Für nicht Ortsansässige ist es nicht einfach zum außerordentliche Aufnahme-Zentrum (CAS) Alessandro Frasca SAS in Rosolini zu gelangen.Nachdem man das Dorf verlassen hat und bevor man wieder auf die kurvenreichen Straße auffährt, welche zu den nahe gelegenen Hoehlen führt, bleiben einem nur die Passanten, die man nach dem Weg zur ehemaligen Diskothek Piccadilly fragen kann. Denn genau diese ehemalige Diskothek dient seit kurzem als Unterkunft für Migranten. Es ist ein beeindruckender Bau, der allerdings nie ganz fertig gestellt wurde, wie uns kurz darauf eine Mitarbeiterin des Zentrums sagt. Das Gebäude, das einmal als Diskothek und für Empfänge diente, liegt längs einer Schotterstraße zwischen den wenigen Bauten und kurz vor en zahlreichen Hoehlen, die es sie umgeben.
Ein unglücklicher Platz für einen Migranten, der sich in die neuen Begebenheiten, in denen er angekommen ist, integrieren sollte, das bestätigen uns alle dienjenigen, die wir während unseres Besuchs treffen. Wir werden von einer Mitarbeiterin und kulturellen Mediatorin der Einrichtung empfangen. Sie ist gerne bereit uns durch das Zentrum zu führen. Mit dabei ist auch M., einen Asylantragsteller, den wir durch gemeinsameFreunde kennen. Vor kurzem wurde er vom Zentrum Umberto I in Syrakus hierher verlegt. M. freut sich sehr uns zu sehen. Zu unserer großen Überraschung jedoch möchte er von uns als erstes etwas über den Stand seines Asylverfahrens erfahren. Die Mediatorin hilft uns im Gespräch mit M. und übersetzt. Wir fragen sie, die als einzige Mitarbeiterin momentan vor Ort ist, ob sie uns die Organisation des Zentrum im Detail erläutern kann. Wir gehen durch einen geräumigen Salon, in dem junge Männer die Tabletts mit dem Mittagessen holen. Um ungestört reden zu können gehen wir ins Büro. Dort findet sich zwischen Ordnern mit Dokumenten die Hausordnung des Zentrums, übersetzt auf englisch, französisch und arabisch und sogar eine Liste mit den Preisen für Zigaretten und Prepaid Karten für Mobiltelefone. F., die Mediatorin sagt uns, dass die Einrichtung einen Vertrag mit der Präfektur abgeschlossen hat und seit dem 6. August 2014 als außerordentliches Aufnahme-Zentrum (CAS) gilt. Seitdem wurden hier hunderte Migranten aufgenommen.
Die Aufnahmekapazität liegt bei 90 plus zwei Personen, doch aktuell, nachdem Bewohner das Zentrum verlassen haben oder verlegt wurden, halten sich hier 23 erwachsene Männer auf. Im Sommer war der Anteil an Flüchtlingen aus Bangladesch, Pakistan, Mali, Senegal, Ghana und Gambia hoch, während diederzeitigen Bewohner fast alle aus Subsahara-Afrika stammen, die letzten Neuankünfte, die am 17. Januar am Hafen von Augusta angekommen sind,inbegriffen.
Das Zentrum verfügt über einen geräumigen Salon, der für soziale Aktivitäten zu Verfügung steht. Er verfügt über Internet Anschlüsse und über zwei Tischfußballtische. Des weiteren gibt es eine kleine Kochnische, die vor allem von den Mitarbeiter genutzt wird, ein Krankenzimmer, ein Büro und die immer der Migranten. Letztere sind mit Stockbetten ausgestattet. Jedes Zimmer hat ungefähr 16 Schlafplätze, aberkeine angemessene Heizung und es ist überall wirklich kalt. Draußen erstreckt sich ein Hof, von dem aus man einen kleinen „Fitnessraum“ erreichen kann.
