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Sonntag, 31. Juli 2016

Tote: das Meer kann nicht mehr

Die Toten sind dermaßen viele, dass das Meer sie, entlang der libyschen Küsten, wieder ausspuckt. An dem Ort an dem viele aufbrechen, auf der Suche nach einem neuen Leben, das sowohl den Frauen, als auch den Männern jeden Alters bisher vorenthalten wurde. Weitere Tote wurden in den letzten Wochen von den humanitären Schiffen wie Acquarius und Dignity von Ärzte ohne Grenzen geborgen. Die letzten in dieser Chronologie, sind die Leichen von 22 jungen Frauen, in der letzten Woche in Trapani an Land gebracht. Frauen und Minderjährige sind die ersten Opfer der Überfahrt von Libyen nach Italien, denn sie befinden sich im Inneren der Boote.
 
Keiner spricht mehr über sie, weder das Fernsehen, noch die Zeitungen. Diese sind zu sehr darauf konzentriert die festgenommenen, mutmaßlichen Schlepper zu zählen. Auch diese werden immer jünger. Seit kurzem sind auch Frauen unter ihnen.
 
In einer Woche sind in Trapani rund 1000 Personen angekommen. Sie haben das Aufnahmesystem auf eine harte Probe gestellt. Besonders schwierig war die Situation der Minderjährigen und der Erwachsenen, welche sich kooperationswillig zu einer Umsiedlung zeigten, für welche sich keine Plätze mehr fanden. Dies lässt die Zahl der Tage im Hotspot von Milo mehr werden. Dort werden innerhalb kurzer Zeit alle Personen identifiziert und fotografiert. Wegen der großen Konfusion gelingt einigen dennoch die Flucht, während andere vor die Tür gesetzt und zurückgeschickt werden.
 
So hat es sich auch im Anschluss an die letzte Ankunft abgespielt. Die Präsenz vieler Ägypter hat das Getriebe des Systems in Trapani zusammenbrechen lassen. Die zahlreichen, mutmaßlichen Minderjährigen wurden während der kurzen Fahrt vom Hafen zum Hotspot zu Erwachsenen umdeklariert. Und die erwachsenen Ägypter wurden mit einem Flug von Palermo zurück geschickt. Ob sich auch ein Blinder unter ihnen befand, überprüfen wir noch.
 
In der letzten Woche kamen sieben Tunesier an den Stränden von Favignana an. Ihr kleines Boot wurde von den Marinekontrollen nicht gesichtet. Die Männer wurden von Palermo mit dem Flugzeug wieder in die Heimat zurückgeschickt. Die Situation wird immer schlimmer, das zeigt sogar die Art der Rettungsmanöver und die der Ankünfte  in den sizilianischen Häfen: das Hauptinteresse bleibt, mutmaßliche Schlepper (die Sündenböcke der illegalen Einwanderung) zu identifizieren, dass dabei Familien, die zusammen aufgebrochen sind, zerstückelt werden, wird vernachlässigt. Immer öfter suchen Frauen ihre Männer und Brüder, oder Schwestern. Das sorgt bei den bereits sehr erschöpften Personen für große Probleme, psychologischer Natur. Ein Fall von vielen: in der letzten Woche hat eine Sechsjährige in Palermo ihren Vater gesucht, dieser war nach Siracusa gebracht worden. Auch Nigerianern, die nach Lampedusa gekommen sind, wurde die Tür vor der Nase zugeschlagen, sie wurden in das Identifikations- und Abschiebezentrum von Pian del Lago gebracht. Dann wurden sie zusammen mit 22 weiteren Personen aus verschiedensten Zentren Italiens, nach Nigeria abgeschoben. Der Flug stand in Verbindung mit der Europäischen Union und wurde von Frontex koordiniert.
Auf der Fähre von Lampedusa nach Porto Empedocle wurden ein Marokkaner und ein Libyer zurückgewiesen. Wie es bereits vor einigen Monaten zu Zeiten der Abschiebungen der Fall war, wurden sie am Bahnhof zurückgelassen. Es besteht der Eindruck, dass es alle diese Ausnahmefälle gibt, um den fehlenden Aufnahmeplätzen entgegen zu wirken.
 
Im Hotspot von Lampedusa, wo mittlerweile über 25 Frontexeinheiten gegenüber zwei der humanitären Organisationen stationiert sind, wie im Hub von Villa Sikania werden weiterhin Überbelegung und Vermischung registriert zusammen mit mannigfachen Fällen von Ausübung von psychischem Zwang bei der Abgabe der Fingerabdrücke.
 
Keiner will die Toten sehen, keiner will sie auf dem Gewissen haben, auch nicht das Meer.
 
Alberto Biondo
Borderline Sicilia
 
Aus dem Italienischen von Elisa Tappeiner