Für die Migrant*innen ist es das Gleiche, aber mit dramatischen Folgen: In dem Moment, in dem sie von einem Handelsschiff, von einem Schiff der Marine oder der Freiwilligen gerettet werden, treten sie in diese Drehtür ein; aber in dem Augenblick, in dem sie Italien betreten, beginnen sie zu verstehen, dass es kein Spiel ist und dass die Tür sie an den Ausgangspunkt zurücksetzt, und das auf schlimmere Art und Weise.
In den letzten Wochen sind mehr als 1000 Migrant*innen in mehreren Anlandungen auf Sizilien angekommen. Diese haben in Lampedusa, Augusta und Catania stattgefunden. In dieser Anfangssituation fehlt absolut die Aufmerksamkeit für die Menschen; dagegen herrscht absolute Unterwerfung unter die politischen Entscheidungen Europas, die die Institutionen mit illegalen und unmenschlichen Praktiken vollziehen.
Unterdessen verschluckt das Meer weiterhin Menschen, die wir braven Europäer opfern, ohne eine Träne zu vergießen. Der Letzte (in chronologischer Ordnung) war ein Migrant, der bei der Anlandung in Catania gestern tot angekommen ist. Nicht einmal die Nachrichten, die uns von der griechischen oder türkischen Küste zusammen mit Bildern von Kindern erreichen, die weiterhin an Kälte und Entbehrung sterben, empören uns noch.
Die illegalen Handlungen werden in den Häfen und in den Hotspots durchgeführt, in denen die Migrant*innen auf der Grundlage ihrer Nationalität identifiziert werden, ohne jedwede Information über Gesetze und mit Fragebögen, die oft schon ausgefüllt sind und die nur noch unterschrieben werden müssen. Fügen wir hinzu, dass die spärliche Anwesenheit von humanitären Organisationen dazu führt, dass die Beamten der Quästur und von Frontex Handlungsfreiheit haben; sie können ungestört agieren und stellen Abschiebungsverfügungen aus, die die Migrant*innen zwingen, Italien innerhalb von sieben Tagen zu verlassen. So geschieht es sowohl in den offiziell eingerichteten Hotspots auf Lampedusa und in Trapani wie in jenen, die in Kürze zu solchen werden, wie etwa in Pozzallo.
Gestern wurde die erste Ankunft diesen Jahres im Hafen von Catania registriert: An Bord der Dattilo, eines Schiffes der it. Küstenwache, sind 245 Personen angekommen, darunter 22 Frauen, ein begleiteter Minderjähriger und 58 unbegleitete Minderjährige. Auch eine Leiche war an Bord. Die anwesenden Nationalitäten: Elfenbeinküste, Senegal, Guinea Conakry, Guinea Bissau, Äthiopien, Ghana, Gambia, Kamerun, Nigeria, Mali, Liberia, Marokko, Eritrea. Nach den Nachrichten, die wir haben, wurden sie nach Apulien und ins CARA* von Mineo verlegt, unter ihnen 17 Marokkaner, die einen „aufgeschobenen“ Abschiebungsbescheid erhalten haben.
Auf Lampedusa wurden vorgestern auch den Migrant*innen, die am 11. Januar auf der Insel angekommen sind, 50 Abschiebungsbescheide zugestellt. Zur Zeit sind dort noch ungefähr 200 Eritreer anwesend, die protestieren, weil sie ihre Fingerabdrücke nicht abnehmen lassen wollen.
Auf die illegale Praxis, die auf einem Dokument ohne rechtliche Grundlage wie der Roadmap basiert, folgt die inhumane Praxis, Migrant*innen ohne jedwede Anweisung auf die Straße zu entlassen, mit dem Befehl, sich zum Flughafen Fiumicino in Rom zu begeben und innerhalb von 7 Tagen in ihr eigenes Land zurückzukehren. Eine inhumane Praxis, die seit Oktober bis heute auf 300 Abschiebungsbescheide kommt, die alleine von der Quästur in Agrigent herausgegangen sind. Es handelt sich um eine niedrig angesetzte Zahl; sie schließt nur die ein, von denen wir Kenntnis haben, weil wir sie auf die eine oder andere Weise auf dem Landesgebiet aufgespürt haben.
