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Mittwoch, 7. Oktober 2015

Besuch im Zentrum zur Ersten Hilfe und Erstaufnahme für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Caltagirone

Am vergangenen 3. August haben wir das Zentrum zur ersten Hilfe und Erstaufnahme für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Caltagirone besucht. Das Zentrum mit dem Namen „Eine Welt in Farben“ wird gemäß dem Dekret der Region Sizilien vom 13. August 2014 betrieben und wurde im März diesen Jahres im Gebäude einer ehemaligen Seniorenresidenz eröffnet. Es ist Teil des Projekts FAMI (Fondo Asilo, Migrazione e Integrazione – Stiftung Asyl, Migration und Integration), das von der Kooperative San Francesco verwaltet wird, die wiederum der Genossenschaft Sol.Co angehört und mit der sozialen Kooperative „Il Sorriso“ und der Kommune Caltagirone zusammenarbeitet.

Die Räume sind auf zwei Etagen aufgeteilt, die Einrichtung ist sehr groß und geräumig. Es gibt verschiedene Gemeinschaftszimmer um fernzusehen, zu spielen und für den Italienischunterricht. Die Schlafzimmer mit Bad sind für 3-4 Personen ausgelegt. Wir treffen zunächst auf die Koordinatorin, die uns das Zentrum vorstellt. Die Kooperative bestellt die Hauptmahlzeiten über ein Catering, diese werden im Mensaraum im Keller eingenommen, während es den Jugendlichen überlassen ist, das Frühstück vorzubereiten. Die Gemeinschaftsräume werden von entsprechendem Personal gereinigt, während die Jugendlichen für ihre Zimmerreinigung selbst verantwortlich sind. Im Zentrum sind Mitarbeiter verschiedener Bereiche tätig: sechs Erzieher, vier Animateure, zwei Italienischlehrer und ein Sportlehrer, zwei feste Mediatoren und weitere externe, die bei Bedarf einberufen werden. Weitere Mitarbeiter sind zwei Sozialarbeiter, zwei Psychologen, ein Arzt, ein Krankenpfleger und drei Anwälte. Das tägliche Taschengeld von 2,50€, das den Bewohnern zusteht, wird nicht bar ausgezahlt, sondern in Gutscheinen, die lediglich in wenigen kooperierenden Geschäften in der Stadt einlösbar sind. Anscheinend ist diese Entscheidung in der Projektsatzung festgelegt, die es nicht erlaubt, das Taschengeld bar auszuzahlen. Es ist jedoch ein Recht der Jugendlichen, über Bargeld zu verfügen, das sie frei nach ihren Bedürfnissen ausgeben können.
Wir erfahren außerdem, dass neben der Assistenz und der Rechtsberatung, die von drei Anwälten geleistet wird, in der Einrichtung täglich ein Italienisch- und verschiedene Sportkurse abgehalten werden.

