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Dienstag, 26. August 2014

„Hotel Acos“, Bericht aus dem CAS von Marsala

Die Proteste von Montag, dem 18. August im CAS (außerordentliches Übergangszentrum für Flüchtlinge) Hotel Acos in Marsala haben die Aufmerksamkeit der Journalisten, des UNHCR, der OIM (Internationale Organisation für Migration) und der NGO Borderline Sizilien geweckt. Statt die Situation zu klären, hat der Besuch vom 21. dieses Monats aber neue Fragen aufgeworfen.
Kaum, dass ich auf dem Parkplatz angekommen bin, zeigen sich die jungen Männer extrem begierig, ihre Klagen auch an Personen zu richten, die nichts mit der Einrichtung zu tun haben. Im Gegensatz zu dem was gewöhnlich kommt, ist der bürokratische Zeitrahmen diesmal nicht das vordringlichste Problem, von dem mir berichtet wird. Es sind die Lebensumstände, die als die größte Ungerechtigkeit empfunden werden. Die Immigranten seien bereit zu warten, aber nicht im Hotel Acos. Der Protest vom 18. bestand tatsächlich in der Forderung nach Verlegung, mit der sich die Migranten an die örtliche Polizei gewandt hatten.
Der Wunsch wegzugehen wurde mir wie folgt von den Migranten begründet:
- wenn es ihnen schlecht geht, werden sie ins Krankenhaus gebracht; dort werden nur ihre Daten aufgenommen, bevor sie wieder in CAS zurückgebracht werden. Die Migranten können sich nicht erklären, wie ihre eigenen Angaben ausreichen können, um ihre Krankheit zu diagnostizieren. Sie vertrauen den Erklärungen nicht, mit denen sie von den Mediatoren versorgt werden, wenn zum Beispiel eine Wunde nur mit Salbe behandelt wird.
- das Abendessen wird am Nachmittag zu bereitet und über Stunden außerhalb des Kühlschranks aufbewahrt; so sind einige von ihnen so angewidert, dass sie das Essen nicht anrühren;
- das Taschengeld wird ihnen mit einmonatiger Verspätung oder noch später gegeben. Ein junger Mann, der dagegen protestiert hat, ist von den Arbeitern bedroht worden; zuerst, so haben sie ihm gesagt, würden sie seine Dokumente für den internationalen Schutz vernichten, dann würden sie ihn nach Nigeria zurückschicken;
- die Klimaanlage, die zu Beginn lief, ist ausgestellt worden. Die Immigranten beklagen sich, dass die Zimmer sich jetzt bei offenem Fenster ohne Mückenschutz mit Mücken füllen;
- als am Tag vor unserem Besuch die Repräsentanten von UNHCR und OIM gekommen sind, haben die Arbeiter den Migranten gesagt, wenn sie sich ruhig und still verhielten, würden sie ihnen die Dokumente geben;
- sie mussten die Passbilder, die der Polizei ausgehändigt werden, aus eigener Tasche bezahlen;
- sie bekommen keine Kleidung; ihnen wird nur ein Wechsel nach einem Monat Aufenthalt in der Einrichtung zugestanden. Der Rest der Hauptbekleidungsstücke, die sie jetzt haben, wurde ihnen von Privatleuten geschenkt, die ihnen persönlich Second-Hand-Kleidung gebracht haben.

Während wir sprechen, sehe ich einige von ihnen mit dem Fahrrad ankommen, eine Sache, die mir ungewöhnlich scheint; daher frage ich die nigerianischen jungen Männer, wie sie in ihren Besitz gekommen sind. Nach einigem Zögern und unwahrscheinlichen Geschichten (Leute, die sie ihnen geschenkt hätten), gibt einer von ihnen zu: „Ach, weißt Du, manchmal kommt irgendjemand und fragt uns, ob wir kleine Arbeiten erledigen können, Sachen, wie den Bürgersteig fegen oder einen Hof aufräumen und im Gegenzug geben sie uns 5€.“ Ein anderer schließt an: „Oder einige von uns gehen aufs Land, um einen Tag zu arbeiten.“ Ich lass mir das genauer erklären und erfahre von der Tatsache, dass manchmal (die jungen Männer betonen, dass das nicht häufig geschieht, vielleicht ein paar Mal im Monat) italienische Männer zur Tankstelle vor dem CAS kommen und fragen, ob sie auf den Feldern arbeiten wollen. Keiner der Anwesenden gibt zu, dorthin gegangen zu sein. Das Thema interessiert sie nicht und mit einer zufälligen Ausrede beginnen sie wieder von der Verlegung zu sprechen. Sie sprechen von den Erfahrungen ihrer Freunde, die auf Lager in anderen Regionen Italiens verteilt worden sind, die schon nach vier Monaten eine Erlaubnis haben, während sie noch hier sind, nachdem sie zwei Monate nur darauf gewartet haben, dass ihnen die Fingerabdrücke abgenommen werden. Nach eineinhalb Stunden Erzählungen und ständigen Forderungen nach Hilfe, um die Verlegung zu erreichen, kommt mir ein Kultur-Mediator entgegen, als ich gerade dabei bin zu gehen. Es scheint klar, dass nicht viel Zeit zur Verfügung steht, aber er ist zu einer kurzen Unterhaltung bereit, bevor er weg muss. Er zweiter Mediator kommt hinzu.

