Das passiert in Augusta, in der Provinz Siracusa, dort wo seit Monaten die Ankünfte und der Identifikations–Deportations-Abschiebebetrieb des Frontex-Systems weitergehen. Dieser Betrieb läuft geschützt vor den indiskreten Blicken "nicht akkreditierter" Journalist*innen und der antirassistischen und solidarischen Arbeit, ihnen wird der Zugang und die Möglichkeit verwehrt die Situation kontrollieren zu können, in der sich die Migrant*innen im Ankunftsareal befinden. Das, was in Augusta passiert, erfährt man nur von den direkten Aussagen der Migrant*innen, die diese Vorhölle passiert haben und die man abends am Bahnhof von Catania antrifft. Einige Jugendliche berichten davon, dass ihnen die Flucht mehrere Tage nach der Inhaftierung in der Zeltstadt gelungen sei. Sie haben unter der glühenden Hitze gelitten und wurden von den Beamt*innen der Polizei überwacht. Kulturelle Mediation oder Informationen über das Recht auf einen Asylantrag und humanitären Beistand gab es nicht. Andere erzählen davon, dass sie mit Schlägen eines Elektro-Knüppels zur Abgabe ihrer Fingerabdrücke gezwungen worden sind. Wieder andere sagen aus, nach der Identifizierung einfach auf der Straße gelassen worden zu sein. Zu Fuß haben sie die 40 Kilometer Asphalt zurückgelegt, um die Stadt am Ätna zu erreichen.
Die Wirklichkeit in Augusta ist nur ein Mosaikstein dieses miserablen komplexen institutionellen Aufnahmesystems. Es ist eine Hölle des Missbrauchs und der Gewalttaten, der Verweigerung von Rechten sowie der Ausbeutung, das tausende geflüchtete Männer, Frauen und Kinder heimsucht. Doch es handelt sich um einen eigentümlichen Mosaikstein, wenn man die Wichtigkeit dieses Territoriums unter dem Gesichtspunkt der wirtschaftlich-industriellen sowie militärischen Interessen bedenkt. Diesbezüglich hat der letzte "Petrolio"-Ermittlungsskandal lediglich einen Einblick geboten, der sicherlich nicht ausreicht. Er zeigt aber die perversen Handelsverwicklungen zwischen der Industrielobby, den Hafenbehörden und der Führung der italienischen Marine. Und im selben Kontext, nur von der anderen Seite aus betrachtet, hat sich Widerstand gegen einen Hotspot im Handelshafen von Augusta formiert: von der Fünf Sterne Bewegung bis zu den Fratelli d'Italia (Den Brüdern Italiens), von der Kommunalverwaltung, geführt von der Fünf Sterne Bewegung, bis zum ehemaligen außerordentlichen Hafenkommissar Alberto Cozzo, welcher zur Zeit von lukanischen Richtern angeklagt wird.
Im Speziellen ging es bei dem Widerstand der Kommunalverwaltung von Augusta, sowie beim Nein der übrigen politischen und behördlichen Verantwortlichen gegen den Hotspot nicht um das Unheilvolle, was das Sicherheitskonzept für die Geflüchteten darstellt, sondern vielmehr um die Umwidmung eines Teils des Handelshafens zum Ankunftssteg. Tatsächlich wurde nie ein Wort verloren über die Menschenrechtsverletzungen und die Illegalität der Hotspots im Sinne des italienischen und europäischen Rechts, wenn man die Abwesenheit jeglichen juristischen Rahmens und die unter totaler Kontrolle der Polizei stehenden Identifikationsmaßnahmen berücksichtigt. Unausgesprochen bleiben ebenso der Missbrauch und die gewalttätigen Praktiken, dokumentiert zum Beispiel im kürzlich veröffentlichten Bericht von Oxfam, Hotspot das verhinderte Recht, sowie in den zahlreichen Berichten von Borderline Sicilia, welchen die Migrant*innen in den Häfen in denen sie an Land gehen, darunter auch der von Augusta, ausgesetzt sind.
