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Mittwoch, 7. Oktober 2015

Ein Besuch im CAS* „La città del sole“ von Piazza Armerina

Aktuell zählt Piazza Armerina drei CAS* für circa 100 Asylsuchende. Bis Dezember vergangenen Jahres verfügte die Gemeinde zusätzlich über ein viertes außerordentliches Aufnahmezentrum, welches in einem Seitengebäude des Hotels „Park Paradiso“ untergebracht war. Dieses fungierte als Ort der direkten Aufnahme, von welchem aus die Asylsuchenden anschließend in die verschiedenen CAS* der Provinz Enna verteilt wurden.
Aufgrund der Verwicklung des Betreibers des vier Sterne Hotels bei den Ermittlungen der Mafia Capitale, hat auch der Gebäudeteil, welcher als Aufnahmezentrum diente, im Dezember wieder seine ursprüngliche Funktion als Hotel aufgenommen. Wir wissen nicht, ob in Anbetracht der oben genannten Ereignisse, die Anordnung des Präfekten bereits widerrufen  wurde oder ob die Präfektur von Enna es vermieden hat die Verlängerung der abgelaufenen Anordnung anzuerkennen.

Am 29. September haben wir das Erstaufnahmezentrum besucht, welches von der Kooperative aus Catania Infomedia „Città del sole“ betrieben wird. Diese befindet sich im historischen Zentrum von Piazza Armerina in einem alten mehrstöckigen Geschäftsgebäude, welches vor Jahren geschlossen wurde.
Am Eingang befindet sich eine Art Rezeption. Hier treffe ich den Koordinator des Zentrums, der sich sofort sehr hilfsbereit zeigt und meine Fragen beantwortet und mir die Einrichtung zeigt. Wir gehen in sein Büro, wo sich nach einigen Minuten einige der jungen Gäste zu uns gesellen. Sie scheinen sich wohl zu fühlen und dies ist offensichtlich ein vertrauter Ort für sie. Im Laufe des Interviews mit dem Koordinator frage ich sie nach der tatsächlichen Existenz und der Qualität der Dienste von welchen mein Gesprächspartner mir berichtet. Die Gäste bestätigen (fast) alle seine Aussagen. Sie geben an sich wohl und in einem familiären Umfeld zu fühlen und spaßen mit dem Koordinator.
Weitere Gäste erreichen das Büro und beteiligen sich an unseren Gesprächen. Sie alle sind auf dem Weg zur Schule.
Dieses ist die erste positive Anmerkung die ich machen kann: Alle Gäste in diesem Zentrum sind in der dritten Klasse der Mittelschule eingeschrieben. Zusätzlich haben alle im vergangenen Jahr das L2 Zertifikat (Sprachzertifikat für Italienisch als Fremdsprache) erlangt und nicht nur das.
An dieser Stelle erscheint es sinnvoll anzumerken, dass dieses CAS* seit Februar 2014 aktiv ist und die Leitung über eine direkte Auftragserteilung übergeben wurde. Die erste Ausschreibung der Präfektur von Enna erfolgte erst im vergangenen Juni und man wartet aktuell noch auf die Veröffentlichung der Auftragsverteilung.
„La città del sole“ herbergt im Moment 23 Asylsuchende, alle asiatischer Herkunft (20 Pakistani und drei Gäste aus Bangladesch). Die meisten von ihnen haben das Zentrum unmittelbar nach seiner Eröffnung bezogen, nachdem sie zuvor circa zwei Monate im Hotel „Park Paradiso“ untergebracht waren.
Alle Gäste haben im Zeitraum von April bis Mai vergangenen Jahres eine Anhörung mit der „neo Territorialkommission“ von Enna gehabt (welche am 25. März ins Leben gerufen wurde und seit April aktiv ist).
Folglich beträgt auch in diesem Fall die Wartezeit für die Prüfung der Anträge im Schnitt 14 Monate. Zusätzlich sind die Ergebnisse sehr entmutigend, da bis auf eine Ausnahme (ein Gast ist unter humanitären Schutz gestellt worden) alle Anträge abgelehnt wurden. Nun überbrücken sie die Zeit der Berufung. Eine Entscheidung ist bestenfalls in vier Monaten zu erwarten.
„Sie haben 14 Monate gewartet und nun müssen sie weitere sechs Monate aufgrund des Berufungsverfahrens warten. Das bedeutet, dass sie zwei Jahre ihres Lebens im Zentrum mit Warten verbringen“, beschreibt der Zentrumskoordinator die Situation. Er berichtet von Spannungen, die sich aufgrund der kritischen Lage gebildet haben, welche schließlich dank großer Vermittlungsanstrengungen auf beiden Seiten gelöst werden konnten. In diesem Zusammenhang haben die Gäste einen Verantwortlichen gewählt, welcher als „Sprecher“ in den wichtigsten Angelegenheiten fungieren soll.
