riforma.it - Marta Bernardini: “Terroristen zwischen den Migranten auf den Booten? Die suchen sich sicherere Wege, um nach Europa zu gelangen.“
Lampedusa bleibt ein wichtiger Ort, um die Migrationsbewegungen im Mittelmeer zu verstehen. Seit November 2014 haben wir einer politischen Entwicklung zur Migration über See in Italien und Europa beigewohnt: von Mare Nostrum zu Mos Maiorum bis hin zu Triton, welches durch Frontex koordiniert wird. Eine Entwicklung die, wie schon von Beobachtern erwartet, negativ ist. Marta Bernardini von der Beobachtungsstelle Mediterranean Hope spricht mit uns darüber, wie sich die Situation auf der Insel Lampedusa, die nun wieder mitspielt im Notstand der Ankünfte, verändert hat. Was hat sich in diesen Monaten verändert?
„Mit dem Beginn von Triton sind die Migranten nach Lampedusa zurückgekommen, in den meisten Fällen von der Küstenwache gerettet: die Menschen, die vormals auf See gerettet und direkt nach Sizilien oder das Festland gebracht wurden kommen nun wieder nach Lampedusa. Seit Anfang Januar gab es mehrfache Ankünfte auf der Insel, und das Ende von Mare Nostrum hat die Maschen der Kontrolle weiter werden lassen. Der UN-Hochkommissar erklärte, dass 1.600 Menschen seit Juni 2014 gestorben seien, ein Phänomen, das uns auch heute betrifft. Über die Ankünfte wird geschwiegen, vielleicht versucht man herauszufinden, welche konkreten Effekte Triton hat, doch wir hier, wie sehen diese Effekte.“
Welches sind die Folgen, die ihr beobachten könnt?
„Ganz sicher hat die Mission Triton weniger Einsatzkräfte auf See, sie kommen von weiter her bis zur libyschen Küste und sie kümmern sich um einen kleineren Einsatzbereich. Die Seenotrettungen sind langsamer, da die Patrouillen erst kontrollieren müssen, ob die Notrufe glaubhaft sind, sie kontrollieren, ob die Boote wirklich in Seenot sind, dann kehren sie zurück, um den Rettungskräften Platz zu machen: man verliert wichtige Zeit – Stunden – , die für die Menschen auf See lebensnotwendig sind. Früher wurde direkter eingegriffen: heute muss oftmals die Küstenwache eingreifen, die als erste die Notrufe erhält und die die Pflicht hat, Leben auf See zu retten. Das hat sich nicht geändert. Die Küstenwache geht nun wieder ihren Aufgaben nach, doch mit den Problemen, die diese mit sich bringen. Die Schiffe, meist klein, damit sie wendiger sind, kehren mit den Migranten nach Lampedusa zurück, das näher als Sizilien liegt. Mare Nostrum verfügte über große Schiffe und konnte die Menschen direkt auf das Festland bringen.“
Eine erste Folge von Triton ist also, dass es schwerer auf den Schultern der Insel lastet.
„Was wir beobachten ist, dass Lampedusa wieder zu einem Grenzort geworden ist. Ein Grenzort, der sich ausweitet oder verkleinert, je nachdem, was die Öffentlichkeit sehen will. Erinnern wir uns daran, dass die Insel zu Zeiten des Arabischen Frühlings im Jahr 2011 9.000 Tunesier aufgenommen hat – bei einer Bevölkerung von 4.000 Einwohnern. Das ist nicht die heutige Situation, aber sicher ist, es ändert sich etwas in den Migrationsbewegungen. So hat z.B. die Zahl der Syrer seit dem Sommer abgenommen, die Herkunft der Menschen ändert sich, so wie die Routen. Heute kommen Menschen aus dem zentralen Afrika und aus dem Subsahara-Raum an, auch sie fahren immer noch aus Libyen ab. Was uns interessiert ist, über die Abfahrtssituationen dieser Menschen nachzudenken, die seit langer Zeit auf der Reise sind, manchmal seit Jahren, die oftmals in Libyen gelebt und irgendwie überlebt haben, um auf das Boot zu warten, dass sie nach Europa bringt.“
Auf politischer Ebene spricht man immer wieder von der Grenzsicherung
„Es sind nicht Triton oder Mare Nostrum, die die Reisen beeinflussen, sondern die instabile Situation in den Abfahrtsländern. Zudem sehen die internationalen Seerechtskonventionen das Retten von Menschenleben auf See vor. Wenn es nicht Triton gäbe, dann wäre es die Küstenwache und so weiter. Die Grenzen zu verfestigen bedeutet nur, Menschen zu verurteilen, die eh schon unter tragischen Bedingungen und am Rande der Humanität leben. Das, was oftmals mit einer Leichtigkeit über die Anwesenheit von Terroristen auf den Booten behauptet wird erscheint uns in klarem Widerspruch zu dem, was wir hier beobachten. Die Menschen, die nach Europa kommen, um terroristische Taten zu begehen, nutzen andere, viel sicherere Routen. Sie werden sich eher nicht auf diese gefährliche Reise auf einem Boot begeben. Aber diese Panikmache könnte dazu dienen, zukünftige Entscheidungen der europäischen Staaten zu rechtfertigen.“
Aus dem Italienischen von Judith Gleitze