Paola Ottaviano, von Borderline Sizilien, einer Vereinigung von Anwälten, die sich intensiv um den Beistand für Migrant*innen kümmern, erklärt die Situation im sizilianischen Hotspot so: „Das italienische Aufnahmesystem für Migrant*innen wurde weder neu organisiert, noch wurde es angepasst an die große Menschenströme, die nun kommen.“
Wenn man sie barfuß vom Schiff gehen sieht, Arme und Beine voller Narben und Verbrennungen, mit verwirrtem Blick, fragt man sich, welches Schicksal sie wohl erwartet. Wohin sie gebracht werden, ob sie in angemessener Weise aufgenommen werden, beschützt werden, ob man ihnen zuhören wird oder ob sie, ganz im Gegenteil, monatelang in den sogenannten Hotspots, wie z.B. dem in Pozzallo bleiben. In überfüllten und dreckigen Einrichtungen, in denen das Menschliche einfach vergessen wird.
Mit fast sechstausend Neuankömmlingen an unseren Küsten in den letzten zwei Tagen steht das italienische Aufnahmesystem wieder einmal vor dem Zusammenbruch. 153.450 Migrant*innen kamen in den letzten 10 Monaten des Jahres 2016 mit dem Boot an, darunter 20.000 unbegleitete Minderjährige. 10 % mehr als im gleichen Zeitraum des vergangenen Jahres.
„Wir stehen vor sehr hohen Zahlen verglichen mit denen der Vergangenheit, aber man kann absolut nicht von einer Notfallsituation sprechen“, erläutert Paola Ottaviano von Borderline Sizilien, einer Vereinigung von Anwälten, die sich intensiv um die Belange der Migrant*innen kümmert und Fälle von unzureichender Aufnahme zur Anzeige bringt. „Angesichts der Situation in Libyen handelt es sich um vorhersehbare und kalkulierbare Vorkommnisse.“ Was die Aufnahme kollabieren lässt, erklärt Ottaviano – das sind die geschlossenen Grenzen. „Das Konzept des Hotspots sah vor, dass sich Italien zu 100 Prozent um die Identifikation kümmert und dass Europa die Umverteilung übernimmt. Wir wissen, dass von ungefähr 160.000 vorhergesehenen Plätze für Migrant*innen, die über Italien und Griechenland kommen, bisher nur 5000 „umverteilt“ wurden. Unser Aufnahmesystem wurde in der Zwischenzeit jedoch weder neu organisiert, noch wurde es angepasst, um eine so große Zahl an Menschen angemessen aufnehmen zu können.“
In Sizilien vergeht kein Tag, an dem nicht neue Fälle unangemessener Aufnahme angezeigt werden, bekräftigen die Anwälte von Borderline. „Improvisierte und übervolle Aufnahmezentren, das Fehlen eines qualifizierten Personals, sich verschlechternde und außer Kontrolle geratene Zustände .“ Sehr häufig sind es die unbegleiteten Minderjährigen, die die Rechnung bezahlen müssen. „Die Präfektur hat die Öffnung neuer „Notfall“-Aufnahmezentren vorgesehen, für höchstens 50 Jugendliche, in Wirklichkeit handelt es sich um außerordentliche Aufnahmezentren, in denen die Jugendlichen riskieren, monatelang sich selbst überlassen zu bleiben“, erklärt Ottaviano abschließend.
Anna Vullo
Übersetzung aus dem Italienischen von Jutta Wohllaib