Im Bezug auf die Kritik an der Kommission und den Ablehnungen, erkundige ich mich bei meinen Gesprächspartner, ob es Rechtsberatung gibt. Er erklärt mir, dass zu anfangs Gruppentreffen zum Thema Asylrecht, Schutzmöglichkeiten und Aufnahmesystem stattgefunden haben. Als ich ihn frage, wie viele von diesen Treffen stattgefunden haben, nimmt er ein entsprechenden Dokument in die Hand, auf welchem auch die Teilnehmer aufgeführt sind: „Sieben. Es haben sieben Gruppentreffen stattgefunden“, berichtet er.
Er weißt daraufhin, dass im Anschluss an die Gruppentreffen auch Einzeltreffen zur Vorbereitung der Untersuchungen stattgefunden haben, bei denen den Asylsuchenden die Zusammensetzung der Untersuchung, ihr Ablauf, die Anhörung, die bestehenden Rechte innerhalb des Untersuchungsverfahrens und die Bedeutung einer vertrauenswürdigen Übersetzung erklärt wurden.
Vom Italienischkurs, welcher dreimal die Woche von 10 bis 12 Uhr stattfindet, berichtet er mir, dass sich die Schüler weigern morgens zu Unterrichtsbeginn zu erscheinen. Auch in diesem Fall nimmt er ein Papier zur Hand, welches die Teilnehmerzahlen zeigt und bestätigt, dass es nicht eine erfreuliche Unterrichtsstunde gegeben hat, nicht einmal heute: Gerademal ein Schüler ist erschienen und im Schnitt sind es am Tag circa fünf Schüler. Der Italienischkurs wird von einem der drei Mitarbeiter geleitet, welcher zusammen mit einem Sozialarbeiter und einem Vermittler neben dem Koordinator, mit dem ich gerade spreche, das verantwortliche Personal des Zentrums bildet.
Es gibt keine Psychologin, aber es wird mir erklärt, dass sie im Notfall gerufen wird, wenn der Sozialarbeiter im Einzelgespräch die Notwendigkeit sieht. Ich frage nach einem konkreten Beispiel und der Koordinator berichtet mir, dass vor einiger Zeit während des ersten Gesprächs ein Sozialarbeiter ein schweres Reisetrauma bei einem Gast festgestellt hatte, welches noch nicht entdeckt worden war. Es wurde folglich die Psychologin eingeschaltet, die mit dem Zentrum zusammenarbeitet, welche die Behandlung des Betreffenden aufgenommen hat. Ich frage ihn, ob er mir sagen kann, wie viele dieser Sitzungen stattgefunden haben. Er kann es mir nicht sagen, sucht aber nach der Akte des Gastes und zeigt mir eine Karteikarte, welche bescheinigt, dass insgesamt sechs Sitzungen stattgefunden haben. Ich frage ihn, ob die Zentralbehörde informiert wurde, um den Gast in ein SPRAR* zu übermitteln, aber er antwortet dass man es zu anfangs probiert hatte, aber das sich der Gesundheitszustand des Gastes verbessert habe und er folglich im Zentrum geblieben sei.
Der Sozialarbeiter kümmert sich um die Abwicklung aller Formalitäten im Bezug auf Aufenthaltsdokumente, Ausweise und die Gesundheitsfürsorge. Um die Situation jedes einzelnen Gastes unter Kontrolle zu behalten, hat er Karteikarten entwickelt, in welchen die Daten des entsprechenden Gastes aufgeführt sind: Gesundheitszustand, persönlicher und familiärer Hintergrund, Migrationsgeschichte, mögliche Krankheiten und andere Problematiken, festgestellte Bedürfnisse, Bildungsstand und Arbeitserfahrungen.
Wieder ist es der Koordinator, der mir spontan ein Beispiel einer solchen Karteikarte zeigt, indem er sie aus einer der Akten, welche alle Informationen eines jeweiligen Gastes enthalten, herausnimmt. Die Akte enthält unter anderem Kopien der persönlichen Dokumente, Zertifikate erfolgreich absolvierter Kurse und neben dem L2-Zertifikat aus dem Vorjahr, verfügen alle Gäste über eine Teilnahmebestätigung an einem Erste Hilfe Kurs.
Das Essen wird von einem externen Catering Service geliefert, was in der Vergangenheit nicht selten zu Problemen geführt hat. Die Gäste würden ihr Essern gern selbst zubereiten, jedoch gibt es innerhalb des Zentrums keine Küche. So hatte man versucht den Bedürfnissen letzterer entgegenzukommen und zugesichert diesen täglich ein Reisgericht zu servieren sowie die Mahlzeiten mit ihren traditionellen Gewürzen zu würzen. Ein schwacher Trost für jene, die lieber selbst kochen würden, um wenigstens diesen Teil eines normalen Lebens zurückzugewinnen. Nach Monaten der Vermittlung, wurde dieser Zustand schließlich friedlich von den Gästen akzeptiert.
Der kulturelle Mediator ist marokkanischer Abstammung, spricht englisch, französisch, arabisch, jedoch kein urdu, was die Kommunikation mit einem Großteil der Gäste erleichtern würde. Der Koordinator versichert mir, dass der Vermittler über eine zwanzigjährige Berufserfahrung verfügt. Da er die Arbeit im Aufnahmesektor gut kennt, ist er bereits von anderen Aufnahmezentren in Enna kontaktiert worden, um dort in Konfliktsituationen zu vermitteln. Dank seiner Englischkenntnisse und seiner Fähigkeit die Gäste in den Aufnahmezentren zu motivieren, versteht er sich auch gut mit den Verantwortlichen vor Ort.
