Redattore Sociale – Mit dem Segen der lokalen Mafia erpressen die Migranten ihre eigenen Landsleute, die vom Aufnahmesystem ausgeschlossen sind, und nicht nur das: Wer kein Geld hat, um zu bezahlen, ist gezwungen, sich zu prostituieren oder mit Drogen zu handeln. Die Anklage des Zentrums Astalli: “Keiner spricht aus Angst”
ROMA – Zahlung von Schutzgeld, um ein Dach über dem Kopf für die Nacht zu haben oder um auf der Straße zwischen Kartons zu schlafen, damit man nicht ausgeraubt oder nur gestört wird. Das passiert in Catania, mitten in der Stadt, unter Migranten, die in Sizilien nach der Überquerung des Mittelmeeres angekommen und von dem Aufnahmesystem ausgeschlossen sind. Wer sie aber erpresst sind die andere Migranten, und zwar mit dem Segen der lokalen, organisierten Kriminalität. Das beklagt das Zentrum Astalli in der sizilianischen Provinzhauptstadt. Es ist seit Jahren auf dem Territorium tätig. In der letzten Zeit hat es die Verschlechterung der Lebensbedingungen derjenigen, die auf der Straße schlafen und nicht in die Aufnahmeprogramme gelangen, wahrgenommen. „Wir haben schon seit langer Zeit Ahnung von dem Schutzgeld“ – erzählt Elvira Iovino, Verantwortliche des Zentrums Astalli in Catania. „Dieses Phänomen ist vor allem auf die wachsende Notwendigkeit und den extremen Unmut aufgrund des Mangels an Arbeit, der Wirtschaftskrise und der Anzahl der Personen, die nicht unter das Sprar (System zum Schutz der Asylbewerber und Flüchtlinge) fallen, zurückzuführen”.
„Schutzgeld” für einen Schlafplatz auf der Straße. Für Iovino handelt es sich um ein „weitverbreitetes“ Phänomen, das viele Aspekte des Lebens der Migranten berührt: Von Mitfahrgelegenheiten über die Arbeitsplatzsuche bis zum Verkauf von Obst auf der Straße. Aber in der Stadt verlangt man auch das Geld für das Verbringen einer problemlosen Nacht auf der Straße unter den Arkaden. „Leider passiert auch das“, berichtet Iovino. „In unserer Arztpraxis besuchen uns viele Personen, die während der Nacht von ihrem Schlafplatz verjagt wurden. Es kommen auch Migranten mit in der Nacht erlittenen Schnitt - oder Schlagwunden, weil sie einen Ort besetzen, an dem sie nicht hätten sein dürfen. Es handelt sich meistens um besetzte Häuser, aber es passiert auch auf öffentlichen Plätzen oder auf der Straße. Sie schlafen dort auf Matratzen mit Decken und Kartons.” „Es sind nicht nur die Geräusche der Stadt, die den Schlaf der Migranten auf der Straße stören“, erzählt Iovino. “Während der Nacht passiert alles Mögliche: Sie werden ausgeraubt, so dass sie das Wenige, was sie haben, an ihre Füßen oder Arme binden. An den besten Plätzen lässt sich sehr oft jemand eine sogenannte Miete zahlen. Dieser jemand ist – traurigerweise - fast immer ein Migrant”.
Zur Prostitution und Drogenhandel gezwungen, wenn sie kein Geld haben.
Laut der Verantwortlichen des Zentrums Astalli sind es bestimmte Gruppen, die Geld für eine ruhige Nacht verlangen, aber die Opfer haben die gleiche Nationalität. Es ist ein übergreifendes Phänomen. “Es sind Maghrebiner, die diese Sachen machen“, erzählt Iovino, „Sie besetzen Häuser und Flächen, wo man schlafen kann. Orte, die danteske Höllengräben zu sein scheinen - wir kennen diese gut. Orte, die absolut dramatisch sind. Sie werden von diesen Personen gepachtet. Sie ermöglichen wiederum eine Übernachtungsmöglichkeit für eine Gegenleistung, wie Geld, wenn sie es besitzen, bis hin zur Prostitution oder Drogenhandel.” Schutzgeld, das den lokalen Mafien nicht unbekannt ist, weist Iovino darauf hin. „Hier bewegt sich kein Blatt, ohne dass hiervon die organisierte Kriminalität keine Kenntnis hat. Diese Schutzgeldzahlung unter Migranten erfolgt im Einvernehmen und im Gegenzug für etwas von demjenigen, der die Stadt beherrscht.”
