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Freitag, 1. Juli 2016

Je weniger Migrant*innen wir aufnehmen, solange sie leben, desto mehr Tote kommen an: In Catania landete ein Schiff mit 10 Toten an.

Von Rete Antirazzista Catanese*

Diese bittere Feststellung bestätigt sich jeden Tag von Neuem: Die Anzahl der registrierten Toten ist immens, aber unsere Regierung ist mehr an demagogischen pressewirksamen Aktionen interessiert, wohlwissend, dass die von Europa und Frontex angestrebte Einigelungspolitik mitverantwortlich ist für die Schiffsbrüche einerseits und die üppigen Gewinne der Mafia im Mittelmeer andererseits ist. Im Hafen von Catania ist die Landungsoperationen der 348 Migrant*innen aus dem Schiff der Küstenwache CP 941 U. Diciotti beendet worde: Die Migrant*innen, die überwiegend aus Nigeria und aus der Südsahara stammen, wurden von den untergehenden Schlauchbooten ca. 20 Meilen vor der lybischen Küsten in drei verschieden Rettungsaktionen geborgen.



Foto von Alfonso di Stefano

Diesmal, obwohl der Kai voll mit Militär war – die Spurensicherung, die sich um die Fingerabdrücke bemühte, die Carabinieri, die Bundesgrenzschutzbeamten und die Mitarbeiter*innen von Frontex – haben die Presse und die freiwilligen Helfer die Möglichkeit gehabt, sich den Absperrungen zu nähern, bis auf ein paar Meter von den Ankommenden entfernt, und der Pressekonferenz des Befehlshabers des Diciotti Gianluca D’Agostino beizuwohnen. Besonders erschütternd war der Bericht über die Rettung des zweiten Schlauchbootes, welches kurz nach dem Verlassen der Küste bei Tripolis zu sinken drohte. Die 10 Migrantinnen, die unterwegs gestorben sind, befanden sich zusammen mit weiteren 38 Frauen und 2 Kindern in der Mitte des Schlauchbootes, während die 68 Männer am Rande saßen. Als das mit Benzin vermischte Wasser in das Boot einzudringen begann, wurden jene, die in der Mitte saßen, nach unten gesogen und von denen, die sie umgaben und sich zu retten versuchten, niedergetrampelt. Unter den Überlebenden sind zwei Schwestern von zwei verstorbenen Frauen. 
Der Bürgermeister Bianco, der bei der Ankunft anwesend war, hat zugesichert, dass die 10 Opfer am Gemeindefriedhof beerdigt werden und dass in den nächsten Tagen eine interreligiöse Zeremonie im Kulturpalast stattfinden werde. Es ist ein positives Zeichen, dem jedoch eine tatkräftige Aufnahmepolitik der Migrant*innen, die die häufigen Schiffbrüche überleben, folgen sollte.
Die ersten Busse, die die Migrant*innen außerhalb Siziliens bringen werden, sind abfahrtbereit. Kann es sein, dass innerhalb unserer Insel gar keine würdige Unterbringungsmöglichkeit besteht, wenigstens für die Überlebenden der Schiffbrüche?
Foto von Alberto di Stefano

Seit kurzem liegt am Hafen von Augusta das abgeschleppte Fischerboot der Tragödie vom 18. April 2015. Seit Beginn der Bergung sind viele Monate vergangen und etliche Versuche gescheitert. In den letzten Wochen haben die Meldungen der Gewerkschaft Usb* große Resonanz erhalten. Die Gewerkschaft meldete, dass die den Feuerwehrmännern zur Verfügung gestellten Geräte ungeeignet waren und sogar ein Risiko für die Gesundheit und das Leben der Männer, die an der Bergung mitgewirkt haben, darstellten. Schon im April hatten wir die totale Militarisierung der Aktion angeprangert und die Wahl der Anlegebrücke der NATO bei Melilli als Bootssteg für das Wrack und für die Bergung der Leichen kritisiert.  
Die Ankunft des Fischerbootes in Augusta hätte für die Bewohner*innen von Syrakus und die hilfsbereiten Bürger*innen die Gelegenheit werden können, die dramatische Wirklichkeit der Tragödien im Mittelmeer direkt zu erfahren, damit die Schiffbrüchigen und die Vermissten ein Gesicht und einen Namen bekommen. Es hätte ein Augenblick der Andacht und Teilhabe werden können, um die ganze Tragweite des Ereignisses nachzuempfinden: Den zerbrochenen Leben, den Hoffnungen und Träumen, die in diesem Kanal versunken sind, dieser Kanal, der nichts mehr verbindet, sondern durch die freiheitshemmende und sicherheitsfördernde Politik der Festung Europa eine unüberwindbare Mauer geworden ist. Aber nein! Es ist vorgezogen worden, eine weitere Mauer, eine reelle und gleichzeitig eine ideologische Mauer, zu errichten, um zu verhindern, dass die Bürger*innen etwas sehen, was womöglich ihr Gewissen hätte aufrütteln können und sie dazu hätte bewegen können, Fragen zu stellen. 
Foto von Alberto di Stefano

Wir sind gerade dabei, einige Überlebende ausfindig zu machen und Kontakte zu einer Vereinigung der desaparecidos, der Familienangehörigen der Vermissten aus Mali, zu knüpfen, um zu erfragen, ob sie nach Sizilien kommen würden, um bei der Identitätsfeststellung der Verstorbenen zu helfen.

Alfonso Di Stefano

Rete Antirazzista Catanese*: Antirassistisches Netzwerk Catania
Usb* – Unione Sindacale di Base: Italienische Gewerkschaftsunion

Aus dem Italienischen übersetzt von Antonella Monteggia