So steht es im "Bericht über den Betrieb des eingeführten Aufnahmesystems angesichts der besonderen Anforderungen, die mit dem außergewöhnlichen Zustrom von Fremden auf nationales Territorium verbunden sind“ aus dem Jahr 2015, der am 13. März 2017 durch Innenminister Marco Minniti dem Senatspräsidenten der Republik übergeben wurde.
Das Budget 2015 wurde durch eine Mittelzuweisung von 610.045.927 Euro aufgestockt für die Finanzierung der staatlichen Zentren und den vorübergehenden Einrichtungen für die Aufnahme und/oder Identifizierung, Inhaftierung und Abschiebung von im Meer geretteten Migrant*innen.
"Damit wurden folgende Ausgaben gedeckt: die Inbetriebnahme, die Miete, den Betrieb dieser Strukturen zum Aufenthalt und zur Aufnahme von illegalen Ausländern, die Ausgaben für Sozialhilfe auch außerhalb der Zentren, und welche zu Untersuchungen und Projekte zur Verbesserung und Vereinheitlichung der Verwaltung dieser Zentren,“ erklärt Minister Minniti.
Tatsache ist: zur Finanzierung der staatlichen Empfangszentren, sowie deren Miete, die Inbetriebnahme von Gebäuden für die Aufnahme- und Abschiebezentren und die Ausgaben in der Bewirtschaftung wie Nebenkosten und Transporte wurden 127.271.248 Euro bereitgestellt.
Die restlichen 482.774.679 Euro wurden verwendet für: die "Inbetriebnahme von zeitlich begrenzte Empfangsstrukturen auf dem ganzen nationalen Territorium infolge der Operation Mare Nostrum und des Übereinkommens der Conferenza Unificata vom 1. Juli 2014. Mit diesem Dokument wurde das nationale Programm zur Bewältigung der außerordentlichen Zunahme der Einwanderung von ausländischen Erwachsenen, Familien und unbegleiteten Minderjährigen" genehmigt.
Der Innenminister beklagt in der Folge, dass diese Inbetriebnahme von neuen Strukturen für die zeitlich begrenzte Aufnahme auf dem ganzen nationalen Territorium, da es an einer angemessenen Anpassung der finanziellen Mittel fehle, im Haushaltbudget von 2015 eine Verschuldung von 211.529.585 Euro bedeute. Alles in allem: vor zwei Jahren waren die Staatsausgaben für den Betrieb der CARA* und CIE* 821.575.512 Euro. Das ist nicht wenig, wenn wir die schlimmen Lebensbedingungen von Tausenden von "Gästen" in diesen Zentren bedenken.
Ein nicht unbedeutender Prozentsatz des Haushaltsbudgets wurde für sogenannte "Ausgaben der Infrastruktur" (Konstruktion, Ankauf, Fertigstellung, Anpassung, Umbau und Unterhalt) von Gebäuden der CARA* und CIE* verwendet.
Es geht insgesamt um die Summe von 37.136.488 Euro. Hier der Bericht des Ministers über die bedeutendsten Aufträge:
- die Restaurierungsarbeiten und die Anpassungen an die neue Funktion der Ex-Kaserne "Serini" in Brescia - 5.110.000 Euro
- neue Einzäunungsplanung beim CARA di Foggia - 3.168.600 Euro
- die funktionale Anpassung des Ex Konsortiums ASI in Syrakus - 3.497.934 Euro
- die Umbauarbeiten des "Dorfes" San Giuliano di Puglia*, in Campobasso - 1.289.475 Euro
- die Umbauten der "Palazzina E" bei der Ex Kaserne "Cavarzerani" in Udine, „für den Empfang der Flüchtlingsströme auf dem Landweg“ - 1.500.000 Euro
- Restaurierung und außerordentliche Unterhaltsarbeiten beim CDA / CARA von Isola Capo Rizzuto in Crotone - 1.723.968 Euro
- „für die Einrichtung und Infunktionsnahme der Hotspots in Contrada Imbriacola, Lampedusa und Pozzallo (Ragusa)“ – 1.200.000 Euro
- Anpassung der Ex-Kasernen "Gasparro" von Messina - 709.528 Euro und "Monti" von Pordenone - 460.000 Euro
- die außerordentlichen Unterhaltsarbeiten der Kaserne in Oderzo bei Treviso 830.000 Euro
- der Umbau des Kinderdorfes von Barletta - Andria Trani - 756.460 Euro
- Restaurierung und Umbau der Gebäude in St. Pierre, Aosta, zur Einrichtung eines Aufnahmezentrums für Migrant*innen – 620.000 Euro, die in den Topf „Lire UNRRA“ überwiesen wurden
Ebenso beunruhigend sind die gerichtlichen Untersuchungen über das CARA-Lager von Borgo Mezzanone in Foggia. Vor nicht einmal einem Monat hat das italienische Innenministerium die Erteilung der Betriebsleitung an die Kooperative Senis Hospes von Senise widerrufen, nachdem die schlimmen Lebensbedingungen der „Gäste“ dort ans Licht kamen. Genauso in Isola Capo Rizzuto, eine weitere Hölle für Migrant*innen aber ein Paradies für die mit den mafiösen lokalen Netzwerken verbundenen Geschäftsleute.