Die „Taxifahrer” aus Mineo und die Patrouille der Eritreer.
Nicht nur der Schlafplatz ist Gegenstand von „Schutzgeld” unter den Migranten. Die Notwendigkeit der Fortbewegung, des Erreichens von Norditalien, Nordeuropa oder auch nur der Stadt der Aufnahmeeinrichtung von Mineo, ist schnell zu einem zu kontrollierenden Business geworden. „Es gibt eine große Anzahl von Eritreern, die an den Orten der Stadt patrouillieren, die ein Treffpunkt von Ausländern sind”, berichtet Iovino. „Sie versuchen, die Neuankünfte für sich zu gewinnen, indem sie Hilfe jeglicher Art versprechen. Als aller erstes einen Schlafplatz, dann eine Hilfe, um in den Norden, wohin diese oft hingehen möchten, zu gelangen. Stattdessen halten sie sie fest und sperren sie ein.” Es gibt die „Taxifahrer” aus Mineo, die auch Migranten sind und mit ihren eigenen Fortbewegungsmitteln vor der Einrichtung bereit sind, die Gäste der Einrichtung in die Stadt oder in die Hände der Vorarbeiter zu begleiten. „Es gibt eine sehr verbreitete Modalität, zu verdienen, die viele Nigerianer und Sudanesen erfunden haben”, erzählt Iovino, „nennen wir sie Taxifahrer. Sie gehen nach Mineo, wo fünftausend Personen leben, und warten mit Kleintransportern vor der Einrichtung. Sie pferchen sie hinein und bringen sie nach Catania oder an Orte zum Arbeitseinsatz, die von Vorarbeitern kontrolliert werden. Eine Mitfahrgelegegenheit, die einen stolzen Preis kostet”.
Keiner zeigt den Missbrauch an. „Die Polizei ermittelt seit langem” bezüglich dieser Angelegenheit, versichert Iovino, aber die Angst vor gewalttätigen Vergeltungsmaßnahmen oder mit abgelaufenen Dokumenten oder Erlaubnissen entdeckt zu werden, lässt das Schweigen zu den Missbräuchen obsiegen. „Jedes Mal, wenn die Polizei die Unterkünfte gefunden hat, in denen diese Personen untergebracht werden, leugnen die Migranten, gezwungen worden zu sein, dort zu bleiben. Obwohl wir ihnen anraten, Anzeige zu erstatten, und ihnen versprechen, ihnen während der gesamten Phase der Anzeige Hilfe zu leisten, erfolgt keine Anzeige aus Angst oder aus anderen Gründen.” Iovino erklärt: „Die Angst, an jedem Ort verfolgt zu werden, überzeugt die Migranten, sich nicht zu offenbaren, auch nicht in dramatischen Situationen. Es sind schreckliche Dinge passiert”, erzählt sie, „junge Frauen, die zu uns am Morgen gebracht wurden, um sich zu waschen. Diese werden von der Person begleitet, die sie ausnutzt, draußen wartend und kontrollierend, dass diese mit niemandem sprechen. Mit großer Anstrengung haben wir oft versucht, mit ihnen zu sprechen, und ihnen Sicherheiten, wie Schutz und Hilfe, versprochen; aber keine sagt etwas. Ein Mal ist es uns gelungen, eine Nigerianerin zur freiwilligen Rückkehr zu bewegen, die gezwungen wurde, sich zu prostituieren, aber nur, weil man sie fast totgeschlagen hatte und sie ins Krankenhaus eingeliefert worden war. Das war der Moment, an dem Anzeigen erstattet wurden und sie nach Nigeria zurückgekehrt ist.”
Eine Situation außer Kontrolle. Für die Verantwortliche des Zentrums Astalli in Catania vermehren sich diese Phänomene, teilweise sehr schnell, sie sind proportional mit dem Leidenswegen verbunden.
„Sehr viele leben auf der Straße “, erklärt Iovino. „Wir vernehmen, dass die Anzahl an Personen erheblich wächst, die unsere Dienste in Anspruch nimmt, sei es zur Erstaufnahme oder zur Alphabetisierung.” Für Iovino ist die Situation in Catania, „immer dramatischer, daran gibt es keine Zweifel. Wir haben ganz stark den Eindruck, dass die Situation außer Kontrolle ist, außer Kontrolle der Institutionen und des Sozialreferats”.(ga)
Aus dem Italienischen von Thanh Lan Nguyen-Gatti