siciliamigranti.blogspot.com ist ein italienischsprachiges Monitoringprojekt zur Situation der Flüchtlinge in Sizilien, dort finden Sie die Original-Berichte, hier finden Sie die deutschen Übersetzungen. Klicken Sie auf die auf die Namen der Schlagworte (keywords), wenn Sie bestimmte Themen suchen.

Sonntag, 2. November 2014

Am heutigen Sonntag, den 2. November 2014, erinnern wir hier, auf dem Friedhof Dei Rotoli, unserer lieben Verstorbenen. Wir wollen auch der anderen Toten gedenken.

Heute gedenken wir auch der 12 Migranten, vermutlich aus Eritrea, die im Meer den Tod gefunden haben und die seit Monaten ohne Name unter der nackten Erde liegen.
Wir, Bürgerinnen und Bürger von Palermo, bringen Blumen und errichten eine Gedenktafel aus Holz als Zeichen der Wiederherstellung der Menschenwürde dieser Ertrunkenen. Wir verlangen eine sofortige Veränderung der Migrationspolitik, sowohl in Italien als auch in
Europa. Niemand soll auf der Suche nach einer besseren Existenz sein Leben verlieren. Denn kein Mensch ist illegal.
Ein zerstörter Traum...

Seit 1988 haben auf dem Weg nach Europa mindestens 21 436 Menschen den Tod gefunden. Seit 1994 sind im Kanal von Sizilien über 6200 Menschen ertrunken, mehr als die Hälfte von ihnen - 4790 Tote -  werden bis heute vermisst. Das Jahr 2011 war das schlimmste mit 1800 Toten und Vermissten: 150 jeden Monat – 5 jeden Tag. Weitere Kriege und Konflikte entflammten in Irak, in Syrien, im Gazastreifen und in Lybien.
Unter blutiger Diktatur und Hunger leiden viele Menschen am Horn von Afrika, unter der Unterdrückung durch Regime in Westafrika: Millionen von schutzlosen Bürgern, vor allem Kinder, sind verschiedenster Art von Gewalt ausgeliefert. Wer versucht sein Leben zu retten, nimmt eine Reise auf sich, die wir uns hier nur schwer vorstellen können: Diese Männer, diese Frauen, diese Mütter mir ihren Kindern - oder Kinder alleine - überwinden bewaffnete Grenzen, Gefängnisse, Folter und dann Kilometer von Wüste zu Fuss…  auch auf diesem Teil ihrer Reise finden sie den Tod, stillschweigend.
Wem es gelingt, Lybien zu erreichen, ist weiterer Gewalt ausgesetzt - vor allem die Frauen - und muss weiter fliehen, das eigene Schicksal in die Hände der Schlepper legen, auf ein Bott steigen und das eigene Leben aus Spiel setzten für eine ungewisse Zukunft, aber wenigstens in Frieden, weit weg von der eigenen Heimat.

Es sind riskante Reisen, für die Tausende von Euros bezahlt werden und für die in den meisten Fällen ein teurer Kredit aufgenommen wurde, es sind de facto Zwangsentscheidungen. Denn, als Folge der europäischen Migrationspolitik ist eine legale und sichere Einwanderung nach Europa nicht möglich – und das, obwohl den Flüchtlingen aufgrund der internationalen Flüchtlingskonvention und aufgrund unserer Verfassung das Recht auf Asyl zuerkannt wird. Wir dürfen zudem unsere vielschichtige Verantwortung in dieser Katastrophe nicht vergessen. Aus historischen Gründen: Die Verantwortung der europäischen Nationen als ehemalige Besetzer in ihren Kolonien; aus geopolitischen Gründen: durch die Unterstützung von diktatorischen Regimes wie die von Lybien und Aethiopien - als Gegenleistung für  geostrategische und ökonomische Vorteile; aus militärischen und ökonomischen Gründen durch den Beitrag zu den unzähligen Konfliktend er Gegenwart, auch mit dem florierenden Waffenhandel: 'La Terza Guerra mondiale a pezzi' – der dritte Weltkrieg in Raten – von Papst Francesco spricht. Ungehört.

Die Regierungen könnten und müssten stattdessen:

  • Friedhof Rotoli, Palermo, es sind
    nicht einmal Grabsteine zu finden

    sichere Fluchtwege schaffen, die die Menschen direkt aus gefährlichen Gebieten bis nach Europa bringen, ohne Aufenthalt in gefährlichen "Durchgangsländern" wie Lybien oder Aegypten, die heute mehr als jemals unsicher und gewaltgeschüttelt sind
  • ein menschenwürdiges Aufnahmesystem schaffen, das die Bedürfnisse der Migranten respektiert und die Logik der Spekulation mit dem “Notfall” überwindet
  • die Würde der Toten herstellen mit respektvollen Begräbnissen und Probeentnahmen, die es den Verwandten ermöglichen - wo möglich - ihre Liebsten zu identifizieren
  • die Kriminalisierung der Migranten unterbinden, wie sie üblich ist in den Berichterstattungen des Fernsehens und der Zeitungen, wo Begriffe wie “clandestini - Illegale” die Bevölkerung beunruhigen und Angst vor terroristischer Infiltration und vor gefährlichen Epidemien schüren und Misstrauen und Fremdenhass fördern.
Coordinamento Antrirazzista di Palermo – antirassistische Vereinigung Palermo

weiterlesen (ital.): Redattore Sociale



Gebete mit einem Imam und einem
chistlichen Priester
 
  










