Junge Migrant*innen im CAS Essarasya - San Miceli (TP) |
Im Augenblick gibt es in der Gegend von Trapani eine massive Anwesenheit von Personen, die aus ganz Italien zur Oliven- und anderen Ernten kommen; sie treten in einen Wettbewerb mit denen, die sich schon länger in der Gegend aufhalten. Wie wir es schon des Öfteren in der Vergangenheit hervorgehoben haben, haben die Institutionen nichts getan, um die Arbeiter*innen zu schützen; vielmehr haben sie Lösungen durchgesetzt, um die Unterdrückung der Unsichtbaren zu fördern und die Grundbesitzenden zu begünstigen.
Unterdrückung und Ausbeutung addieren sich zu der Vernachlässigung vieler Aufnahmezentren hinzu; diese sind nicht gedacht als Zentren für eine mögliche Integration vor Ort, sondern lediglich als “Verwahranstalten“, in denen die Menschen, die mit einer schweren Bürde vom Meer kommen, für lange Zeit „deponiert“ werden, weit entfernt von aufmerksamen Augen.
Der Großteil der geöffneten *CAS liegt (nicht nur in Trapani und der Provinz) versteckt, weit entfernt von bewohnten Zentren; das spiegelt eine klare und offensichtliche politische Entscheidung wieder: Die Schwarzen nicht herumlaufen zu sehen erlaubt es, die Öffnung von Zentren zu genehmigen, das Business auf einem zweckentsprechenden Niveau zu halten und keine Probleme mit der Bevölkerung vor Ort zu schaffen.
Die Präfektur von Trapani trifft dabei die direkte Schuld; sie ist das Organ, das das Territorium überwachen muss, das in letzter Instanz entscheidet, ob ein Zentrum geeignet ist oder nicht. Wie in dem Fall des *CAS Essarasya – San Miceli, das wir vor einem Monat besuchen konnten. Eine sehr schöne Einrichtung für den Urlaub auf dem Bauernhof oder als Ferienort, aber nicht geeignet als *CAS, da es sich weit entfernt vom Zentrum von Mazara del Vallo befindet, hinter einem Elektrizitätswerk. Die Verbindung zum Ort ist ein unbeleuchteter "Feldweg" und folglich gefährlich für den, der ein Fahrrad nehmen oder zu Fuß gehen will. Die Betreibergesellschaft hat uns die Tore geöffnet und war absolut bereit, mit uns zu sprechen; und das trotz der vielen Kritikpunkte, die wir vorgebracht haben, unterstützt von den Fotos, die uns die Jugendlichen in den vorhergehenden Tagen haben zukommen lassen. Klagen, die nicht nur durch den institutionellen Stillstand verursacht werden, sondern auch durch die fehlende Aufmerksamkeit seitens derer, die das Zentrum leiten.
Die Kooperative, die zu dem Konsortium Umana Solidarietà gehört (in starker Expansion auch in der Gegend von Palermo), verwaltet noch ein weiteres CAS* in Marsala. In dieser Einrichtung musste, nach einer Inspektion der Präfektur, eine Sanierung durchgeführt werden, um den Betrieb fortsetzen zu können. Wir betonen, dass die Renovierung erst kurze Zeit zurückliegt, da die Eröffnung des CAS* San Miceli auf den 20 Mai 2017 datiert. Die Vereinbarung wurde über 50 Plätze abgeschlossen und läuft im November aus. Vor einem Monat waren während unseres Besuches 44 Asylsuchende anwesend, die vor allem aus Westafrika und Bangladesch kommen.
Die Klagen haben uns vor einiger Zeit zusammen mit einem Foto errreicht, auf dem die anwesenden Personen auf einem Plakat die Probleme, die sie im Zentrum erlebt haben, beschrieben haben. Wir haben versucht, sie gemeinsam mit der Betreibergesellschaft zu überprüfen, diese hat uns die Existenz einiger Kommunikationsprobleme mit den Jugendlichen bestätigt.
Letztere haben zum Ausdruck gebracht, dass sie mit dem minderwertigen und eintönigen Essen nicht zufrieden sind: „Seit wir hier sind essen wir mittags und abends das Gleiche, und manchmal haben wir alles weggeworfen, weil es stank. Wir haben Probleme mit der Verdauung und nehmen ab“ und zur Unterstützung dieser These hat uns M. Fotos aus der Zeit vor der Ankunft im CAS* gezeigt. Wir haben eine Zusammenkunft vorgeschlagen, um eine Auseinandersetzung zwischen den Jugendlichen und der Betreibergesellschaft auf den Weg zu bringen, aber bis heute ist das nicht geschehen.
Ein weiterer kritischer Aspekt betrifft die Bearbeitungszeiten für die Dokumente: Zur Zeit unseres Besuches haben nur sechs Personen das Formular C3* ausgefüllt, während sich die anderen in Sechsergruppen in die Ausländerbehörde begeben.
Ein weiteres uns angezeigtes Problem betrifft die Klimaanlagen, die nicht funktionieren. Das hat die Menschen dazu gezwungen, den ganzen Sommer über wegen der unerträglichen Hitze draußen im Hof zu schlafen was zur Folge hatte, dass sie von Mücken und von Insekten gestochen wurden. Die Betreibergesellschaft hat die Version der Jugendlichen bestätigt und behauptet, dass die Klimaanlagen wegen Arbeiten am Elektrizitätsnetz noch nie funktioniert haben, diese wurden gerade erst beendet.
