Meridionews.it - Zunächst die
lange Reise, die in der Elfenbeinküste, in Guinea und Mali beginnt. Anschließend
mehrere Wochen Aufenthalt in Libyen und der Versuch das viele Geld – circa 450€ – für die Reise über das
Mittelmeer irgendwie zusammenzutragen. Schließlich die Ankunft in Lampedusa und
der Beginn einer neuen Odyssee durch Sizilien. Es ist die Geschichte von vier
Jugendlichen, ihre Namen sind frei erfunden, die am Mittwochmorgen in Catania
angekommen sind.
Sie begegnen
einander in einem abgelegen Haus vor den Toren Tripolis. Hier werden Migranten
aus verschiedenen Ländern von Menschenhändlern untergebracht, wo sie darauf
warten an Bord zu gehen. Verschiedenste Geschichten, die jedoch eines
verbindet: Die Notwendigkeit ihre Heimat verlassen zu müssen.
Der
16-jährige Alassa aus Guinea gehört einer ethnischen Minderheit an, weshalb er
und seine Familie in der Heimat diskriminiert wurden. „Ich bin allein
weggegangen“. In Libyen wird er verhaftet. Um freigelassen zu werden beginnt er
zu arbeiten, um seine Gefängniswärter zu bezahlen und anschließend Geld für die
Überfahrt zur Seite zu legen. Die Monate verbringt er damit „allesmögliche zu machen“,
wiederholt er, ohne wirklich etwas zu sagen.
Saneisi, 25
Jahre, gehörte einer politischen Jugendbewegung in der Elfenbeinküste an. Auch
seine Reise durch den afrikanischen Kontinent endet in Tripolis. Seinem 18-jähriger Landsmann
Sanga gelingt es nur sechshundert Dinar zurückzulegen. Für ein paar Tage wird er gezwungen als
Mechaniker zu arbeiten, repariert die Fahrzeuge einer der Milizen des Landes.
Es gelingt ihm zu fliehen und er erhält Hilfe von einem Freund, der ihm das restliche Geld
leiht. Ihrer Gruppe schließt sich Abdoul an. Er ist 26 Jahre alt, kommt aus
Mali und kann nicht lesen und schreiben, spricht weder Englisch noch
Französisch. Als seine Freunde seine Erzählungen übersetzen, verkriecht er sich in seiner Jacke
und duckt den Kopf
in die Schultern. Geflohen aus einem Tuareg-Dorf, in welchem bei einem Angriff
mindestens drei Leute getötet wurden, bleibt auch er ohne Vergangenheit zurück.
Nach langer
Zeit des Wartens in dem abgelegenen Haus, ist der Moment gekommen, an Bord zu
gehen. Das Warten verbringen sie damit, von Europa zu träumen, den Tod auf
hoher See zu fürchten, aber vor allem Stillschweigen zu bewahren, um sich nicht
entdecken zu lassen.
Als das Boot
die Küste erreicht, müssen alle Entscheidungen bereits gefällt sein. „Wenn dir das
Boot nicht gefällt, weil es dir in einem zu schlechten Zustand erscheint oder
weil du Angst hast, kannst du nicht mehr zurück“, betont Saneisi, „sie geben dir
dein Geld nicht zurück.“ Sie, die Schlepper, werden weder beim Namen genannt noch
beschrieben. „Als wir losgefahren sind, hat uns ein weiteres, kleineres Boot verfolgt“,
erinnert sich Sanga. An einem gewissen Punkt der Überfahrt steigt der Kapitän
auf das zweite Boot. „Sie haben auf das Ruder gezeigt, uns allein gelassen und
gesagt, wir sollten den Sternen folgen“, bestätigt Alassa mit einem Finger in
den Himmel zeigend.
In Lampedusa
angekommen, werden sie hastig identifiziert und mit einem Reisedokument in der
Hand nach Agrigent gebracht: Sie haben sieben Tage lang Zeit um den Flughafen von Rom
Fiumicino zu erreichen, von welchem aus es zurück in ihr Herkunftsland gehen
soll. Die Kosten müssen sie selbst tragen, so wie es gemäß der neuen Abschiebungsverordnung
der Behörden gehandhabt wird. „Die Polizei hat uns zum Bahnhof gebracht und
gesagt, dass wir gehen sollen.“ Wohin? „Sie haben uns gesagt wegzugehen“, wiederholen sie.
Alassa
spricht nicht viel. Als man ihn nach seinem Alter fragt, scheint seine Lage ein
immer schlimmeres Ausmaß anzunehmen. „Ich bin 1999 geboren“, erzählt er. Um
sicher zu sein, dass er verstanden wird, schreibt er sein Geburtsdatum auf ein
gelbes post-it. Sechzehn Jahre, ein Minderjähriger. Obwohl auf seiner Kartei
ein Alter von 19 Jahren aufgeführt ist, ein nicht unerhebliches Detail, da es
ihn in die Lage versetzt abgeschoben werden zu können. „Sie haben uns den
Bahnhof von Agrigent gezeigt,“ fährt Saneisi fort. „Wir haben den ersten Zug
genommen, den wir gesehen haben. Sie haben uns nach einem Fahrschein gefragt,
aber wir hatten kein Geld. So sind wir ausgestiegen und zurückgekehrt.“
Sie kehren
zurück ins Polizeipräsidium, worauf eine Reise folgt, die Sanga auf Französisch
als „bizarre“, komisch, beschreibt. Ein Wagen der Polizei, welcher weitere acht
Migranten nach Catania bringen sollte, habe sie mitgenommen und anschließend in
einen Außenbezirk gebracht. Einige der Bewohner seien auf sie aufmerksam
geworden und hätten das Ordnungsamt gerufen. „Zwei Polizisten sind gekommen,
die uns empfohlen haben, nicht zu viel Lärm zu verbreiten, ruhig zu bleiben“, führt Saneisi weiter
fort. „Sie haben uns etwas zu essen und Wasser gegeben und uns gesagt, zur
Caritas zu gehen.“
Drei Stunden
Fußmarsch folgen bis sie schließlich zu einer Einrichtung gelangen, in der sie
endlich umfassend versorgt werden. So erhalten sie auch eine rechtliche
Eischätzung für ihren Asylantrag seitens des Vereins Borderline. „Die Wüste,
Libyen, dann das Meer. Nur Gott hat mich gerettet“, murmelt Sanga, sich den
Kopf zwischen den Händen haltend.
Aus dem Italienischen von Giulia Coda
Aus dem Italienischen von Giulia Coda