Hier eine Auflistung der grössten Katastrophen der letzten 20 Jahre im Kanal von Sizilien:
25 /12/ 1996 In der Nacht des Weihachtstages: rund 300 Migranten aus Pakistan, Indien und Tamilnadu ertrinken zwischen Malta und Sizilien nach dem Zusammenstoss mit einem libanesischen Frachter und einem Motorschiff: von diesem Schiffbruch erfahren wir durch die Fischer von Portopalo (Sirakus), die Leichen in ihren Netzen finden.
20/6/2003 Ein Boot mit 250  Migranten erleidet unweit der tunesischen Küste Schiffbruch: 50 Leichen werden geborgen, 160 Migranten bleiben vermisst und 41 überleben. 
20/10/ 2003 Im Kanal von Sizilien gerät ein Boot in Seenot: 70 Tote werden ins Meer geworfen. 
4 /10/ 2004 Ein Boot mit 75 Migranten versinkt vor der Küste Tunesiens: 17 Tote, 47 Vermisste. 
19/8/ 2006 Einem  Boot in Seenot wird Hilfe geleistet, aber es kentert während der Rettungsaktion: 10 Leichen werden geborgen, 40 bleiben vermisst. 
12 /5/ 2008 Auf einem tagelang abgetriebenen Boot mit 66 Migranten an Bord sterben 47 an Hunger und Kälte und werden im Meer zurückgelassen. 
24 /9/ 2008 Vor der Küste Maltas erleiden 10 Migranten Schiffbruch und ertrinken. 
31 /3/ 2009 Vier Boote mit über 500 Migranten sinken zwischen Afrika und Italien: mehr als 100 Vermissste. 
11/2/ 2011 Ein Fischerboot aus Tunesien erleidet Schiffbruch: 40 Migranten werden vermisst. 
14/3/ 2011 Ein Boot mit Ziel Italien erleidet vor der Küste Tunesiens Schiffbruch, es sind mindestens 60 Migranten an Bord. 
14/3/ 2011 Schiffbruch im Kanal von Sizilien: 7 Tote, darunter eine Schwangere und ein Kind. 
22-25/3/ 2011 Zwei in Lybien gestartete Boote werden vermisst, eines mit 335, das andere mit 68 Migranten an Bord. 
1 /4/ 2011 An der Küste von Kerkennah werden 27 Leichen geborgen; es waren Tunesier auf der Überfahrt nach Italien. 
3 /4/ 2011 70 geborgene Leichen nach einem Schiffbruch vor der Küste Tripolis. 
6/4/ 2011 Ein Boot kentert vor der Küste Maltas; von 300 Migranten werden 51 gerettet, mehrere Dutzend Leichen werden im Meer gesichtet. 
6 /5/ 2011 Ein Boot mit mehr als 600 Migranten erleidet vor der Küste Lybiens Schiffbruch, hunderte werden vermisst. 
2 /6/ 2011 Ein Schiff vor der Küste Tunesiens gerät in Seenot; von den 700 Migranten an Bord werden 270 vermisst. 
16/1/ 2012 Vor der Küste Lybiens wird ein Schlauchboot mit 55 Somaliern vermisst. 
17 /3/ 2012 Südlich von Lampedusa wird den Migranten in einem Schlauchboot Hilfe geleistet: 5 Tote. 
3/4/ 2012 10 Tote auf der Überfahrt von Lybien nach Lampedusa. 
10 /7/ 2012 Auf einem defekten Schlauchboot sind 54 Menschen ertrunken. 
3/11/ 2012 Ein Schlauchboot kentert 35 Seemeilen vor der Küste Lybiens: die italienische Küstenwache und die Marine nehmen 70 Migranten an Bord und bergen 3 Leichen.
30/3/ 2013 Die Küstenwache macht ein Schlauchboot aus mit 88 Migranten an Bord, unter ihnen zwei an Hunger und Kälte Verstorbene. 
16/6/ 2013 Eine Rettungsmannschaft birgt Dutzende Schiffbrüchige, die sich an den Gittern einer Thunfischzucht im Kanal von Sizilien festklammern; aus ihren Berichten geht hervor, dass mindestens 7 von ihnen ertrunken sind. 
26/7/ 2013 29 Seemeilen vor der Küste Lybiens kentert ein Schlauchboot: 22 Migranten werden gerettet, doch laut ihren Berichten finden 31 den Tod. 
30 /9 /2013 ein Boot erreicht bis auf weniger als 100 Meter die Küste von Scicli: 13 Migranten ertrinken beim Versuch, die Küste schwimmend zu erreichen.
03/10/13 Lampedusa, vor der Isola dei conigli: nach einem Brand an Bord versinkt ein Schiff mit 518 Personen an Bord, die meisten von ihnen aus Eritrea – Kinder und Erwachsene. Die Bilanz: 368 Tote, die in Friedhöfen auf ganz Sizilien begraben werden, identifiziert sind etwa 100 von ihnen, die anderen Passagiere bleiben vermisst. 