Mehr als 50 der zuletzt ausgewiesenen Migrant*innen haben in Aragona geschlafen, wo die Polizei sie zurückgelassen hat. Aragona ist ein kleiner Ort, weit entfernt auch vom Bahnhof in Agrigent. Die Unmenschlichkeit erkennt man auch an diesen Gesten, mehr als in den Worten von einigen Beamten: „Sie hätten gar nicht erst herkommen sollen“ Zum Glück gibt es in Aragona einige Menschen, die freiwillig aktiv werden, damit die Migrant*innen nicht erfrieren, und ihnen etwas zu essen machen. Gestern früh am Morgen haben sich die Migrant*innen auf den Weg gemacht, um zum Bahnhof in Agrigent zu gelangen, viele von ihnen, um ihre Reise fortzusetzen. Gestern Nacht hat eine Gemeinde, die von der Caritas und von den Laienangehörigen des Camboni-Ordens in Agrigent aktiviert wurde, 30 Personen beherbergt. Ein Beamter der Quästur in Agrigent hat durch einen Mitarbeiter des UNHCR* wissen lassen, dass man für die Anträge auf internationalen Schutzstatus bis Montag warten müsse. Neben den Freiwilligen, die sich in diesen Stunden der Migrant*innen angenommen haben, haben sich auch einige Anwälte für die Einreichung der Beschwerden eingeschaltet.
Das System verfolgt das Ziel, die Menschen fertigzumachen, ihnen bis zum Äußersten psychische Gewalt anzutun und sie dazu zu bringen, dem Willen der Festung Europa gegenüber zu kapitulieren. Am 14. Januar haben sich einige Vereine zum Schutz der Rechte von Geflüchteten in der Quästur von Catania mit Beamten der Agentur Frontex getroffen, die seit Juli einen operativen Sitz in der Stadt am Ätna hat. Die Begegnung hat die Sorgen über die Kritikpunkte bestätigt, die wir gemeinsam mit anderen Vereinigungen seit Monaten beklagen: Bezüglich der Hotspots, der Abschiebungen, der widerrechtlichen Behandlung, der fehlenden juristischen Grundlage dieser Praktiken. In der Begegnung wurde der Wille deutlich, an der zwangsweisen Abnahme der Fingerabdrücke festzuhalten.
Im Hinblick darauf reicht es zu beobachten, was sich alles in den Geschehnissen um die 200 Eritreer ereignet hat, die sich auf Lampedusa seit zwei Monaten weigern, ihre Fingerabdrücke abnehmen zu lassen. Die sieben Leute, die von den Ordnungskräften als Anführer der Proteste identifiziert wurden, wurden genötigt, die Fähre nach Porto Empedocle zu nehmen, was sie nicht wirklich freiwillig getan haben. Von dort sind sie zum neuen Hotspot in Milo gebracht worden. Dort haben die Leute für einen Tag ihren Prostest fortgesetzt. Danach haben sie, warum auch immer, ihre Fingerabdrücke abgegeben und sind nach Salemi in ein CAS* verlegt worden, um schließlich ins HUB* der Villa Sikania gebracht zu werden. So befinden sie sich am Ausganspunkt der Drehtür, aber mit abgenommenen Fingerabdrücken und mit einem Migrationsprojekt, das nicht mehr realisierbar ist.
Wir wissen nicht, welche Methoden angewandt wurden, um die Fingerabdrücke abzunehmen, aber wir können davon ausgehen, dass es sich dabei um eine psychische Gewaltanwendung handelte. Eine exemplarische Lektion an dem Anführer des Protests, mit dem Ziel, jeden Widerstand zu brechen und ein Zeichen zu setzen für diejenigen, die sich auf Lampedusa noch immer keine Fingerabdrücke abnehmen lassen wollen: „Auch eure Anführer sind weich geworden.“
Aber die Vernachlässigung und die illegitimen Praktiken setzen sich auch in anderen Institutionen fort, die etwas mit Migrant*innen zu tun haben, Institutionen, die sich auch der Arbeit vieler Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen hindernd in den Weg stellen. Sie schaffen Situationen, die eine Freundin veranlasst hat, diese Worte zu schreiben: „Die Mühe, die es bereitet, sich in der Sinnlosigkeit der institutionellen Systeme zu befinden, hat mich schließlich zu einem Bild gebracht: Ein Boot, das den Launen des Mittelmeeres ausgeliefert ist… nicht zu enträtseln… die Gesetze sind nicht nur bigott und absurd; ich würde hinzufügen, sie sind widersprüchlich, vergewaltigen die Seelen der besonders Schutzbedürftigen; sie sind ohne Mitleid und, keine Frage, sie sind rassistisch. All das ist leider LEGALISIERT!! Und dann empören wir uns und wundern uns, dass die Migrant*innen, kaum angekommen, abhauen, ohne geduscht oder gegessen zu haben; offensichtlich ist das immer die Schuld der Schlepper… für heute haben wir diese Entschuldigung, ich möchte wissen, was wir morgen erfinden.“
Albert Biondo
Borderline Sicilia Onlus
*CARA – Centro di accoglienza per richiedenti asilo: Aufnahmezentrum für Asylsuchende
*UNHCR – UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge
*CAS – Centro di accoglienza straordinaria – außerordentliches Aufnahmezentrum
*HUB – aus dem Englischen: "Sammelpunkt", so sollen die neuen Verteilzentren für Asylsuchende heißen
Übersetzung aus dem Italienischen von Rainer Grüber
Unterdessen verschluckt das Meer weiterhin Menschen, die wir braven Europäer opfern, ohne eine Träne zu vergießen. Der Letzte (in chronologischer Ordnung) war ein Migrant, der bei der Anlandung in Catania gestern tot angekommen ist. Nicht einmal die Nachrichten, die uns von der griechischen oder türkischen Küste zusammen mit Bildern von Kindern erreichen, die weiterhin an Kälte und Entbehrung sterben, empören uns noch.
