In
Anbetracht des Todes eines unschuldigen Menschens,
kann ich nicht anders, als Leid zu
empfinden.
Allein
der Gedanke, dass eine geliebte Person ohne Schuld und zu Unrecht
sein Leben verliert, jagt mir einen Schauder ein. Bei
dem Versuch, anderen das Leben zu retten, musste ein Vater die Leiche
seiner Tochter im Meer zurücklassen. Diese Nachricht – eine
weitere Tragödie und
Auswirkung
der mörderischen europäischen Politik – erschüttert mich
zutiefst.
Was
können wir tun, um einem verzweifelten Vater, der Ehefrau und
Tochter verloren hat, zu helfen?
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Die
fünf
Leichname erreichen den Hafen von Trapani – Foto von Giorgia
Mirto
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Letzte
Woche in Trapani haben wir die Leichname in Empfang genommen – fünf
Leichen, darunter
die von zwei
syrischen Kindern. Wir sind gut darin, Tote in Empfang zu nehmen,
aber wir sind weniger gut im
Aufnehmen und Unterstützen derjenigen,
die überlebt haben. Es fehlte aber der Leichnam des Mädchens, das
in den Armen seines Vaters gestorben war und das von ihm
zurückgelassen wurde, weil der Vater sich dafür entschied, anderen
das Leben zu retten, das seines Sohnes und vieler
anderer
Kinder. Der Mann wird, wie viele andere Menschen auch, für immer mit
dieser schrecklichen Erinnerung leben müssen. Der Vater hat aus dem
x-ten
Schiffbruch eine Rettungsaktion gemacht und wie so oft haben die
Medien darüber
geschwiegen.
Es
ist inzwischen Alltag: Genauso wie die unrechtmäßigen Praktiken
alltäglich geworden sind, die die Institutionen vollziehen, seien es
die Präfektur, die Gemeinde oder das Polizeipräsidium.
Unrechtmäßige Praktiken,
die den Migrant*innen keinen Ausweg lassen, als den Protest, wie der,
der letzte Woche drei Tage lang von den Migrant*innen im Zentrum
Piano Torre in Isnello (Provinz Palermo) initiiert wurde. An und für
sich ein surrealer Protest: Die Migrant*innen,
die im
Madonien-Gebirge
befindlichen,
gottverlassenen
Zentrum beherbergten
sind, haben
eine Straßensperre organisiert. Leider
verkehren auf dieser Straße nur die Autos der Mitarbeiter*innen
des Zentrums und eventuell ein paar Pferde oder Wildschweine!
Die
Bewohner*innen
protestieren, weil das Taschengeld
nicht regelmäßig ausgezahlt wird. Die Verspätung in der Auszahlung
geht auf die finanziellen Schwierigkeiten der Verwaltung zurück, die
seit ca. einem Jahr keine Gelder mehr von der Präfektur bekommen
hat, weil die Geschäftsführung des Zentrums ersetzt wurde. Und den
Preis müssen die Migrant*innen zahlen. Aufgrund dieser enormen
bürokratischen Verspätungen und der fehlenden Klarheit verlieren
sie jegliche
Hoffnung. Es ist unerträglich, dass es
teilweise
bis zu fünf
Monaten dauert, bis ein
internationales Schutzgesuch formal eingereicht werden kann,
oder die gleiche Zeit benötigt wird, bis die Entscheidung der
Territorialen Kommission bekannt gegeben wird.
Ein
sehr großes Problem, vielleicht das größte, ist die Isolation:
Wenn das eventuell im Falle eines CAS* noch vertretbar wäre
(wohlgemerkt eine absonderliche Idee in einem zusammenbrechenden
Aufnahmesystem), ist es
umso
gravierender
im Falle eines Sprar*, weil die Eingliederung in ein soziales und
Arbeitsumfeld ein Eckpfeiler dieses Projektes sein sollte. Die
gleichen Problemen sind auch in den sogenannten Hochspezialisierten
Zentren für Minderjährige anzutreffen, wo die jungen Migrant*innen
buchstäblich geparkt werden, bis sie die Volljährigkeit erreicht
haben, wo
doch
die Aufenthaltszeit
dort
nicht die 3 Monaten überschreiten sollte.
Das
Fehlen einer
ernsthaften
und systematischen Projektkonzeption
der Aufnahme erzeugt unangemessene
Situationen, Vorurteile und Ausbeutung, die nicht akzeptabel sind und
die eine schnelle Kursänderung im
Namen
der Gerechtigkeit reklamieren. Und eben dieses Fehlen an Fähigkeiten
zur
Planung hat
verschiedene Probleme in Trapani hervorgebracht, in dem bis dahin
einzigen sizilianischen Hotspot,
wo
eine gewisse Balance zwischen den Anforderungen an Sicherheit und den
humanitären Bedürfnissen herrschte. Die Ankunft von ca. 800
Migrant*innen vor einigen
Tagen hat ein bis dahin gut funktionierendes System kollabieren
lassen: Zum ersten Mal sind ca. 200 Migrant*innen nach Messina
verlegt worden, ohne dass sie vollständig identifiziert wurden. 90
Marokkaner*innen
mussten erst in einem Saal innerhalb der Einrichtung
auf dem Boden warten und nach einigen Tagen sind sie dann mit einer
Abschiebungsbenachrichtigung
in der Hand nachts
des Zentrums verwiesen
worden. In kleinen Gruppen, in der Dunkelheit, um nicht aufzufallen,
sind sie an die frische Luft gesetzt worden, ohne jegliche Hinweise,
schlimmer noch, in der Annahme, dass Palermo zu Fuß erreichbar sei!!
