Meridionews - von Salvo Catalano. Dieser Ort sollte als Notunterkunft dienen. Doch sechs der 12 unbegleiteten minderjährigen Migranten, die am vergangenen 20. Dezember aus dem Zentrum La Madonnina in Mascalucia geflohen sind, sind noch immer an dem Ort, an dem sie auch die erste Nacht ihrer Flucht verbracht haben. Ein Notzufluchtsort, der geheim bleiben muss, denn derjenige der sie bei sich aufgenommen hat, verstößt dabei gegen das Gesetz. Die Person hätte sie bei der Polizei anzeigen und fort schicken müssen, denn so, ohne das Ok des Jugendgerichts, ist es eine Straftat. Und dennoch, die zuständigen Behörden, die Präfektur, die Gemeinde von Catania und das Polizeikommissariat Catania, sie alle kennen die Situation der vermissten minderjährigen Flüchtlinge.
Das 'italienische Abenteuer' der 12 Jungen aus Gambia und dem Senegal, alle im Alter zwischen 15 und 17, begann am 19. Oktober, als sie im Hafen von Catania von Bord gingen. Nach ersten 17 Tagen im Palaspedini, dem Sportpalast im Viertel Cibali, wurden sie ins neueröffnete Zentrum La Madonnina verlegt. Geleitet wird das Zentrum von einer Gesellschaft, deren Vorsitz eine gewisse Francesca Indelicato innehat. Zusammen mit ihrer Familie leitet sie außerdem mehrere Kliniken in Catania. Am 20. Dezember flüchteten die 12 Jugendichen, da sie wie sie sagen „weder zur Schule gehen, noch Italienisch lernen, keine neuen Kleider bekomme und ihre Familien nicht anrufen können.“ Diese Vorwürfe werden von der Leitung des La Madonnina als falsch zurückgewiesen.
Die 12 verbringen eine Nacht auf der Straße und erreichen am nächsten Tag zu Fuß das Kommissariat von Catania. Zwar mit Schwierigkeiten, aber mit der Unterstützung der Rete antirazzista catanese, wird für sechs von ihnen eine Alternative gefunden: die Einrichtung für unbegleitete Minderjährige Regina Elena. Die restliche Gruppe wird davon überzeugt wieder nach Mascalucia zurückzukehren. Das La Madonnina ist jedoch voll belegt und für die sechs ist kein Platz mehr. Die Situation eskaliert erneut. Die Anwältin des Zentrums, Barbara Parisi, bestätigt, „Sie haben das Personal bedroht weil ihre Zimmer von anderen belegt waren.“ Wir haben Anzeige gegen sie erstattet.
Daraufhin entscheiden die Minderjährigen, die Struktur erneut zu verlassen – verschiedene politische Vertreter des Partito Democratico (Demokratische Partei) aus Catania und der Region haben das mehrmals gut geheißen - und kehrten ins Zentrum von Catania zurück. Im wesentlichen leben sie seither in einer halb Illegalität, darauf wartend, dass die Präfektur sie aufgreift und eine alternative Lösung für sie findet. Laut den Freiwilligen der Rete antirazzista haben fünf der sechs Jugendlichen nicht einmal einen Vormund. Das Gesetz sieht vor, dass Minderjährigen beim Eintritt in das Aufnahmesystem ein Vormund zugewiesen wird. Aus dem Zentrum La Madonnina heißt es, „dass man die besagte Anfrage sofort nach ihrer Ankunft gestellt hat.“ Zum besseren Verständnis: einige waren zuerst im Palaspedini, andere in einem Zentrum in Augusta untergebracht. Die Gruppe aus dem Palaspedini kam am 5. November ins La Madonnina. Laut einem Anwalt, der sich auf minderjährige Einwanderer spezialisiert hat, beträgt die durchschnittliche Wartezeit, bis das Jugendgericht (für Jugendliche unter 16 Jahren) und das Gericht (für Jugendliche zwischen 16 und 18) einen Vormund bestimmt, ungefähr ein Monat. „Auf Grund dieser langen Wartezeiten, ist es möglich, dass ihnen zum Zeitpunkt ihre Entfernung vom Zentrum noch kein Vormund zugewiesen worden war,“ präzisiert die Juristin Parisi. Um den Minderjährigen ohne Unterkunft einen rechtlichen Beistand zu garantieren, könnte in den nächsten Tagen das Zentrum Astalli [Beratungsstelle für Migranten der Jesuiten, Anm. der Redaktion] zugezogen werden.
Vom Erstaufnahme-Zentrum in Mascalucia kam indes der Vorschlag, dass die Zentrumsleitung in der Zwischenzeit die Vormundschaft übernehmen kann. Dieser Vorschlag wurde vom Jugendgericht angenommen und vor etwa 20 Tagen wurde folgendes Dekret erlassen, welches das in Kraft treten von Artikel 402 des Zivilgesetzbuch vorsieht: „Die öffentliche Betreuungseinrichtung übernimmt den Schutz des betreuten Minderjährigen bis ein Vormund ernannt wird.“ Im Falle des Zentrums in Mascalucia ist Francesca Indelicato, die Vorsitzende, Vormund von fast allen 60 Bewohnern.
Eine strittige Maßnahme, da dieselbe Person, die auch für den oft ungeeigneten Unterbringungsort verantwortlich ist zum Bürgen wird. „Für uns war es ein Glücksfall“, so Anwältin Parisi, „denn auf diese Art und Weise verkürzen wir die Wartezeit, um internationalen Schutz anzufragen.“ Sie erwähnt dabei außerdem, dass es fast unmöglich ist, sich um alle ihnen anvertrauten Minderjährigen zu kümmern. „In den letzten Monaten haben sich unsere Anzeigen auf Grund von Entfernungen von der Einrichtung gehäuft,“ so Parisi, „vor allem Jugendliche aus Somalia flüchten nach der ersten Nacht bei uns, weil sie andere Pläne haben.“
Gerade gestern gab Innenminister Angelino Alfano, der bei der regionalen Antimafia-Kommission zu Besuch war, die sich um Probleme solcher Art kümmert, die Zahlen der minderjährigen Migranten veröffentlicht, die sich im Jahr 2014 unerlaubt aus sizilianischen Aufnahme-Einrichtungen entfernt haben. Von 4.628 registrierten Minderjährigen sind 1.882 ausgerissen; sprich vier von 10, die in der gefährliche Illegalität untergetaucht sind. Da Sizilien erste Anlaufstelle für tausende Migranten ist, sind die Zahlen der Insel natürlich am relevantesten. So machen die 1.882 in Sizilien verschwundenen Jugendlichen ungefähr fünfzig Prozent derer aus, die auf dem italienischem Staatsgebiet verschwundenen sind. Im letzten Jahr sind auf nationaler Ebene 14.423 Jugendliche in den dafür vorgesehenen Einrichtungen registriert worden und 3.707 haben sich wieder daraus entfernt. Alfano erklärte, „im Juli vergangenen Jahres haben wir ein Abkommen mit den Regionen und Gemeinden unterzeichnet, dass das Aufnahmesystem für Minderjährige effizienter machen wird. Im Innenministerium wurde eine Spezialeinheit eingesetzt, durch mehr Sicherheit wollen wir verhindern, dass die Minderjährigen im Teufelskreis der Illegalität, allen voran der Prostitution, landen. Ein wichtiger Punkt dabei ist die Registrierung der Jugendlichen im Ced (Centri elaborazione dati contabili, Datenverarbeitungszentrum), das wiederum mit dem Schengen System vernetzt ist.“
Lucia Borghi
Borderline Sicilia
Aus dem Italienischen von Elisa Tappeiner