Die beiden erklären mir, dass die Situation wirklich schwierig sei. Nach ihrer Meinung sind die Nigerianer die am besten Vorbereiteten; sie kommen schon ansatzweise informiert an und haben hohe Ansprüche. Sie seien dermaßen aufsässig, dass sie während des Besuchs von UNHCR und OIM, in der Hoffnung die Verlegung in andere Gegenden zu erreichen, den Kissenbezug des Kopfkissens versteckt haben, um die entwürdigenden Lebensumstände zu demonstrieren. Die Mediatoren beschreiben mir dann aus ihrer Sicht das Beispiel der Klimaanlage. Am Anfang hätten die Immigranten sie Tag und Nacht laufen lassen und dann hätten sie sich darüber beschwert, dass sie Erkältungen, Kopf- und andere Schmerzen hätten. Man hatte die Klimaanlage also wegen des unsachgemäßen Gebrauchs durch die Migranten endgültig abstellen müssen. Dann werden die Streitereien zwischen Gruppen verschiedener Nationalitäten und Religionen betont. Mir wird erklärt, dass, wie das ermüdende Warten (die jungen Männer haben allein auf die Identifizierung zwei Monate warten müssen) jede banale Gelegenheit Anlass  zu Unzufriedenheit und verbalen Zusammenstößen liefere... Den Mediatoren zufolge sind die Forderungen der Immigranten überhöht: Sie verlangten außer der Klimaanlage auch Schuhe von Nike, modischere Kleidung. Die Mediatoren kommen auch auf das Thema „Fahrräder“ zu sprechen. Zwischen den nationalen Gruppen und innerhalb derselben, gebe es das weitverbreitet Phänomen des schikanösen Verhaltens gegenüber Schwächeren und der Konkurrenz. Einige trieben von anderen Geld und Kleidung ein. Dank dieser internen Ausbeutung könnten sich die Privilegierten Fahrräder und andere Sachen von Wert kaufen. Insgesamt sei die Spannung sehr hoch und das Klima kompletten Misstrauens mache die Kommunikation zwischen den Arbeitern und Gästen unmöglich. Eine dermaßen stressige Situation, dass einer der beiden Mediatoren zugibt, dass er froh sei, wenn einige Immigranten ab und an arbeiten; so seien sie wenigstens ermüdet, den Tag über beschäftigt und können nicht den ganzen Tag über ihren Sorgen bezüglich der Bürokratie und der Lebensumstände brüten.

Nach dem Besuch im Hotel Acos lassen die unterschiedlichen Versionen bezüglich des Alltagslebens zahlreiche Fragen offen. Die Verfahren der Staatsanwaltschaft und der Kommission sind äußerst langsam und die Asylsuchenden sind überzeugt, dass die Arbeiter im CAS verantwortlich sind für die langen Wartezeiten. Der Argwohn ist folglich die Konstante in den Beziehungen zwischen den Mediatoren und den Immigranten. Die einzige Tatsache, in der beider Erzählungen zusammengehen, ist, dass sie arbeiten. Das Problem ist nicht die Arbeit der Asylsuchenden an sich, sondern dass sie ganz und gar der Regeln und des Schutzes beraubt ist. Das Gesetz versagt den Asylsuchenden die Möglichkeit zu arbeiten, in den ersten sechs Monaten des Aufenthalts in Italien und solange sie auf die Entscheidung der Kommission warten. Dieses Verbot schreibt eine verlängerte und erniedrigende Inaktivität vor, aber manchmal führt es auch zu einer Arbeitsleistung gegen lächerliche Bezahlung und unter Bedingungen, die außerhalb der Norm liegen. Dieses Phänomen führt zu einem Risiko für die Immigranten und zu einer unschlagbaren Konkurrenz zur regulären Arbeitskraft. Wenn das Gesetz die Arbeit der Asylsuchenden erlauben würde und sie regulierte, würde man so der Ausbeutung und den schädlichen Effekten auf den Arbeitsmarkt ein Ende setzen.

Carlotta Giordano
Borderline Sicilia

Aus dem Italienischen von Rainer Grüber

Anmerkung der Redaktion: Flüchtlinge erhalten, wenn überhaupt, 2,50 Euro Taschengeld am Tag. Das wird nicht immer und sehr oft nur unregelmäßig ausbezahlt. Sie erhalten keinerlei sonstige finanzielle Unterstützung.