In seinem Senatsbericht verweilt Minister Minniti auch auf einem weniger bekannten Kapitel des Migrantenbusiness. Es handelt sich um die Bestimmung vom 28. Mai 2015 über eine besondere Convenzione Quadro zwischen der Abteilung des Innenministeriums für die bürgerlichen Freiheiten und Immigration und INVITALIA S.p.A., der nationalen Agentur zur Betriebsansiedelung und Förderung der Investitionen in Unternehmen für die wirtschaftliche Entwicklung, die zu 100% vom Wirtschaftsministerium finanziert ist.
Mit dem Ziel der „Verbesserung der Einrichtungen für die Aufnahme und Hilfe für Migrant*innen“ bestimmt diese Vereinbarung, dass INVITALIA für das Innenministerium und die Präfekturen folgende Aufgaben übernimmt: Auftraggeber und zentrale Beschaffungsstelle für die Projektierung, Realisierung und Unterhalt der Gebäude der Aufnahmestrukturen. Dafür hat das Haushaltbudget 2015 des Innenministeriums INVITALIA 488.000 Euro zugesprochen.
Der Ordnung halber sei hier erwähnt: Der Vorsitzende der Aktiengesellschaft des Wirtschaftsministeriums, welche mit dem Innenministerium zusammenarbeitet, ist der Anwalt Claudio Tesauro, der gleichzeitig Präsident von Save the Children Italia und ebenfalls Rechtsvertreter der industriellen Holdings General Electric und Generali – INA Versicherungen ist. Zudem ist er Mitglied im Vorstand der TNT Post Italia S.p.A. und bis 2013 war er im Vorstand der Save the Children International. Am Vorabend der Unterzeichnung der Konvention von INVITALIA mit dem Innenministerium hat Save the Children Italia im Namen des Innenministeriums und der Präfekturen das Projekt Presidium geleitet, zusammen mit den internationalen Organisationen IOM - der internationalen Organisation für Migration, dem Uno Hochkommissariat für Flüchtlinge und dem Italienischen Roten Kreuz. Die Mitarbeiter*innen von Presidium erteilten Ratschläge und Informationen an die Migrant*innen während ihrer Ankunft an den Landehäfen, sie beurteilten die Standards der dortigen Aufnahmestrukturen und unterstützten "die zuständigen Behörden bei der Identifizierung der unbegleiteten Minderjährigen, die über das Meer angelangten“.
Es wurden widersprüchliche Ergebnisse festgestellt im Einsatz von INVITALIA zur "Projektierung und strukturellen Realisierung" der Gebäude, die für die Sicherheitskontrollen und Aufnahme der Migrant*innen bereitgestellt wurden.
Ein Beispiel: am 20. Oktober 2015 wurde die Ausschreibung für zwei neue Hotspots für die Erstaufnahme und die Identifizierung für Personen aus Drittländern in den Häfen von Taranto und Augusta (Syrakus) veröffentlicht.
Der Hotspot in Taranto für 400 "Gäste" wurde im März 2016 mit Zelten und Containern auf einem Parkplatz des Hafenareals in Betrieb genommen. Den Hotspot im Handelshafen von Augusta gibt es bis heute nicht. Im Februar 2016 hat das Innenministerium die Ausschreibung dafür "vorübergehend und als Vorsichtsmaßnahme" zurückgezogen.
Die Maßnahme folgt auf die Erklärungen von einigen Parlamentarier*innen und lokalen Behördenmitgliedern und auf die Untersuchung der Staatsanwaltschaft, die die Rechtmäßigkeit der Ausschreibung untersucht.
Für den Hotspot von Augusta waren Ausgaben von 1.955.480 Euro budgetiert. Die Genehmigung für die Einrichtung war von der Hafenbehörde jedoch nicht erteilt worden, auf deren Territorium die Halbgefangenschaft der Migrant*innen organisiert wird. Es sei aber nie eine Anfrage für die dazu benötigte staatliche Konzession gestellt worden.
In Messina verlief es nicht besser. Dort hat INVITALIA im Februar 2016 zunächst eine Ausschreibung veröffentlicht für die "Eignungsprüfung und den Vorschlag eines ausführenden Projekts zur Anpassung der Immobilienstruktur innerhalb der ehemaligen Kaserne Gasparro zu einem Aufnahmezentrum für Migrant*innen (Budget: 138.000 Euro). Daraufhin wurde eine weitere Ausschreibung für den Beginn der Bauarbeiten für eine echte Zink-Barackenstadt in Innern des Zentrums veröffentlicht.
Nach einem langen, umstrittenen Verfahren mit Annullierungen und Widerrufsklagen ans regionale Verwaltungsgericht hat am 6. Februar 2017 eine kleine sizilianische Firma für 1. 249.550 Euro + MwSt den Zuschlag erhalten. Deren Angebot ist 35,3% günstiger als die im Wettbewerb vorgesehenen 1.932.000 Euro.