Die Tatsache, dass der Hafen zur Aufnahme von Migrant*innen eingesetzt wird, „erniedrigt die wirtschaftlichen Ambitionen nicht nur der Stadt sondern der ganzen Region.“ So die Bürgermeisterin von Augusta Cettina Di Pietro, sie appelliert bereits seit über einem Jahr an die Regierung, dass Augusta nicht „Der Hafen der Einwanderer“ bleibe, letztens kündigte sie sogar einen Hungerstreik an. Wörtlich zitiert, „Um den Entwicklungsplan" der Handelsanlegestelle "nicht zu demütigen“. Und dieselbe erste Bürgerin der Stadt erregt das Schreckgespenst der "Sicherheitsgefahr der Bürger*innen“, wie bei der schlimmsten Lega Nord-Propaganda. Dadurch unterstützt sie die Gleichmachung des Migrationsphänomen mit dem Risiko terroristischer Attentate. Die banale Gleichung ist die Konsequenz einer offenkundigen Unkenntnis, die eine gefährliche Botschaft der Xenophobie enthält, und die schlussendlich auf die öffentliche Meinung abfärbt. Wenn sich dann noch der Populismus um „45 Euro für Minderjährige Migrant*innen und null Euro für minderjährige Kinder von Italienern“ breit macht, der ebenfalls von der Bürgermeisterin bei einer TV-Diskussion auf La7 aufgebracht wurde, verschlechtert sich der Diskurs spürbar und wird Nährquelle für noch schlimmere reaktionäre und rassistische Launen.
Trotzdem betrachtet man die Hölle dieser missratenen, hierarchisch-institutionellen Aufnahme, könnten Gemeinden wie Augusta viel dazu beitragen, den Weg der Solidariät einschlagend und der freiheitsgefährdenden Politik nicht mehr gehorchend, die von den Zentralregierungen auferlegt wird. An fruchtbarem Boden dafür würde es gewiss nicht fehlen Die Bürger von Augusta haben bereits vor zwei Jahren durch die Erfahrung der Kinder der Grünen Schulen, große Begeisterung für Mitmenschlichkeit und Aufnahme gezeigt; infolge dessen wurden viele Minderjährige von Familien aufgenommen, während die Organisationen, die Pfarreien und viele Freiwillige sich in solidarischen Initiativen einsetzten. Mit der Umsiedlung der Minderjährigen in das Zentrum Città Giardino von Salvatore Buzzi von der Mafia Kapitale wurden diese Erfahrungen einige Monate später zusammen mit den gerade entstandenen menschlichen Bindungen gekappt.
Auch wenn die Zivilgesellschaft von Augusta heute aktiv davon ferngehalten wird, wäre es jetzt wichtig dieses zerschnittene Band wieder aufzunehmen und sie dahin zurückzukehrend in diese sie direkt betreffende Angelegenheiten erneut mit einzubinden. Bei einem Schritt in diese Richtung, muss ganz klar sein, dass Aufnahme und Solidarität weder ein Problem zum verwalten, noch ein Business für welches man den Zuschlag erhält, sondern eine menschliche und kulturelle Quelle sind, sie sind auch eine soziale Erfahrung die jede Gemeinschaft mit Weitblick aktiv suchen und bewerben müsste. Tugendhafte Beispiele wie das der Gemeinde Riace und ihres Bürgermeisters Mimmo Lucano existieren und zeigen den Horizont der Möglichkeiten: ein Dorf mit gerade einmal 1.800 Seelen, in der Lage 550 immigrierte Mitbürger*innen in ihr soziales, kulturelles und wirtschaftliches Netz aufzunehmen und aus der Solidarität eine einmalige Gelegenheit zur Wiederbelebung der Gemeinde zu machen.
Deshalb wäre es gut, wenn auch die Bürgermeisterin von Augusta die Thematik ernsthaft vertiefen und ihre Position diesbezüglich ändern würde, in dem sie von den populistischen Argumenten Abstand nimmt und sich wirklich für die Seite der Migrant*innen und ihrer Rechte entscheidet. Auch bezüglich eines in Melilli geplanten CARA*, das x-te segregierende Aufnahmezentrum auf Sizilien, für dessen Eröffnung die gleiche Di Pietro sich stark macht und welche sie vorantreibt, sollte sie ihre Position überdenken.
Und schließlich im Hafen, kein „Plan für kommerzielles Wachstum“ kann vor die Interessen der Menschen, ihre Leben und ihre Schicksale gestellt werden. Angenommen, dass „Wachstum“ noch immer das Paradigma sei, das es zu befolgen gibt. Ansonsten ist es besser, von diesen Vorhaben Abstand zu nehmen. Sie wären Gift für die Gemeinschaft und nur für Lobbies, Mafia und Spekulant*innen gut. Es ist nichts anderes als das immergleiche tragische Drehbuch für die Petrochemie in Siracusa, das seit 60 Jahren gespielt wird.
*CARA - Centro di accoglienza per richiedenti asilo: Aufnahmezentrum für Asylsuchende
Aus
dem Italienischen von Elisa Tappeiner