Der erdige Platz vor dem Haupteingang wird zum Fußballspielen genutzt. Im Zentrum arbeiten fünf bis sechs Mitarbeiter. Unter ihnen sind auch zwei kulturelle Mediatoren, die jeden Morgen eine Stunde Alphabetisierungskurs anbieten. Ein Psychologe oder Sozialassistent schein hier nicht tätig zu sein, außerdem haben wir den Verdacht, dass die jungen Männer nie eine fachgerechte juristische Beratung erhalten haben. F. sagt uns, dass die Mitarbeiter die Migranten über das Asylverfahren informieren, und dass sie einige dabei unterstützen, die Informationen für die Kommission niederzuschreiben. Doch trotz ihres guten Willens scheint es, als würden die Migranten ungenaue und ungenügende Informationen erhalten, denn neben M. erreichen uns auch andere Bewohner in der Hoffnung, endlich mit einen Anwalt sprechen zu können. Sie fragen uns nach Neuigkeiten über ihre Dokumente. „Ich verstehe nicht, weshalb ich so lange warten muss,“ sagt S. aus Gambia, der zu uns ins Büro kommt. Nach weiteren Fragen und nachdem wir sie darüber aufgeklärt haben, dass die Aufenthaltsgenehmigung anhand der Situation jedes einzelnen vergeben wird, wird uns klar, dass fast alle der hier untergebrachten Männer, mit Ausnahme jener die erst vor kurzem ihre Volljährigkeit erlangt haben und hierher verlegt wurden, als einziges Dokument lediglich eine Karte besitzen, die ihren Aufenthalt im Zentrum bestätigt. F. fährt fort: „Das ist leider die Realität, aufgrund der Langsamkeit der Ausländerbehörde und der Präfektur. Vor kurzem wurden viele der Bewohner fotografisch registriert und Ende des Monats, sprich in einigen Tagen, wird sie ein Mitarbeiter ins Präsidium begleiten um das Formular C 3 anzufordern (das Formular, mit dem ein Asylantrag eingereicht wird, Anm. der Redaktion). Uns ist klar, dass eine Wartezeit von August bis Januar sehr lange ist, jedoch liegt das nicht in unserem Ermessen, es ist das System, das nicht funktioniert,“ bekundet F. Die jungen Männer sehen jedoch nicht davon ab nach dem Grund für die langen Wartezeit zu fragen, während Freunde von ihnen bereits Dokumente erhalten haben. Im laufenden Gespräch über das lange Warten wird die Lebensqualität im Zentrum schnell zum neuen Thema. „Wir können hier nichts machen außer essen und schlafen.“ F. erwidert, dass die Männer morgens den Alphabetisierungskurs besuchen, einige spielen in der Fußballmannschaft Rosolini und werden oft von den Mitarbeitern des Zentrums in Kleinbussen ins Dorf gefahren. „Sie werden dabei begleitet, weil die Straße ins Dorf nichts für Fußgänger geeignet ist und um ihre Integration vor Ort, wo die Präsenz von Migranten eine neue Erfahrung darstellt, zu erleichtern“. Nachdem wir nicht locker lassen und erneut nachhaken: „Aber die Migranten dürfen das Zentrum auch alleine verlassen?“ ist F. gezwungen einzuräumen, dass das nicht der Fall ist. Laut den Regeln dürfen die Bewohner die Struktur nur in Begleitung verlassen. Bei dieser Regelung handelt es sich jedoch um eine willkürliche und gesetzwidrige Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit. Es wird an dieser Stelle immer offensichtlicher, dass der Verkauf von Zigaretten und Prepaid Karten darauf beruht, die Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit noch zu verstärken. Die Jungen Männer geben uns zu verstehen, dass es nichts gibt, für das man das Zentrum verlassen darf. In zwei Punkten sind sie sich
jedoch mit F. einig: die Auszahlung des monatlichen Taschengeldes erfolgt immer pünktlich und es ist ein sehr positiver Aspekt des Zentrums, dass es hier Mitarbeiter gibt die Arabisch, Französisch und Englisch sprechen.
Im Salon wird laut Musik gehört und Tischfußball gespielt. Einige junge Männer aus Nigeria sprechen uns an und scherzen mit uns ein wenig über das Leben auf Sizilien und über die Schwierigkeiten, den sizilianischen Dialekt ins Arabische zu übersetzen. Weitere Mitarbeiter kommen und werden ins Gespräch mit einbezogen. Es herrscht eine entspannte Atmosphäre. „Wäre da nicht die Langeweile des Wartens und die Unverständlichkeit über die Dokumente, wäre ich unbesorgt,“ bekräftigt M. Wir fragen ob andere Personen vorbeigekommen sind, um ihnen Informationen zu geben, doch die Antwort der Migranten ist negativ. Darauf bekräftigen wir unsere Bereitschaft uns mit den Verantwortlichen zu treffen, um der Frage nach juristischer Beratung nachzugehen. Die Mediatorin F. bietet sich sofort und fast erleichtert als Vermittlerin in der Hoffnung auf eine schnelle Veränderung an, denn der gute Wille sollte nicht die Grundrechte derer vergessen lassen, die darauf warten, siche ine eigene Zukunft aufzubauen.
Lucia Borghi
Borderline Sicilia
Aus dem Italienischen von Elisa Tappeiner