Die illegalen Handlungen werden in den Häfen und in den Hotspots durchgeführt, in denen die Migrant*innen auf der Grundlage ihrer Nationalität identifiziert werden, ohne jedwede Information über Gesetze und mit Fragebögen, die oft schon ausgefüllt sind und die nur noch unterschrieben werden müssen. Fügen wir hinzu, dass die spärliche Anwesenheit von humanitären Organisationen dazu führt, dass die Beamten der Quästur und von Frontex Handlungsfreiheit haben; sie können ungestört agieren und stellen Abschiebungsverfügungen aus, die die Migrant*innen zwingen, Italien innerhalb von sieben Tagen zu verlassen. So geschieht es sowohl in den offiziell eingerichteten Hotspots auf Lampedusa und in Trapani wie in jenen, die in Kürze zu solchen werden, wie etwa in Pozzallo.
Gestern wurde die erste Ankunft diesen Jahres im Hafen von Catania registriert: An Bord der Dattilo, eines Schiffes der it. Küstenwache, sind 245 Personen angekommen, darunter 22 Frauen, ein begleiteter Minderjähriger und 58 unbegleitete Minderjährige. Auch eine Leiche war an Bord. Die anwesenden Nationalitäten: Elfenbeinküste, Senegal, Guinea Conakry, Guinea Bissau, Äthiopien, Ghana, Gambia, Kamerun, Nigeria, Mali, Liberia, Marokko, Eritrea. Nach den Nachrichten, die wir haben, wurden sie nach Apulien und ins CARA* von Mineo verlegt, unter ihnen 17 Marokkaner, die einen „aufgeschobenen“ Abschiebungsbescheid erhalten haben.
Auf Lampedusa wurden vorgestern auch den Migrant*innen, die am 11. Januar auf der Insel angekommen sind, 50 Abschiebungsbescheide zugestellt. Zur Zeit sind dort noch ungefähr 200 Eritreer anwesend, die protestieren, weil sie ihre Fingerabdrücke nicht abnehmen lassen wollen.
Auf die illegale Praxis, die auf einem Dokument ohne rechtliche Grundlage wie der Roadmap basiert, folgt die inhumane Praxis, Migrant*innen ohne jedwede Anweisung auf die Straße zu entlassen, mit dem Befehl, sich zum Flughafen Fiumicino in Rom zu begeben und innerhalb von 7 Tagen in ihr eigenes Land zurückzukehren. Eine inhumane Praxis, die seit Oktober bis heute auf 300 Abschiebungsbescheide kommt, die alleine von der Quästur in Agrigent herausgegangen sind. Es handelt sich um eine niedrig angesetzte Zahl; sie schließt nur die ein, von denen wir Kenntnis haben, weil wir sie auf die eine oder andere Weise auf dem Landesgebiet aufgespürt haben.
Mehr als 50 der zuletzt ausgewiesenen Migrant*innen haben in Aragona geschlafen, wo die Polizei sie zurückgelassen hat. Aragona ist ein kleiner Ort, weit entfernt auch vom Bahnhof in Agrigent. Die Unmenschlichkeit erkennt man auch an diesen Gesten, mehr als in den Worten von einigen Beamten: „Sie hätten gar nicht erst herkommen sollen“ Zum Glück gibt es in Aragona einige Menschen, die freiwillig aktiv werden, damit die Migrant*innen nicht erfrieren, und ihnen etwas zu essen machen. Gestern früh am Morgen haben sich die Migrant*innen auf den Weg gemacht, um zum Bahnhof in Agrigent zu gelangen, viele von ihnen, um ihre Reise fortzusetzen. Gestern Nacht hat eine Gemeinde, die von der Caritas und von den Laienangehörigen des Camboni-Ordens in Agrigent aktiviert wurde, 30 Personen beherbergt. Ein Beamter der Quästur in Agrigent hat durch einen Mitarbeiter des UNHCR* wissen lassen, dass man für die Anträge auf internationalen Schutzstatus bis Montag warten müsse. Neben den Freiwilligen, die sich in diesen Stunden der Migrant*innen angenommen haben, haben sich auch einige Anwälte für die Einreichung der Beschwerden eingeschaltet.
