Am 15. September haben wir ein CAS* in Modica
besucht, das gleichzeitig der Hauptsitz der gemeinnützigen Organisation „Virtus
Italia“ ist, welche die letzte Ausschreibung der Präfektur für die Leitung des
Zentrums gewonnen hat. Das CAS* ist im Moment maximal ausgelastet und beherbergt
25 erwachsene Männer aus Mali, Senegal, aus Gambia und Nigeria. Die Mehrheit
von ihnen ist seit der Gründung des Zentrums, also seit März 2015 hier, und
wurde direkt von Pozzallo oder Catania hergebracht.
Die Einrichtung befindet sich in einer Nebenstraße
des Einkaufsviertels der Stadt. Sie sollte als Dialysezentrum genutzt werden,
wurde allerdings komplett restauriert, als der neue Nutzungszweck bekannt
wurde. Die Einrichtung setzt sich hauptsächlich aus einem Gebäude auf einer
Etage zusammen, mit einer Wäscherei, einem Lagerraum und leerstehenden Zimmern
im Kellergeschoss. Eine kleine Rasenanlage befindet sich im hinteren Bereich
des Gebäudes. Als ich über die Türschwelle trete, befinde ich mich im hellen
und großen Wohnzimmer, das an einige der sieben Schlafzimmer grenzt und an
einen kleinen TV-Saal, wo einige Jungen vor einem Bildschirm sitzen und kaum
auf mich aufmerksam werden. Eine Schichtarbeiterin begrüßt mich und geht mit
mir in das Personalbüro, wo sie beginnt mir eine Einführung in das Zentrum zu
geben, das bisher das einzige CAS* ist, welches von Virtus Italia in Sizilien betrieben
wird. Der Personalstamm beläuft sich auf sieben Mitarbeiter, darunter ist auch
eine Sozialarbeiterin, die sich die Arbeit in Tages- und Nachtschichten
einteilen. Die Rechtsberatung erfolgt über einen externen Anwalt, auch für Übersetzungen
und für die sprachlich-kulturelle Mediation werden externe Dienstleister in
Anspruch genommen. Die Mitarbeiter sprechen nämlich Englisch oder Französisch –
Sprachen, die den zur Zeit anwesenden Jungen bekannt sind. Doch in besonders
heiklen Situationen sei die Anwesenheit des kulturellen Mediators
unverzichtbar, wird mir erklärt. So war es zum Beispiel, als der Anwalt die
Jungen getroffen hat, um sie für die Anhörung bei der Kommission vorzubereiten,
erzählt die Mitarbeiterin. Denn die aktuell beherbergten Asylsuchenden, außer
einer kleinen Gruppe von gerade eingetroffenen Bewohnern, hätten ihre Anhörung
vor der Kommission im August abgehalten, ganze 5 Monate nach ihrer Ankunft im
Zentrum. Bis heute warten sie auf eine Antwort. Alle Jungen sind in Besitz eines
namentlichen Attests, einer Steuernummer und einer Krankenversichertenkarte,
die es ihnen ermöglicht, sich gegebenenfalls direkt an den behandelnden Arzt zu
wenden. Die Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen und von MEDU kämen regelmäßig, so
werde ich informiert, und kümmerten sich um die medizinische und psychologische
Betreuung der Bewohner. Das Taschengeld von täglich 2,50€ werde einmal
monatlich in bar ausgezahlt, bei der Ankunft werde außerdem eine Guthabenkarte
für das Handy ausgeteilt. Eine externe Cateringfirma kümmere sich um das Essen,
auch wenn sonntags seit einiger Zeit den Jungen ermöglicht werde, eine Mahlzeit
selbst zu kochen, die sie sich aussuchen. Die Reinigung der Schlaf- und
Gemeinschaftsräume übernehmen die Jungen gemeinsam mit den Mitarbeitern.
