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Mittwoch, 11. November 2015

Die Schleuser auf den Booten sind jung und unerfahren

Aus Meridonews - Im November werden die Ankünfte der Migranten weniger – so ist es jedes Jahr an den Küsten Siziliens. In den ersten Novembertagen dieses Jahres scheint das aber nicht zu stimmen. In Pozzallo landen allein am letzten Wochenende 713 Menschen aus Subsahara Afrika. Sie kamen an Bord des Schiffes «U. Diciotti» der italienischen Küstenwache, die zwei Boote in Seenot gerettet hatte. Die «U.Diciotti» hatte bereits Passagiere von sechs anderen Booten an Bord (denen zuvor von noch anderen Schiffen Hilfe geleistet wurde). Ein Teil der Geretteten wurde nach ihrer Identifikation und den Fotos zu ihrer Erkennung ins Aufnahmezentrum von Pozzallo gebracht. Die anderen wurden in andere Zentren der Insel transferiert.

Die Polizeikräfte haben unmittelbar nach der Anlandung mit der Suche nach den Menschenschmugglern begonnen. Denn die mobile Einsatzbrigade von Ragusa hatte gemeldet, dass bereits vier vermutliche Schlepper ausgemacht worden seien: ein 18-jähriger Senegalese, ein 25-jähriger Mann aus Ghana und zwei Männer aus Gambia von 34 und 39 Jahren. Sie werden beschuldigt, die illegale Einreise von Ausländern ins nationale Territorium Italiens ermöglicht zu haben. Kaum zwei Wochen zuvor sind 200 Migranten in Pozzallo von Bord gegangen, die von zwei Booten in Seenot gerettet worden waren. Auch damals wurden vier vermeintliche Schlepper identifiziert: ein Mann aus Gambia, einer aus Mali, einer aus Guinea und einer aus Ghana, alle im Alter zwischen 18 und 28 Jahren. Tatsächlich nimmt die Zahl der vermeintlichen Schlepper, die verhaftet werden, kontinuierlich zu. Laut der Polizei waren es in der Provinz Ragusa im gesamten Jahr 2014 200, dieses Jahr sind es bereits 140.
Statistisch gesehen, ist die vermutete Identität eines Menschenhändlers leicht auszumachen. Er kommt aus Zentralafrika und ist zwischen 18 und 30 Jahre alt. Die kriminellen Banden, die den Menschentransport zwischen Libyen und Sizilien organisieren, scheinen offenbar  über dieses  «Mitarbeiterreservoir» zu verfügen.
Viele der Migranten in den Erstaufnahmezentren werden in andere Strukturen weitergeleitet: z. B. in die SPRAR* Zentren für Asylbewerber, falls sie auf Bescheid warten müssen, ob ihr Asylantrag angenommen wird. Einige kommen auch aus Vittoria, 50 Kilometer entfernt von Pozzallo. Dort treffen wir Chiara Pitti, Koordinatorin für die dortige «Vereinigung für Menschenrechte». Sie ist in Begleitung von drei  Migranten aus Gambia, Mali und Guinea, alle etwa 20 Jahre alt. Es sind Landsleute von Inhaftierten. Der erste, der das Wort ergreift, ist seit mehr als einem Jahr in Italien und erzählt von seiner Überfahrt. Er erinnert sich an die Fragen der Polizei. «Sie fragten nach dem Bootsführer und Steuermann. Aber ich war am Bug und in der Nacht habe ich nichts erkennen können». Der zweite berichtet genauer. «Ich habe geantwortet, dass ich weiss, wer das Boot steuert, denn man hat mich auch gefragt, das zu übernehmen, aber ich wollte nicht. Ein anderer ist ans Ruder gegangen, es war einer, den ich in Libyen kennengelernt habe». Beide kamen aus der gleichen Küstengegend in Libyen.
Der dritte Mann ist schweigsamer mit unsicherem Blick. Er spricht wenig Italienisch und nicht gut Englisch und erklärt in seiner Muttersprache Mandinka: « Wir waren 120 Leute. Einer der Reisegefährten steuerte unser Boot. Wir waren alle in der gleichen Karawane, durch die Wüste im Niger, alle im gleichen Gefängnis in Libyen, wo wir geschlagen wurden. Eines Tages holten sie uns und brachten uns auf ein überfülltes Boot. Ihn haben sie zum Steuermann gemacht. Er war ein mutiger Mann, ich weiss nicht, wo er jetzt ist». Keiner von ihnen hat dem Steuermann etwas bezahlt. Keiner der Schleuser auf diesen ramponierten Booten scheint einer dieser Organisationen anzugehören, die vom Menschenhandel profitieren. Es ist noch nicht bekannt, wie viele Migranten gleich bei ihrer Einreise abgewiesen werden. Aufgrund der neuen europäischen Bestimmungen wurden das CSPA** in Vittoria in einen «Hotspot» umgewandelt, wo auch Beamte der Agentur Frontex mitarbeiten. Im Oktober wurde über 44 von 500 Migranten die «vorsorgliche Einreiseverweigerung» – «respingimento preventivo» verhängt. Laut der Meinung von Migrationsexperten und Aktivisten verstösst diese Praxis in den «Hotspots» gegen die fundamentalen Menschenrechte und die Normen der Genfer Konvention.
Die Aufnahmestruktur in Pozzallo kann 180 Leute beherbergen, ist aber ständig überbelegt. Manchmal waren es bis 1000 Menschen die da zusammengepfercht waren. Über die frühere Leitung ist ein Untersuchungsverfahren der Justizbehörden von Ragusa im Gange.

Andrea Gentile

*SPRAR – Sistema di Protezione per Richiedenti Asilo e Rifugiati: Struktur nach der Erstunterkunft für Asylanwärter und Schutzbedürftige
**CSPA – Centro soccorso e prima accoglienza: Erstaufnahmezentrum nach der Ankunft

Übersetzung aus dem Italienischen von Susanne Privitera Tassé Tagne