Das Zentrum hat die Bewilligung bis zu 50 Jugendliche zu beherbergen, 40 davon sind für Jungen und 10 für Mädchen reserviert. Zum Zeitpunkt unseres Besuches ist es jedoch noch nicht ganz ausgelastet und beherbergt 36 Jugendliche, darunter 35 Jungen und ein einziges Mädchen, die aus Mali, Somalia, Ägypten, aus der Elfenbeinküste, Eritrea und Bangladesch stammen.
Die Mehrzahl der Jugendlichen befindet sich hier schon länger als die 90 Tage, die vom Gesetz vorgesehen sind, mit Ausnahme von den Neuankömmlingen. Zu Beginn war ihnen erklärt worden, dass das Zentrum lediglich eine Übergangslösung sei, und dass sie innerhalb von drei Monaten in ein weiteres Aufnahmezentrum kämen, wo sie ihre Asylanträge stellen und den Integrationsprozess einleiten könnten. Dass die Versetzung aufgrund mangelnder Plätze nicht stattgefunden hat, und zudem das Asylverfahren langsam vorangeht, hat Übellaunigkeit und Beschwerden verursacht. In der Zwischenzeit wurde für fast jeden der Bewohner der Antrag für internationalen Schutz vorangebracht. Im Zusammenhang damit macht uns die Koordinatorin auf den Fall von zwei Jungen aus Bangladesch aufmerksam, die sich momentan in der Einrichtung befinden und den tragischen Schiffbruch vom vergangenen 18. April überlebt haben. Sie hatten sich an die Polizei von Catania gewandt um ihre Schutzanfrage formal einzureichen, beide Anträge wurden jedoch an die Absender zurückgeschickt mit der Erklärung, dass „Bangladesch ein sicheres Land ist“. Das stellt einen sehr schweren Verstoß dar, über den wir uns besser informieren wollten und uns an die Rechtsberatung gewandt haben, die uns sagte, sie habe den Fall dem Zentralen Amt gemeldet und bereits beschlossen, die Jungen persönlich wieder zur Polizei zu begleiten um das Geschehene zu klären und ihre Rechte einzufordern. Die Diskussion über den Zugang zum Asylverfahren bringt uns direkt dazu, ein weiteres Thema anzugehen, das von der Koordinatorin als „großes Problem“ eingeschätzt wird, und zwar das Fehlen von Tutoren. Uns wird erklärt, dass zu Beginn die Position der Tutorin einer Mitarbeiterin der Einrichtung zugeteilt wurde, gerade um das bestehende Manko auszugleichen und nicht noch zusätzlich das Verfahren zu verlangsamen. Diese Praxis wurde für einige Monate im Jahr 2014 auch vom Jugendgericht Catania unterstützt, wegen der vielen Ankünfte an den östlichen Küsten in jenen Monaten. Diese Entscheidung wurde von vielen Seiten kritisiert, da sie tatsächlich zum Verlust einer dritten Partei, die zum Schutz der Jugendlichen maßgeblich ist, führen würde. In dieser Einrichtung verfügten am vergangenen 3. August nur 27 Bewohner über einen Tutor, ein Einziger für alle, während die anderen Bewohner noch auf einen warten mussten. Ein weiterer, sehr wichtiger Aspekt betrifft einen Jugendlichen mit geistiger Behinderung. Die Koordinatorin erzählt uns, dass bereits in der Phase der Pflegschaft der Zustand des Jungen viele Fragen in ihr aufgeworfen habe, weswegen sie die psychiatrische Abteilung im Krankenhaus von Caltagirone kontaktiert habe um sachgemäße Unterstützung zu erhalten. Die ersten Überprüfungen haben ergeben, dass der Junge Verständnisschwierigkeiten und „ein geistiges Alter von wenigen Jahren“ hat, und es scheint, dass die lokalen Ärzte und das Personal des Roten Kreuzes, das in der Einrichtung ist, sich um ihn kümmern. Das was uns fassungslos macht, über die Tatsache hinaus, dass eine verletzliche Person in einer unpassenden Umgebung ist, ist der Hinweis der Koordinatorin auf die Möglichkeit einer Rückführung, welche vom Roten Kreuz angedeutet wurde. Wir machen ihr unverzüglich die Risiken einer solchen Entscheidung klar und setzen sie in Verbindung mit Save The Children. Die Koordinatorin ist vollkommen einverstanden mit unseren Ideen und ist offen gegenüber einer Zusammenarbeit mit der empfohlenen Organisation. Heute, mehr als zwei Monate nach unserem Besuch, wissen wir nur, dass Save The Children das Zentrum besucht und sich um den Jungen gekümmert hat. Wir hoffen, dass so schnell wie möglich eine mit dem Gesetz vereinbare Lösung gefunden wird und solche Fälle sich nicht mehr wiederholen.
Nachdem wir die Einrichtung besucht und unser Gespräch mit der Koordinatorin abgeschlossen haben, gehen wir in den Innenhof und die Gemeinschaftsräume weiter, wo wir mit ein paar Bewohnern sprechen können. Sofort wird ein grundsätzliches Unverständnis zwischen ihnen und den Mitarbeitern deutlich, da die Jugendlichen noch nicht nachzuvollziehen scheinen, warum sie noch nicht versetzt wurden und kein Datum von der Kommission erhalten haben. Aus ihrer Sicht sind die Informationen, die sie zu Beginn bekommen haben, nicht korrekt gewesen und nun, wo sie keine klaren und sogar widersprüchliche Informationen erhalten, entwickeln sie ein misstrauisches Gefühl gegenüber den Mitarbeitern. Sie vertrauen uns ihre Zweifel gegenüber dem Vorankommen ihres Verfahrens an und melden einige Kommunikationsschwierigkeiten mit den Anwälten. Dem was die Bewohner uns erzählen zufolge, sind wir die einzige Organisation, die sie seit ihrer Ankunft besucht hat; die Tage sind alle gleich und nichts zu tun zu haben entmutigt die Jugendlichen sehr. Ihr Wunsch, mehr in die administrativen und bürokratischen Verfahren involviert zu werden, wird deutlich. Sie fühlen sich wie Objekte in einer Angelegenheit, in der sie Subjekte sein sollten, die jedoch von anderen verwaltet wird, die die Informationen nicht mit ihnen teilen und keine ausreichenden Antworten liefern. Sie fühlen sich machtlos, als wäre ihr Leben in den Händen von anderen. Zur gleichen Zeit werden sie darum gebeten, den Mitarbeitern und dem, was sie sagen, zu vertrauen. Dies ist für die Jugendlichen sehr schwer, da die Dinge sich laufend ändern und ihnen keine Erklärungen geliefert werden. Um es uns besser verständlich zu machen, wird uns das Beispiel vom Italienischkurs gemacht: „Der Italienischkurs sollte jeden Tag stattfinden, aber habt ihr etwas davon gesehen, als ihr heute Morgen angekommen seid? Nein, und wir wissen auch nicht, warum er nicht stattgefunden hat.“

Giulia Freddi
Lucia Borghi
Borderline Sicilia Onlus

Übersetzung aus dem Italienischen von Alina Maggiore