Das System verfolgt das Ziel, die Menschen fertigzumachen, ihnen bis zum Äußersten psychische Gewalt anzutun und sie dazu zu bringen, dem Willen der Festung Europa gegenüber zu kapitulieren. Am 14. Januar haben sich einige Vereine zum Schutz der Rechte von Geflüchteten in der Quästur von Catania mit Beamten der Agentur Frontex getroffen, die seit Juli einen operativen Sitz in der Stadt am Ätna hat. Die Begegnung hat die Sorgen über die Kritikpunkte bestätigt, die wir gemeinsam mit anderen Vereinigungen seit Monaten beklagen: Bezüglich der Hotspots, der Abschiebungen, der widerrechtlichen Behandlung, der fehlenden juristischen Grundlage dieser Praktiken. In der Begegnung wurde der Wille deutlich, an der zwangsweisen Abnahme der Fingerabdrücke festzuhalten.
Im Hinblick darauf reicht es zu beobachten, was sich alles in den Geschehnissen um die 200 Eritreer ereignet hat, die sich auf Lampedusa seit zwei Monaten weigern, ihre Fingerabdrücke abnehmen zu lassen. Die sieben Leute, die von den Ordnungskräften als Anführer der Proteste identifiziert wurden, wurden genötigt, die Fähre nach Porto Empedocle zu nehmen, was sie nicht wirklich freiwillig getan haben. Von dort sind sie zum neuen Hotspot in Milo gebracht worden. Dort haben die Leute für einen Tag ihren Prostest fortgesetzt. Danach haben sie, warum auch immer, ihre Fingerabdrücke abgegeben und sind nach Salemi in ein CAS* verlegt worden, um schließlich ins HUB* der Villa Sikania gebracht zu werden. So befinden sie sich am Ausganspunkt der Drehtür, aber mit abgenommenen Fingerabdrücken und mit einem Migrationsprojekt, das nicht mehr realisierbar ist.
Wir wissen nicht, welche Methoden angewandt wurden, um die Fingerabdrücke abzunehmen, aber wir können davon ausgehen, dass es sich dabei um eine psychische Gewaltanwendung handelte. Eine exemplarische Lektion an dem Anführer des Protests, mit dem Ziel, jeden Widerstand zu brechen und ein Zeichen zu setzen für diejenigen, die sich auf Lampedusa noch immer keine Fingerabdrücke abnehmen lassen wollen: „Auch eure Anführer sind weich geworden.“
Aber die Vernachlässigung und die illegitimen Praktiken setzen sich auch in anderen Institutionen fort, die etwas mit Migrant*innen zu tun haben, Institutionen, die sich auch der Arbeit vieler Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen hindernd in den Weg stellen. Sie schaffen Situationen, die eine Freundin veranlasst hat, diese Worte zu schreiben: „Die Mühe, die es bereitet, sich in der Sinnlosigkeit der institutionellen Systeme zu befinden, hat mich schließlich zu einem Bild gebracht: Ein Boot, das den Launen des Mittelmeeres ausgeliefert ist… nicht zu enträtseln… die Gesetze sind nicht nur bigott und absurd; ich würde hinzufügen, sie sind widersprüchlich, vergewaltigen die Seelen der besonders Schutzbedürftigen; sie sind ohne Mitleid und, keine Frage, sie sind rassistisch. All das ist leider LEGALISIERT!! Und dann empören wir uns und wundern uns, dass die Migrant*innen, kaum angekommen, abhauen, ohne geduscht oder gegessen zu haben; offensichtlich ist das immer die Schuld der Schlepper… für heute haben wir diese Entschuldigung, ich möchte wissen, was wir morgen erfinden.“
Albert Biondo
Borderline Sicilia Onlus
*CARA – Centro di accoglienza per richiedenti asilo: Aufnahmezentrum für Asylsuchende
*UNHCR – UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge
*CAS – Centro di accoglienza straordinaria – außerordentliches Aufnahmezentrum
*HUB – aus dem Englischen: "Sammelpunkt", so sollen die neuen Verteilzentren für Asylsuchende heißen
Übersetzung aus dem Italienischen von Rainer Grüber