„Lasst sie nicht raus, aber haltet sie nicht auf....eine typisch italienische Lösung“, ärgert sich einer der diensthabenden Carabinieri am Eingang des Palajonio von Augusta, einem der zahllosen temporären “Aufnahmelager“ für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge. Letzten Mittwoch haben wir vergeblich versucht, dort Einlass zu erhalten, konnten jedoch einige kritische Beobachtungen machen. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich etwa 120 Minderjährige in der Sporthalle. Über die Hälfte stammte von der Gruppe der 817 Migranten, die am 18. Februar vom Schiff San Giusto im Rahmen der Operation „Mare nostrum“ in Porto di Augusta ankamen.
Die andere Hälfte hingegen wartet bereits seit dem 7. Februar auf Verlegung in ein reguläres Aufnahmelager für Minderjährige. Während der zwei Stunden, die wir vor dem Eingang verbrachten, wurde uns klar, warum wir entlang der Schnellstraße 114 Orientale Sicula, die Augusta mit Syrakus verbindet, soviele Einsatzwagen der Polizei und mindestens drei Kontrollposten gesehen hatten. Denn im Widerspruch zu dem oben zitierten Carabiniere diente das Polizeiaufgebot dazu, die zahlreichen aus der Sporthalle geflohenen Minderjährigen aufzugreifen. Wir sahen, wie drei der Minderjährigen in einem Polizeiwagen, zwei weitere zu Fuß, die im Umfeld der Sporthalle aufgegriffen worden waren, zurückgebracht wurden. Außerdem wurde uns von mehreren Jugendlichen Augustas berichtet, dass sie in den letzten Tagen überall verstreut Migranten gesehen hätten, auf den Landstraßen sowie auf dem Autobahnabschnitt Syrakus-Rosolini. Auch sie wollten gerne in die Sporthalle, wenngleich aus anderen Gründen – nämlich um in Erwartung des am späten Nachmittag angesetzten Matches Villa Passanisi-Catania Fußball zu spielen. Tatsächlich wird, wenngleich reduziert, der Spielbetrieb in der Halle aufrecht erhalten. Wir erfuhren, dass während eines Matches die Minderjährigen als „Gäste“ auf die Tribüne verfrachtet und ihre Campingliegen zur Seite geräumt werden, damit die Spiele stattfinden können.
Gestern abend wurden wir informiert, dass ungefähr die Hälfte der Minderjährigen endlich in ihrer Aufnahme gerechte Kommunen verlegt wurden, einige in Sizilien, andere in den Marken und in Apulien. Es sind keine sicheren Daten über die momentan noch anwesenden „Gäste“ verfügbar (auch da schon einige Minderjährige, wie oben beschrieben, aus der Halle verschwunden sind), sicher ist jedoch, dass es sich dabei immer noch um nderjährige aus der Gruppe des 7. Februars handelt.
Es ist so offensichtlich wie skandalös, dass das Palajonionon nicht zur Aufnahme irgendeines Individuums geeignet ist, seien es nun Minderjährige oder Erwachsene, um so weniger, wenn die Dauer des Aufenthalts zwei Wochen überschreitet. Angesichts der Bedingungen, unter denen die Migranten in Sizilien ankommen, verurteilen wir dieses Verfahren auf das Schärfste. Seit Beginn der Operation Mare Nostrum werden die aus Seenot geretteten Migranten, anders als bisher, erst nach mehreren Tagen auf dem Festland verteilt und bedürfen bis dahin umso mehr einer organisierten Aufnahme.
Die Nutzung des Palajonionon zur Aufnahme von Minderjährigen oder die Zeltstadt auf dem Baseballfeld von Palanebiolodi Messina, heute bereits wieder überfüllt, zeigen hingegen, dass die Zustände bei der Aufnahme in Sizilien immer improvisierter, chaotischer und verzweifelter werden.
Elio Tozzi, Borderline Sicilia
Aus dem Italienischen von Janika Gellinek