In diesen Tagen wurde der Bericht der Stiftung Migrantes veröffentlicht, der die Öffentlichkeit über die Situation der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge informiert hat.
http://www.lasiciliaweb.it/articolo/125230/italia/migranti-in-italia-arrivi-triplicatiallarme-alfano-scomparsi-3707-minori . Angesichts eines Berichts, der über die Flucht Tausender von Jugendlichen spricht, ist es entmutigend festzustellen, dass die größte Sorge für einige zu sein scheint, von einer “Nichtinvasion” zu sprechen. Die Bürger werden damit beruhigt, ohne jedoch der Problematik der sogenannten “Aufnahme” auf den Grund zu gehen, die die Jugendlichen oft in ihrem Räderwerk gefangen hält.
Monatelange Wartezeiten in nicht geeigneten Orten, plötzliche oder laufende Verlegungen, das Fehlen eines Vormunds, an den sie sich wenden können - mit all den Folgen, die das für ihr Asylverfahren bezüglich der Dauer bis zum Beginns der Verfahrens, zum Erhalt der Dokumente, der Anmeldung zur Schule und des Zugangs zu allen Leistungen hat, die auf dem Papier garantiert sein müssten.
Das ist die Situation, die unbegleitete Jugendliche in der Regel in Sizilien durchleben, abgesehen von den weniger glücklichen, aber häufigen Fällen, in denen Jugendliche in Einrichtungen gelangen, die keine stetige Grundbetreuung garantieren.
Die Strategie richtet sich immer nach dem Ergebnis und nicht danach, ursachengerecht zu handeln oder zu versprechen zu handeln.
Nachdem man die große Anzahl der Jugendlichen, die das Gebiet verlassen, zur Kenntnis genommen hat, wetteifern die institutionellen Vertreter in der Besorgnis über die Risiken, denen die Jugendlichen ausgesetzt sind. Eine notwendige und unbedingt nötige Maßnahme, die aber nichts an dem Kampf gegen die organisierte Kriminalität und die Ausbeutung in jeglicher Hinsicht ändert.
Sie lässt aber einen der schwerwiegendsten Gründe für diejenigen, die vor Gewalt und Vernichtung fliehen und eine erneute Flucht nach der Ankunft in Italien wagen, im Dunkeln. Es ist eine komplexe und heikle Frage. Diese darf nicht die diversen Zukunftspläne der Personen vergessen lassen, insbesondere nicht die über alles stehende Freiheit eines jeden, - die gar nicht genug verteidigt werden kann – selber die Entscheidung darüber zu treffen, wo man sein eigenes Leben, das schon bei der Flucht einem Risiko ausgesetzt wurde, führen möchte.
Wir sprechen über Jugendliche aus Somalia, Eritrea, Syrien, die verwandtschaftliche und freundschaftliche Beziehungen zu anderen Landsleuten in Europa oder in Italien haben. Diese versuchen natürlich, ihre Bekannten aufzusuchen. Doch aufgrund der Dauer und den absurden Grenzen der Bürokratie können sie diese nur nach Jahren wiedersehen.
Das bringt uns wieder auf die zwingende Notwendigkeit, die Dublin-III- Verordnung genauer anzuschauen. Doch die täglichen Nachrichten von der Insel berichten über Jugendliche, die immer wieder aus vollkommen anderen Beweggründen auch nach Wochen und Monaten aus den Unterbringungseinrichtungen verschwinden. So eine Gruppe von 17 Jugendlichen, die im November die Casa Mose in Messina verlassen hat, Jugendliche, die in Catania aus der Einrichtung Mascalucia geflohen sind und zum Teil noch auf eine Unterbringung warten,
http://www.siciliamigranti.blogspot.it/2014/12/notte-in-strada-per-12-minori-stranieri.html alle diejenigen Flüchtlinge, die täglich die Einrichtungen verlassen, auch dann, wenn die Situation nicht offensichtlich konfliktreich zu sein scheint.
