Mit
wirksamen und gut organisierten Tätigkeiten stellt die Caritas ihre Erfahrung
in der Betreuung von Bedürftigen unter Beweis und wirkt somit den Mängeln des
italienischen Aufnahme-Systems entgegen. Sich auf die Güte der Caritas und der
Freiwilligen zu berufen, wie es Italien deutlich erkennbar tut, ist zwar
inzwischen italienische Tradition, dennoch nicht genug. Die gegenwärtige
chronische Situation als 'Ausnahmezustand' zu definieren, ermöglicht es dem
Staat Verpflichtungen an andere zu delegieren anstatt strukturelle
Entscheidungen zu treffen.
Personen, welche die lange Reise nach Europa auf
sich genommen haben, haben nicht nur Bedarf nach einem Dach über dem Kopf und
einer Mahlzeit, sondern auch nach Informationen bezüglich
Aufenthaltsgenehmigungen und Asylanträgen. Don Sergio, Priester und Caritas
Direktor deutet jedoch an, dass die Ahnungslosigkeit der Migranten meist lang
andauert. Die
Tatsache, dass mich die Bewohner von San Carlo, mehr als ein Monat nach
ihrer Ankunft, mit Fragen über ihre Rechte, Modalitäten und
Arbeitsmöglichkeiten überfluten, nachdem sie mein Interesse und meine Französischkenntnisse
erkannt haben, unterstreicht die von Don Sergio genannte Unwissenheit. „Was
bringt die Anerkennung als Flüchtling mit sich? Weshalb warten wir auf die
Anhörung vor der Territorialkommission? Was nützt uns das?“ Die präzisen Fragen
der Migranten lassen Zweifel über die Qualität der Kommunikation zwischen Mitarbeiter
und Gäste des Zentrums aufkommen. Eine Kommunikation, die auch deshalb nicht
funktioniert, da einige Mitarbeiter keine Fremdsprachen sprechen. Ich äußere
meine Zweifel an einer gut funktionierenden Kommunikation gegenüber einem der
Mitarbeiter, welcher fließend Französisch spricht. Dieser entgegnet, dass die
Migranten lernen müssen ihre Bedürfnisse genau auszudrücken, da es nicht möglich
sei ihnen ihre Rechte so im Allgemeinen zu erklären. Diese Antwort zeichnet die
Grenzen der Bemühungen der außerordentlichen Aufnahme der Caritas auf: Ihr
Auftrag ist es Migranten Aufnahme anzubieten.
Eine
weitere Schwierigkeit, welche sich gezeigt hat, ist die Unmöglichkeit einen Italienischkurs für alle zu
organisieren. Die Migranten, die im Punto Incontro Giovani (PIG)
untergebracht sind und welche die Italienischkurse im Astalli-Zentrum nicht besuchen können, haben den Wunsch geäußert
Italienisch zu lernen: als sie mich mit Heft und Stift gesehen haben, haben sie
mich gebeten Zahlen nieder zu schreiben,
buongiorno, come ti chiami? (Wie heißt du?) und parli inglese? (Sprichst
du Englisch) etc.
Im Gespräch
mit einem jungen Mann, der im PIG arbeitet, wird deutlich wie es zu solchen
Mängeln kommen kann: dem Zentrum stehen 30 Euro pro Person und Tag zu, wird die
maximale Auslastung jedoch überschritten und es werden mehr Personen in der
Einrichtung aufgenommen, sinkt der Tagessatz auf etwa 10 Euro. Diese Situation
wird, nicht ohne Grund, 'Notstandsdiät' genannt. Trotzdem wird versucht, so
wird mir berichtet, einen Lehrer für den Italienischunterricht ins Zentrum zu
holen. Auch an dieser Stelle wird deutlich, dass die Caritas nicht taub ist
gegenüber den Bedürfnissen der Migranten sondern, dass sie Unterstützung für
ihre Arbeit benötigt.
Noch immer
im Gespräch mit einem Mitarbeiter taucht das Problem der Vergaben und
Verlegungen in andere Zentren auf. Die Zuweisung neu angekommener Migranten
erfolgt glücklicherweise meist nach Nationalität aber das ist nicht immer so. Der
einzige Pakistaner der ins San Carlo geschickt wurde, kommt häufig ins
PIG, um andere Pakistaner zu treffen. Da er weder Englisch noch Französisch
spricht, kann er sich mit den Afrikanern im San Carlo nicht
verständigen. Die Präfektur teilt Entscheidungen über Verlegungen vier bis fünf
Tage vor der Durchführung mit. Das einzige soziale Netz, das sich Migranten im
Laufe von Monaten in den Zentren aufbauen, ist das zu ihren Landsleuten, denn
wenn sie die Zentren auch tagsüber verlassen könnten, die Sprachbarriere und
das Fehlen einer sozialen und kulturellen Mediation reduziert die Interaktion
mit der lokalen Wirklichkeit. Die Entscheidungen von 'Oben' mögen zwar
technische Details miteinbeziehen, wahrscheinlich aber keine menschlichen
Begebenheiten. Ganz zu Schwiegen von Verlegungen außerhalb der Stadt. Ich war
Zeuge eines Gesprächs zwischen einem jungen Nigerianer, welcher nach Partinico (Provinz
von Palermo) verlegt wurde und einer Mitarbeiterin des außerordentlichen
Aufnahme-Zentrums San Carlo. Der Migrant versuchte die Mitarbeiterin zu
überreden, ihm die Rückkehr ins San Carlo zu erlauben. Wie mir die
Mitarbeiterin darauf erklärt, sei es schon öfters vorgekommen, dass Migranten
nachdem sie nach Partinico verlegt wurden, versucht haben zurückzukehren. Eine
Gruppe musste sogar für eine Nacht im San Carlo untergebracht werden
bevor sie am nächsten Tag wieder weggebracht wurden. Doch angesichts der
andauernden und zahlreichen Neuankünfte ist es nicht möglich neue Personen
aufzunehmen ohne andere zu verlegen. Die Schwerfälligkeit des bürokratischen
Prozedere führt dazu, dass Migranten ein Zentrum verlassen, um im nächsten
aufgenommen zu werden, ohne in der Zwischenzeit eine Aufenthaltsgenehmigung
bekommen zu haben. Das System der außerordentlichen Aufnahme-Zentren ähnelt
eher einem Tetris als einem durchdachten Vorgang.
Carlotta
Giordano
Borderline Sicilia
Aus dem
Italienischen von Elisa Tappeiner