11/10/13 Schiffbruch in der Meerenge von Sizilien, 70 Seemeilen vor der Küste Lampedusas: ein Schiff kentert während der Rettungsaktion; 34 Leichen werden geborgen (unter ihnen mehr als zehn Kinder); laut der Berichte der Überlebenden werden aber 200 der Migranten vermisst. 
19/03/14 Die italienische Militärmarine rettet ein Boot, mit einem toten Migranten an Bord. 
10/04/14 Auf der Höhe von Pozzallo (Sirakus) findet die Seerettungsmannschaft in einem Boot einen Toten; ein zweiter stirbt in der folgenden Nacht trotz der Notfallaufnahme ins Krankenhaus. 
07/05/14 Im Kanal von Sizilien wird ein toter Migrant auf einem geretteten Boot gefunden. 
12/05/14 Schiffbruch südlich von Lampedusa: 17 geborgene Leichen, aber vermisst werden mindestens 100 Passagiere. 
09/06/14 Während eines Rettungsmanövers durchlöchert die Leiter eines Bootes der Militärmarine die Luftkammer eines Schlauchbootes das darauf kentert: 3 Passagiere sterben und zwei ertrinken. 
14/06/14 Schiffbruch 40 Meilen vor der Küste Lybiens: 10 Leichen werden geborgen, 40 werden vermisst. 
16/06/14 Der Öltanker Al Salmi aus Kuweit leistet einem Fischerboot mit 356 Passagieren an Bord Hilfe; an Bord finden sie die Leiche eines verhungerten Syrers. 
30/06/14 Seerettung im Kanal von Sizilien: auf einem Fischerboot mit 600 Passagieren an Bord werden im Laderaum 35 Leichen gefunden, die dort den Tod durch Ersticken fanden; sie wurden in Pozzallo (Sirakus) begraben. 
19/07/14 Vor Malta versinkt ein unvorstellbar überladenes Boot (es sind 750 Personen an Bord); 180 von ihnen ersticken oder fallen ins Wasser, ein Kind stirbt noch während der Rettungsaktionen auf See. 
21/07/14 Der Frachter Genmar Compatriot leistet einem Schlauchboot in Seenot Hilfe: an Bord finden sie 5 tote Passagiere, die verdursteten, weitere 14 werden vermisst. 
30/07/14 Schiffbruch etwa 100 km östlich von Tripolis; 20 Leichen werden geborgen, vermisst werden 108 Passagiere. 
15/08/14 An Bord eines Bootes der Militärmarine versterben 2 Gerettete noch während der Rettungsaktion im Kanal von Sizilien. 
24/08/14 Vor der Küste von Qarbouli, 50 km östlich von Tripolis, versinkt ein Fischerboot mit Ziel Scicli auf Sizilien, nur 16 Passagiere können von der lybischen Küstenwache gerettet werden, 20 Leichen werden geborgen und die Zahl der Vermissten wird auf 170 geschätzt. 
24/08/14 Ein Schlauchboot etwa 120 Meilen vor der Südküste Lampedusas ist seit 2 Tagen in Seenot. An Bord finden sich 18 tote Passagiere – sie sind verdurstet oder an den Abgasen der Motoren erstickt, weitere 10 Passagiere werden vermisst. 
10/09/14 300 Seemeilen vor der Küste Maltas ertrinken 500 Migranten. Die Katastrophe haben vermutlich die Schlepper selbst verursacht, die von einem zweiten Boot aus das Schiff der Flüchtlinge gerammt und zum Versinken gebracht haben. 2 Überlebende, die vom panamensischen Frachter Pegasus gerettet und nach Pozzallo gebracht wurden, haben bei der Internationalen Organisation für Migration IOM Bericht erstattet. 
13/09/14 Schiffbruch vor der Küste Lybiens – 99 Gerettete, 3 Tote; Schiffbruch vor der Küste Aegyptens – 15 Tote und 72 Überlebende; Schiffbruch vor der Küste Maltas – 9 Überlebende und 300 Vermisste; Schiffbruch vor Lybiens Küste – 45 Tote und 75 Überlebende. 
14/09/14 Schiffbruch vor Tajoura in Lybien, es werden 26 Passagiere gerettet und 224 ertrinken. 
2/10/14 Schiffbruch 60 Km östlich von Tripolis: 10 Leichen werden geborgen, 70 Migranten werden vermisst.

von Fortress Europe: mehr ...


Aus dem Italienischen von Susanne Privitera Tassé Tagne