Zur
gleichen Zeit erfolgt ein Wechsel in der Führung der Präfektur.
Eine solche Situation hatte sich bis dato unter der Führung von
Präfekt Falco nicht zugetragen. Ist das ein Zufall? Oder ein neues
Verhaltensmuster? Die Abgewiesenen erzählen uns, dass sie nicht
einmal die Möglichkeit hatten, zu duschen, bevor sie gehen mussten.
Außerdem, da zur Zeit
im hotspot sehr viele Migrant*innen leben, ist die Lage von Frauen
und Kindern besonders problematisch. Eine weitere Nachricht erreicht
uns aus dem Hotspot
von Trapani: 10 Ägypter sollen mit einem Flug von Catania aus
zurückgeführt und 2 Tunesier*innen
sollen in das CIE* nach Caltanissetta verlegt worden sein.
Eine
weitere Schwierigkeit in dem Aufnahmesystem liegt in der Umsetzung
der Relocation. Villa Sikania (Provinz Agrigent) ist der einzige
regionale Hub,
in der Tat jedoch aufgrund der Anzahl und der Typologie der dort
beherbergten Migrant*innen funktioniert es mehr als ein CAS*. Diese
Struktur ist überfüllt auch weil die 300 Migrant*innen, die vor
wenigen
Tagen in Porto Empedocle angekommen sind und die zuerst nach Pozzallo
hätten gehen sollen, stattdessen nach Agrigent umgeleitet wurden,
weil es
in
Pozzallo keine freien Plätze mehr gab. Bis eine Relocation erfolgt,
dauert es durchschnittlich inzwischen ein ganzes Jahr: Diese
unglaublich lange Zeitspanne ist ein weiterer Beweis dafür, dass
dieses Instrument nicht den Anforderungen der aktuellen
Situation
angemessen ist. Die Migrant*innen, für
die die
Relocation vorgesehen
ist,
werden nicht mehr nach Rom in das dafür vorgesehenen Hub
verlegt. Demzufolge
werden in Villa Sikania keine Plätze frei, deswegen müssen diese
Migrant*innen in das Cara* nach Mineo verlegt werden. Dieses Zentrum,
das inzwischen auch als Hotspot,
wenn nötig, funktioniert, bestätigt sich als Mehrzweckzentrum, das
für jede Situation einsetzbar ist, ungeachtet der Ermittlungen der
Staatsanwaltschaft.
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Der
Friedhof in Trapani während der kurzen Totenmesse für die fünf
Opfer – Foto von Giorgia Mirto
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Schwierigkeiten,
Ausbeutung und Tod sind leider die Worte, die immer wieder, leider
viel zu oft, erklingen, um die Folgen einer kriminellen, ungestraften
Politik zu beschreiben. Ich suche Trost in dem ich mir vorstelle,
dass die kleine B. im Traum ihrem armen Vater diese Worte zuflüstert,
um seinem für immer vom Schmerz zerrissenen Leben einen Sinn zu
geben: „Papa, ich weiß mit welcher Kraft und Energie du versucht
hast, mich vor dem Tod zu retten, und es doch nicht geschafft hast.
Zuerst hast du deinen ganzen Mut zusammen genommen und uns von den
Bomben weggebracht, dann hast du uns vor der Gewalt der Schleuser
geschützt, aber gegen das Meer, den grausamen Verbündeten der
armseligen westlichen Welt, hast du es nicht geschafft, mein junges
Leben und das der Mutter zu retten. Wir sind aber stolz auf dich,
weil du das Leben vieler anderen gerettet hast, angefangen mit dem
meines Bruders. Papa, du musst
stark bleiben, du musst
den Kampf gegen die rassistische Politik, die uns
ermordet hat, fortsetzen! Wir sind stolz auf dich! Mutter schickt dir
einen Kuss”.
Alberto
Biondo
Borderline
Sicilia
*CAS
- Centro di accoglienza straordinaria - Außerordentliches
Aufnahmezentrum
*SPRAR
- Sistema di protezione per rifugiati e richiedenti asilo -
Schutzsystem für Asylsuchende und Flüchtlinge
*CIE
- Centro di Identificazione ed Espulsione – Abschiebungshaft
*CARA
- Centro di accoglienza per richiedenti asilo - Aufnahmezentrum für
Asylsuchende
Aus
dem Italienischen von A. Monteggia übersetzt