“Wenn wir Dokumente hätten, würden wir innerhalb von zwei Tagen gehen”, sagt mir O., 17 Jahre alt und aus Gambia, aktuell in Zagare in Città Giardino Melilli untergebracht. “Ich bin vor 6 Monaten in Italien angekommen, und seit November bin ich hierher aus Portopalo nach Portopalo verlegt worden. Ich habe all diese Monate gewartet, ohne etwas zu tun außer zu essen und zu schlafen. Als ich in Città Giardino angekommen bin, dachte ich, dass sich die Situation verbessern würde. Ich habe mit der Polizei gesprochen, um die erkennungsdienstlichen Maßnahmen zu vervollständigen. Ich habe Italienischkurse besucht, die von Terres des Hommes organisiert wurden. Aber dann ist seit Dezember gar nichts mehr geschehen. Kurz vor Weihnachten hat man mir mitgeteilt, dass ich einen Vormund habe. Ich habe ihn aber weder gesehen noch gehört. Das bedeutet, dass er für mich nicht existiert. Ich ziehe es vor, zu denken, dass es ihn nicht gibt. So ärgere ich mich weniger. Mein Problem ist, dass ich nicht weiß, was ich machen kann, um nicht auszurasten. Ich denke nur an meine Dokumente, an den Moment, an dem ich zum Polizeipräsidium gehen und ich entscheiden kann, was ich alleine mache.” In einer Situation des kompletten Misstrauens gegenüber den Mitarbeitern der Einrichtungen und der humanitären Organisationen und sogar teilweise gegenüber den anderen untergebrachten Jugendlichen, scheint das einzige Ziel das Überleben und die Hoffnung auf eine unverzügliche Veränderung zu sein, die es ermöglicht, das eigene Leben wieder selber in die Hand zu nehmen. “Ich bin vor zwei Jahren aus meinem Land geflohen” setzt O. fort, “dort konnte ich nicht bleiben, aber ich habe nicht gedacht, dass es so schwer sei, hier zu bleiben. Ich fühle mich in einer Falle: Wenn wir essen, sitzen einige Polizisten bei uns, um zu kontrollieren, dass wir kein Essen auf unsere Zimmer bringen. Wenn ich es schaffe, Syrakus mit dem Bus zu erreichen, werde ich allein sein. Ich kenne niemanden, und ich kann nicht zur Schule gehen. Das einzige, was mir bleibt, ist, mich mit Fußball zu beschäftigen und zu hoffen, dass ich bald verlegt werde, aber wer weiß, wohin. Mein einziges Glück ist, dass ich bis September noch 17 Jahre alt bin”.
Und tatsächlich stellt das Alter einen nicht unerheblichen Faktor für die nahe Zukunft dieser Jugendlichen dar. Das durchschnittliche Alter der Ankommenden verringert sich spürbar.
Dies ist die Folge, der dramatischen Entwicklungen von einigen Konflikten. Mit Ausnahme der Ägypter, die viel jünger sind, liegt das durchschnittlich angegebene Alter der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge bei ungefähr 16/17 Jahren. Das ist eine sehr beunruhigende Angabe, insbesondere weil die meisten angesichts der beschämenden Langsamkeit bei der Einleitung der Verfahren zum Erhalt der Dokumente 18 Jahre alt werden und sie bisher lediglich erkennungsdienstlich fotografiert wurden. Was passiert, wenn sie volljährig werden? “Die Situation verschlechtert sich für mich,” sagt C., der auch in Zagare untergebracht ist. “Vor einigen Tagen ist eine Gruppe von Gleichaltrigen und Freunden verlegt worden, und ich denke dauernd daran, wann ich dran bin. Das Problem ist, dass ich im Dezember 18 Jahre alt geworden bin und seit Juli in Italien bin. Erst war ich in Augusta, wo die Situation sehr schlecht war, aber ich viele Freunde hatte. Dann hat man mich in diese Einrichtung verlegt. Ich bin erkennungsdienstlich behandelt worden und habe eine gute Beziehung zu meinem Vormund unterhalten. Aber ich befürchte, dass alles zum Stillstand kommt, seitdem ich volljährig geworden bin.” C. sagt mir sofort, dass er nicht über die Reise sprechen will, die ihn hierher geführt hat.
“Jedes Mal, wenn ich darüber spreche, ist es ein wenig so, als würde ich sie noch einmal durchleben.” Aber er möchte über sein Leben “vor Italien” sprechen. “In meiner Heimat habe ich versucht, zu lernen, und meine große Leidenschaft war Break Dance. Dann haben sie meinen Vater getötet, und ich habe immer noch die Verantwortung, meine Familie zu unterhalten. Aber jetzt kann ich nur noch an meine Dokumente denken, und an den Zeitpunkt, an dem ich zur Kommission gehen und meine Gründe für die Flucht erklären kann. Leider habe ich aber Pech. Dadurch, dass ich volljährig geworden bin, werde ich noch mehr Zeit benötigen. Sie werden mich verlegen und wahrscheinlich werde ich noch weitere sechs Monate warten!” Den Worten dieser Jugendlichen ist eine große Enttäuschung zu entnehmen, eine totale Verzweiflung, die in den Monaten auch die Wut ersetzt hat. “Hier kommen viele Personen vorbei. Sie sagen, dass sie arbeiten, um uns zu helfen. Aber ich glaube, dass sie nur an ihr Gehalt denken, da das einzige, was sie sagen können ist: warten,” führt O. fort.
Da sie keinen anderen Halt finden, an die sie sich klammern können, um ihr eigenes Leben wieder in die Hand zu nehmen, konzentrieren sich sämtliche Energien auf den Erhalt der Dokumente. Jede Änderung wird als Bedrohung einer möglichen Verlangsamung der Verfahren wahrgenommen. Jedes Problem wird aufgebläht durch die unbeschreibliche Angst, im Ungewissen zu leben.
In den Erzählungen der Jugendlichen ist keine Begeisterung zu erkennen. Es ist nur ein dunkles Szenario sichtbar, in dem sie sich wie Marionetten an vielen unsichtbaren und immer kürzeren Fäden bewegen. Die einzig mögliche Lösung, diese zu zerreißen scheint die erneute Flucht zu sein.
Lucia Borghi
Borderline Sicilia Onlus
Aus dem Italienischen von Thanh Lan Nguyen-Gatti