Die Mitarbeiterin führt mich durch die Einrichtung:
Küche, 2-, 3- und 4-Bett-Zimmer, davon einige mit eigenem Bad im Zimmer. Manche
Zimmer im Kellergeschoss sind leer. Dort sehe ich Jungen sitzen, die Musik
hören und sich ausruhen. Während ich durch die Räume laufe kreuzen sich unsere
Blicke und sie begrüßen mich, ohne jedoch Fragen zu stellen oder sprechen zu
wollen. Die Räumlichkeiten sind sehr hell und sauber, in einem Raum beten
einige Bewohner, andere sitzen mit Kopfhörern und Handy in griffbereiter Nähe:
alles scheint sehr ruhig und entspannt. An den Wänden des Wohnzimmers hängen
Temperazeichnungen und eine Tafel mit Schriften in Französisch. „Morgens finden
Alphabetisierungsunterrichtsstunden statt, in diesen Monaten hatten die Jungs
die Gelegenheit, Abendkurse in Italienisch in einer Schule in der Nähe zu
besuchen“, sagt die Mitarbeiterin, „heute beginnen sie wieder nach den Ferien,
auch wenn sie leider eine Klasse besuchen, die extra für sie geschaffen wurde,
demnach ist die Interaktion mit Italienern minimal. Jeden Nachmittag gehen sie
zum Fußballplatz hier in der Nähe und bewegen sich viel zu Fuß oder mit dem
Fahrrad. Manche schließen Freundschaften, vor allem mit unseren Nachbarn,
andere weniger. Alle sind natürlich des langen Wartens auf die Dokumente müde
und viele wollen weggehen, vor allem nach Deutschland oder Frankreich, wo sie
behaupten Freunde oder Verwandtschaft zu haben.“ Es scheint, dass in diesen
Monaten einige Bewohner das Zentrum auf eigene Faust verlassen haben, um die
Reise nach Nordeuropa fortzuführen
Ich verabschiede mich von der Mitarbeiterin um noch
ein paar Worte mit den Jungs zu wechseln, die im Wohnzimmer sitzen. K. fixiert
den Fernseher vor ihm und erklärt mir nur mit leiser Stimme, dass er aus Gambia
kommt und dass es hier „nicht leicht ist“. Zwei weitere Bewohner aus Gambia
erklären mir vertrauensvoll, dass sie unter den Ersten waren, die vor sechs
Monaten ins Zentrum kamen, nachdem sie in Pozzallo angekommen waren. „Er und
ich waren am gleichen Ort, als wir in Libyen aufgebrochen sind“, sagt A., „aber
wir haben uns erst hier kennengelernt. Die Situation ist schwierig, im Grunde
essen, schlafen und warten wir nur. Und schon allein deswegen will ich, sobald
ich meine Dokumente habe, in ein anderes Land gehen“. A. und M. haben vor einem
Monat die Anhörung vor der Kommission gehabt und schütteln nur den Kopf, als
sie über die Dokumente reden. „Es ist sehr schwierig, hier neue Freundschaften
zu schließen; in der Schule haben wir eine Klasse nur für uns und wenn wir zum
Fußballfeld gehen, kann es passieren, dass manche Italiener uns keinen Platz geben
wollen. Das Problem ist, dass wir schwarz sind, daran erinnern sie uns, und
dass wir oft ärmlich angezogen sind, kein gutes Bild abgeben und kein gutes
Italienisch sprechen. Also kann man sagen, dass wir vor allem untereinander befreundet
sind.“ In den Worten von A. schwingt viel Enttäuschung und Müdigkeit mit, der
erst wieder auflebt, als er von Musik und seiner anderen Leidenschaft, dem
Fußball, spricht. M. führt das Gespräch fort, das sein Freund über das Leben
hier angefangen hat: „Generell bewegen wir uns nie über dieses Viertel hinaus.
In die Innenstadt von Modica sind wir zum Beispiel erst ein oder zwei Mal
gegangen, als wir gerade angekommen waren. Wir kennen keine anderen Orte oder
Städte in der Nähe. Nichts geht über diesen Ort hinaus.“ Sie vermitteln beide
tatsächlich ein Gefühl von Machtlosigkeit mit ihren Worten, aber vor allem mit
ihren Blicken und ihrer gekrümmten Haltung, um den Tisch hockend. Sie heben den
Kopf und lächeln erst bei meinem Abschied. Es scheint, als habe der kurze
Moment, in dem sie von ihren Wünschen und Träumen gesprochen haben, ihnen
wieder Entschlossenheit eingeflößt, jene auch zu verfolgen, und nicht in ihrem
Schweigen und in der generellen Gleichgültigkeit dahinzusiechen.
Lucia Borghi
Borderline Sicilia Onlus
Aus dem Italienischen übersetzt von Alina Maggiore