Foto von Ärzte ohne Grenzen an Bord des Schiffes Vos Prudence |
Über Such- und Rettungsaktionen berichten die Medien, und zwar viel: 13% der Nachrichten über Einwanderung in den wichtigsten italienischen Tageszeitungen behandeln das Thema sowie 18% der Fernsehprogramme zur Hauptsendezeit über Immigration. Besonders die Nachrichten, die von Schiffbrüchen (39%) oder von Rettungsaktionen (22%) handeln sind im Fokus. Aber WIE wird darüber berichtet? Der Bericht “Auf Sicht steuern – Erzählungen über Such- und Rettungsaktionen von Migrant*innen im Mittelmeer” dokumentiert die mediale Berichterstattung der SAR-Operationen (Search and Rescue) von Migrant*innen. Heute wurde er in der Stiftung für ausländische Presse von der Beobachtungsstelle Pavia, und von den Organisationen Associazione Carta di Roma und Cospe (Kooperation für die Entwicklung von Schwellenländern) präsentiert.
Militär- und zivile Operationen: wie berichten diejenigen, die aktiv sind?
Die Analyse von 400 Tweets über SAR-Operationen, die von offiziellen Accounts der aktivsten NGOs, von Eunavfor Med, von der Militärmarine und der italienischen Küstenwache gepostet wurden, hat wichtige Unterschiede in der Berichterstattung über SAR von denselben beteiligten Akteuren ergeben. Während die Berichterstattung der NGOs über die Zeit hinweg konstant sind und eher emotional, da der Fokus auf den geretteten Personen liegt, so sind Berichte der Eunavfor Med und der Marine eher technisch und konzentriert auf die Durchführung der Einsätze. Dazwischen befindet sich die Küstenwache, die zwischen beiden Kommunikationstypologien wechselt. Auch ihre Sprache ist anders. Die zivilen Akteur*innen sprechen häufiger von geretteten “Personen” (in 42% ihrer Tweets), Angehörige des Militärs dagegen von “Migrant*innen” (77% ihrer Tweets). Die Berichte der NGOs sind empathisch in 53% der Fälle und nur in 6% in jenen der Militärs. Und nur in den Berichten der NGOs finden wir Anhaltspunkte dazu, was vor und nach der Rettungsaktion geschah. “Im Falle einer Rettungsaktion kommen die Hauptakteur*innen, Expert*innen oder auch Migrant*innen zu Wort, in 67% der Fälle.”, sagt Paola Barretta, leitende Forscherin der Beobachterstelle Pavia.
Die Darstellung der SAR in den Mainstream-Medien
Mit dem Anfang der Aktion Mare Nostrum im Oktober 2013 in Reaktion auf die tragischen Schiffbrüche am 3. und 11. Oktober jenen Jahres haben die Such- und Rettungsoperationen mehr Aufmerksamkeit in der Berichterstattung über Immigration errungen. Die Berichte reichten von den Ankünften an den italienischen Küsten, über Unfälle bis hin zu den Einsätzen selbst. Die Berichterstattung kann bis zum Jahr 2016 als gute Praxis gesehen werden, wenn sie mit der Darstellung von Migration und Migrant*innen in ihrer Komplexität verglichen wird. Auch wenn es zur Einwanderungsthematik geteilte Meinungen gibt, so ist die Beschreibung der SAR positiv, die das Hauptaugenmerk auf die Protagonist*innen der Rettung und ihre Aktionen legt. Organisationen und Expert*innen kommen in mehr als der Hälfte der Berichte zu Wort und werden somit wie “Engel des Meeres” präsentiert, wodurch das Phänomen vermenschlicht wird und sich auf Solidarität und Gastfreundschaft konzentriert wird. Während Migrant*innen in all den prime-time-Ausstrahlungen nur zu 3% zu Wort kommen, so steigt dieser Prozentsatz auf 14%, wenn es sich um Nachrichten über SARs handelt. So zumindest bis Anfang 2017, als alles sich ändert.
Von “Engeln” zu “Taxen”
Durch das Video eines Bloggers, das zuvor viral gegangen ist, und durch die Erklärungen des Staatsanwaltes von Catania, Carmelo Zuccaro, wendet sich das Blatt vom Positiven ins Negative: ein Schatten legt sich über die Aktivitäten der NGOs. Und so ergibt sich auch eine neue Phase des Berichtens über die Such- und Rettungsaktionen (SAR): es wird über die Aktionen der NGOs, die die Einsätze durchführen, diskutiert, sogar bis zu dem Punkt, an dem die humanitäre Gesinnung dahinter angezweifelt wird. Nun überwiegt der Verdacht. “Die Darstellung der SAR bringt diverse Risiken mit sich, darunter die Legitimisierung von restriktiveren Migrationspolitiken und die Kriminalisierung von Solidarität”, hebt Valeria Brigida hervor, eine Freelance-Journalistin unter den Autor*innen des Berichts.
Aber nicht nur das: bisweilen verwechseln die Medien die Rollen der Militärorganisationen und der NGOs oder lassen sie gar überlappen, wo doch deren Unterschiede in ihrer Natur und ihren Missionen auch, wie bereits beobachtet, in der Art ihrer jeweiligen Kommunikation deutlich geworden ist. Pietro Suber, Vize-Präsident des Vereins Carta di Roma bestätigt: “Migrant*innen aufzuhalten wird die einfachste Antwort der Politik auf die Laune der Leute. In diesem Kontext ist die Studie, die wir heute präsentieren, von besonderem Interesse, um zu verstehen, wie sich eines der Hauptthemen unsere medialen und öffentlichen Debatte entwickelt.”
Es ist ein Rahmen, nämlich der des Verdachts, den es schwierig wird aufzubrechen trotz der Widersprüche der eingebundenen Akteur*innen, bis er durch einen narrativen frame ersetzt wird, der der Realität auf angemessenere Weise entspricht. Der PR-Leiter von Ärzte ohne Grenzen, Francois Dumont, sieht unter den Kommunikationszielen der Organisation “die Bitte an Europa, gemeinsame Politiken im Bereich der SAR durchzusetzen, aber vor allem sichere Einreisewege einzurichten, um nach Europa zu gelangen.” Fabio Turato, Politologe der Universität Urbino, unterstreicht im Hinblick auf die genutzten Kommunikationsmittel, wie wichtig es ist, “sich selbst zu definieren, bevor man von der Rhetorik der Angstmacher definiert wird, im Zusammenhang mit den Themen Einwanderung und NGOs.”
Zur Vertiefung und zum Download des Artikels geht es hier lang
Associazione Carta di Roma
übersetzt von Sophia Bäurle