Ebenfalls im Frühling 2016 hat INVITALIA ausgeschrieben: Lieferung und Errichtung (Transporte, Installationen, Montage) für die Umzäunung des und Arbeiten auf dem für den Hotspot vorgesehenen Areals in der Residence degli Aranci in Mineo, Kosten: 1.932.000 Euro. In eben diesen Monaten wurde der Ausgang der Untersuchung über die Misswirtschaft im CARA von Mineo bekannt. Die Staatsanwaltschaft von Catania stellte Politiker*innen, Funktionär*innen, Betriebsleiter*innen, Vertreter*innen der Unternehmen und Kooperativen, die in den letzten Jahren das CARA geführt haben, unter Anklage.
Von mehreren Seiten wurde klar die endgültige Schließung der Maxi-Einrichtung in der Provinz Catania gefordert. Gleichzeitig muss darauf hingewiesen werden, dass der von INVITALIA vergebene Auftrag für die Umzäunung der Residence (die zuvor von Marines der USA der Militärbasis in Sigonella benutzt wurde) an die große nationale Baugesellschaft Pizzarotti S.p.A. in Parma vergeben worden war. Wie die Ermittler festgestellt haben, wurde Pizzarotti durch Jahresverträge mit INVITALIA für die jährliche Miete 4.5 Millionen Euro + Mehrwertsteuer zugesprochen.
"Was den Unterhalt der Siedlung betrifft, wurde ein Dreijahresvertrag zwischen dem Konsortium aus Catania und Pizzarotti S.p.A. unterzeichnet. Darin wird festgehalten, dass die Immobilien in gutem, wiedervermietbaren Zustand zurückgegeben werden - und alle durch den Aufnahmebetrieb entstandenen Schäden repariert werden müssen", stellt die parlamentarische Untersuchungskommission über die Aufnahmeorganisation in ihrer Publikation über das CARA von Mineo fest. „Es muss kritisch darauf hingewiesen werden, dass Pizzarotti auch Mitglied bei ATI ist, die als Betreiberin des Zentrums ausgewählt wurde. Damit stehen ATI 8,93 % des Gesamtbetriebsbudgets für die Betriebsführung und die routinemässige Wartung der Struktur zur Verfügung. Was wiederum bedeutet, dass ein schlecht geführter Unterhalt Pizzarotti die Möglichkeit gäbe, dafür Entschädigung für die Reparaturkosten zu verlangen."
INVITALIA ist bereits an zwei weiteren Projekten zur Aufnahme von Migrant*innen beteiligt, wie aus der Veröffentlichung von Ausschreibungen für zwei Millionenprojekte zu entnehmen ist: In der Gemeinde Trinitapoli (Bitonto) soll ein Gebäude zur Aufnahmeeinrichtung umgebaut und eingerichtet werden (15. Dezember 2016). Für den Hafen von Reggio Calabria (19. Mai 2017) ist ausgeschrieben: Lieferung und Installierung, Transport, Montage / Demontage und Unterhalt einer zeitlich begrenzten Unterkunftsstruktur bestehend aus vorfabrizierten Elementen. Die Ausschreibung budgetiert dafür 1.382.935 Euro.
Im letzten Oktober hat INVITALIA die Zusammenarbeit mit dem Innenministerium für die Bewältigung der Migrant*innenaufnahme abermals ausgeweitet: Es wurde eine Vereinbarung unterzeichnet für die Ausschreibung und Definition der Aufgaben der staatlichen Polizeiorgane in der interkulturellen und linguistischen Mediation bei Rettungs- und Identifikationsmaßnahmen während der Anlandungen auf italienischem Territorium. "Der Hauptzweck dieser Aufgaben ist die Kommunikation zwischen Ausländern und der italienischen Polizei, sowie die Identifikationsaufgaben der Immigrationsbehörden und Quästuren zu erleichtern, internationale Schutzanträge zu stellen und die Ausstellung von Aufenthalts- und anderen Dokumenten" erklärt die von Claudio Tesauro präsidierte Aktiengesellschaft. " INVITALIA wird der zentralen Direktion des Innenministeriums eine Hilfkommission für die Formulierung der Ausschreibung zur Verfügung stellen. Sie wird den normativen Rahmen für diese Tätigkeit definieren, die Wettbewerbsausschreibung entwerfen und beraten, bei der Endentscheidung und Formulierung der Verträge."
Antonio Mazzeo
*CARA: Centro Accoglienza per Rifugiati e Richiedenti Asilo - Aufnahmezentren für Geflüchtete und Asylbewerber
*CIE: Centro per l'Identificazione ed Espulsione - Zentrum zur Identifizierung und Abschiebung sich im Lande irregulär aufhaltender Personen
*"San Giuliano in Puglia", provisorisches, seit 12 Jahren verlassenes Dorf, das nach dem Erdbeben von Campobasso errichtet wurde, für die Aufnahme von Migranten vorgesehen
*Mafia Capitale - Untersuchung des Skandals über mafiöse Verbindungen der Regierung in Rom
*TAR tribunale amministrativo regionale Verwaltungsgericht der Region
Übersetzung aus dem Italienischen von Susanne Privitera Tassé Tagne