sprechen. Schade, dass es den Flüchtlingen nicht erlaubt ist, das
Zelt zu verlassen. Darauf machen die Polizisten sie am Eingang fortwährend
aufmerksam und darum können wir nur an den Zelteingängen mit ihnen sprechen. “Wo
sind wir? Ist es weit bis Rom?” sind die ersten Fragen der Migranten. Auf den
Feldbetten und am Boden sitzend, verschlingen sie ihre Mahlzeit in zwei
Minuten. “Seit 25 Tagen habe ich nicht mehr so etwas Gutes gegessen” meint C.
„Ein Brötchen und ein Apfel sind Luxus für mich. Meine Reise war schwierig,
aber nichts im Vergleich zu den 5 Jahren, die ich im Sudan und dem letzten
Monat, den ich in Libyen in ständiger Angst verbracht habe.“
Die Angst beherrscht die meisten der
Migranten, mit denen ich spreche: „ Viele von uns möchten nicht in Italien
bleiben. Wir haben Verwandte und Freunde im Norden Europas. Deswegen fürchten
wir, dass die italienische Polizei unsere Fingerabdrücke aufgrund der
europäischen Ausnahmeregeln zur Migration nehmen wird.“
J., der wie andere Eritreer ein wenig
italienisch spricht, berichtet: “Ich möchte nach Rom, dort lebt ein Onkel von
mir. Und Rom ist wie Asmara, meine Geburtsstadt. Ihr Italiener habt lange in
Asmara gelebt, auch wenn niemand je davon spricht.“ J. ist es gelungen einige Jahre
die Schule zu besuchen und er spricht fünf Sprachen. Er möchte Journalist
werden. „In Eritrea kann man nicht frei reden, geschweige denn frei schreiben.“
Die Problematik ist jedoch die Furcht der
Konsequenzen der Identifikation durch die Fingerabdrücke: “Wenn einer in
Italien bleiben will, wie lange muss er auf ein Dokument warten? Das ist ein
grosses Dilemma für mich. Auf der einen Seite hätte ich einen Ort, wo ich
bleiben könnte, auf der anderen würde ich hier für Jahre wartend festsitzen – und
was dann, bei einem abweisenden Entscheid? Meine Kameraden, die schon länger
hier sind, berichten, dass in Italien nur der Ausnahmezustand gilt, aber dass
es hier keine Zukunft gibt. Ich bin jung, meine Reise dauerte jetzt schon zu
lange – ich möchte wieder wie ein normaler Mensch leben.“ Nun nähern sich
viele, jeder mit seiner Geschichte und seinen Anliegen. Es bräuchte viele
Stunden um alle anzuhören, die keine Möglichkeit auf Anhörung haben, weil es
viel zu viele sind.
Hunderte von jungen Männern und Frauen sind
wie die andern 241 Flüchtlinge am Donnerstagnachmittag, den 30. Juli im Hafen
von Pozzallo gelandet und von dort ins nahe gelegene Erstaufnahmezentrum (CSPA)
gebracht worden.
Die Nachricht ihrer Ankunft erscheint in
den Medien zusammen mit der Mitteilung über die Verhaftung
der vermutlichen Schlepper, wie jedesmal bei einer Anlandung. “Migranten
und Horrorerlebnisse”, “Migranten in Not”, “Neue Notfälle“ – das sind die
üblichen Titel, die die Volksmeinung
wiedergeben.
Die Heuchelei und Täuschung in den Medien
findet kein Ende. Zum Glück haben das auch Leute, die nicht direkt mit den
Flüchtlingen arbeiten, erkannt. Ein Hafenarbeiter meint: „Sie sprechen immer
noch von Notfall, aber niemand fällt mehr darauf herein, alles hängt von den
Interessen ab, die jemand daraus ziehen will.“
Lucia Borghi
Borderline Sicilia Onlus
Übersetzung aus dem Italienischen von Susanne Privitera Tassé Tagne
Lucia Borghi
Borderline Sicilia Onlus
Übersetzung aus dem Italienischen von Susanne Privitera Tassé Tagne