Schließlich sagen viele der Asylsuchenden, dass sie sich im Hinblick auf die Gesundheit nicht geschützt fühlen, da die Medikamente nicht ausreichend sind und nicht immer zur Verfügung stehen. Wir haben den Betreibern von dieser Klage berichtet. Der hat betont, dass die Jugendlichen geschützt sind und im Blick auf die Gesundheit immer von einem Arzt betreut werden, der wöchentlich in der Einrichtung anwesend ist und einem Krankenpfleger, der einen Medizinvorrat im Zentrum hat.
Einen Monat nach unserem Besuch hat sich die Situation nicht geändert, auch wenn die anwesenden Mitarbeiter*innen versuchen, sich mit Flickschusterei zu helfen. Die Beherbergten warten noch auf ihre Herbstkleidung, da sie noch ihre Sommerkleidung tragen, die ihnen beim Einzug ins Zentrum übergeben wurde. Decken haben sie dagegen erhalten. Der kritischste Aspekt bleibt die Kommunikation, weil es außer einem immer anwesenden Mitarbeiter, der ein wenig Schulenglisch spricht, keinen konkreten Bezugspunkt gibt. Die Direktion ist selten anwesend und die Bezugsmediator*innen, die die Jugendlichen unterstützt haben, arbeiten heute nicht mehr im Zentrum. Sie wurden durch eine neue Mediatorin ersetzt, die, wie die Jugendlichen sagen, nicht den Umgang hat wie die vorigen. Insgesamt fehlt ein Bezugspunkt, fehlt ein vertrauensvoller Umgang mit den Betreibern, fehlen Antworten auf die Fragen über die Zukunft, die sie erwartet.
Bedingungen wie im Fegefeuer, die die Personen nicht zufriedenstellen und die manchmal, zusammen mit den strukturellen Problemen des CAS*, Ursache für Proteste und Konflikte sind. Davon haben wir in der Gegend von Trapani in dieser Zeit viele gesammelt. Um mit diesem Sommer zu beginnen: Mit einer Anweisung zur Schließung wegen Unbenutzbarkeit der Örtlichkeiten, unterschrieben vom Kommissar der Gemeinde von Castelvetrano, wurde das CAS* Aerus in Triscina geschlossen.
Auch in Castellammare del Golfo wurde der ehemalige Agriturismo* Sicilia 1 geschlossen (alles Einrichtungen, die wir in der Vergangenheit kritisiert haben). Dagegen gab es im *CAS von Ericevalle viele Widerrufe von Aufnahmen: für die Schwierigkeiten werden die Personen bezahlen, die unter dem Druck einer Zukunft, die mit dem Vergehen der Tage immer düsterer wird, in Wut ausbrechen. Menschen, die den Tod haben nahe kommen sehen, leben weiter in einer schwierigen Situation, die das Fass oft zum Überlaufen bringt. Leider wird aber die Verletzlichkeit dieser Personen überhaupt nicht verfolgt und als Aufgabe aufgenommen, auch, weil das System CAS* diese Art von Aufmerksamkeit nicht vorsieht.
Aber Proteste gibt es nicht nur in den CAS* sondern auch in den SPRAR*, und das ist ein Signal dafür, dass das ganze System nicht funktioniert. Die letzte Episode in zeitlicher Reihenfolge ist im SPRAR* von Alcamo vorgefallen, das von der Kooperative Badiagrande verwaltet wird: Ein Senegalese ist wegen des Widerstands gegen die Staatsgewalt und versuchter Nötigung verhaftet worden, weil er einen Wutausbruch hatte. Ursache dafür war ein mangelndes Verständnis hinsichtlich einer Überweisung von 45€.
Endlich hat die Präfektur eine Inspektion des CAS* Sataru in der Ortschaft Fraginesi von Castellamare del Golfo – einem weiteren isolierten Ort - durchgeführt. Sie bemerkten dort einige Verstöße und Klagen seitens der Gäste. Einige von ihnen wurden in andere Einrichtungen verlegt, um den aufgestauten Druck zu mindern und der Betreibergesellschaft die Möglichkeit zu geben, das zu tun, was nötig ist, um den Ordnungen nachzukommen: Einen Betriebsmodus, der von der Präfektur auferlegt wurde, die es vorzieht, die Einrichtung nicht sofort zu schließen, sondern Anweisungen zu geben, um mit der Aufnahme fortfahren zu können.
Wie es offensichtlich ist, wie es immer ist, sind es in diesen schwierigen Situationen vor allem die Migrant*innen, die die Folgen einer defizitären und unangemessenen italienischen Aufnahmepolitik ausbaden müssen.
Alberto Biondo
Borderline Sicilia
*CAS - Centro di accoglienza straordinaria, außerordentliches Aufnahmezentrum
*SPRAR - Sistema di protezione per rifugiati e richiedenti asilo: Schutzsystem für Asylsuchende und Flüchtlinge, kommunales Aufnahmesystem auf freiwilliger Basis (keine staatliche Verpflichtung), ca. 3000 - 3500 Plätze in ganz Italien. Soll zur Integration der Flüchtlinge dienen.
*CPIA - Centri Provinciali per l'Istruzione degli Adulti – Zentrum der Provinz für Erwachsenenbilding
*Agriturismo – Urlaub auf dem Bauernhof
*C3, modulo - Formular C3 zur Asylantragstellung
Übersetzung aus dem Italienischen von Rainer Grüber