Die Ausgehzeiten stehen zusammen mit den Verhaltensregeln, welche beim Einzug akzeptiert und unterschrieben werden müssen, am Ausgang des Gebäudes.
An dieser Stelle frage ich nach einem Bekleidungsdienst: Dieser wird zweimal im Jahr zum Jahreszeitenwechsel bereitgestellt. Der Koordinator erklärt mir, dass um den Gästen Freiheit bei der Auswahl ihrer Kleider zu lassen, eine Abmachung mit einem örtlichen Kleidungsgeschäft getroffen wurde. Auch in diesem Fall zeigt er mir Karteikarten, welche sowohl den  Kleidungsdienst dokumentieren, als auch die Verteilung von persönlichen Hygieneprodukten, welche verteilt werden sobald Notwendigkeit besteht.
Wir machen einen Gebäuderundgang: Die Zimmer sind angemessen und das Ambiente ist insgesamt angenehm. In einigen Zimmern zeigen sich jedoch die Spuren der Zeit. Die Gemeinschaftsräume sind sauber, während der Hygienezustand in einigen Zimmern und Bädern zu wünschen übrig lässt. Die Gemeinschaftsräume werden täglich von einer zuständigen Person gereinigt, welche einmal die Woche auch die Zimmer der Gäste sauber macht. Die verbleibenden Tage sind letztere selbst für die Sauberkeit ihrer Zimmer verantwortlich.
Anschließend wird uns das Obergeschoss gezeigt, wo im Falle des positiven Ausgangs einer Ausschreibung, an der die Kooperative teilgenommen hat,  weitere 46 Asylsuchende untergebracht werden sollen. Die Zimmer machen einen sauberen und gemütlichen Eindruck.
Im Bezug auf das „pocket money“ erfahre ich, dass dieses aufgrund einer Anordnung der Präfektur statt in Bargeld nur in Gutscheinen ausgezahlt wird, welche im Supermarkt, in Bars oder einem Pizzaservice eingelöst werden können, die sich allesamt im Stadtzentrum befinden.
In diesem Zusammenhang berichtet mir der Koordinator von einem Vorfall, bei dem der Betreiber einer örtlichen Pizzeria den Asylsuchenden zu verstehen gegeben hatte, dass diese in seinem Lokal nicht erwünscht seien, als diese dort ihr Abendessen einnehmen wollten. Leider stellt dies keine Ausnahme in Piazza Armerina dar, welche nur eine der vielen Städte in Italien ist, in der xenophobe Stimmen immer lauter werden. Mit ihren populistischen und panikverbreitenden Aussagen fördern sie Unterschriftenaktionen gegen die Präsenz der Migranten in der Stadt.
Bei ihrer jüngsten Aktion setzten sie sich gegen die Präsenz von 14 Asylsuchenden in einem unbewohnten Stadtteil ein, die dort im Rahmen eines Erstaufnahmeprojekts der Kooperative „Don Bosco“ untergebracht werden sollten. Auch die Lokalpresse leistet ihren Beitrag, indem sie in allarmierenden Tönen darauf hinweist, dass aufgrund der Tatsache, dass sich bereits 8 bis 10 Flüchtlinge in diesem Stadtteil befänden, die Gesamtzahl nun auf 24 angestiegen sei.
Trotz allem scheint das Leben der Gäste der „Città del Sole“ in der Stadt ruhig zu verlaufen. Jene, die ich dazu befrage, geben an, sich wohl in Piazza Armerina zu fühlen. Und tatsächlich, es scheint, als haben Struktur und Gäste die richtige Einstellung gefunden, um in der Stadt, oder zumindest in diesem Teil, willkommen zu sein!
Um mir ein Stimmungsbild zu machen, habe ich einige Stadtbewohner gefragt, was sie von der Aufnahmegemeinschaft halten und alle haben mir eine positive Rückmeldung gegeben, sofern man Antworten wie „uns fällt gar nicht auf, dass sie überhaupt da sind“ als positiv bewerten kann.
Die positiven Eindrücke, die ich von diesem Aufnahmezentrum gewonnen habe, machen deutlich: Wird den Verantwortlichen im Aufnahmesystem ein großer Handlungsspielraum gelassen, können einerseits außerordentliche Aufnahmezentren entstehen, die bessere Standards garantieren als die vieler SPRAR*-Projekte, während auf der anderen Seite einige SPRAR* ihre Standards auf die der außerordentlichen Aufnahmezentren herabsetzen.

Giovanna Vaccaro
Borderline Sicilia

*CAS – Centro di accoglienza straordinaria: außerordentliches Aufnahmezentrum
*SPRAR – Sistema di protezione per rifugiati e richiedenti asilo: Schutzsystem für Asylsuchende und Flüchtlinge, kommunales Aufnahmesystem auf freiwilliger Basis

Aus dem Italienischen von Giulia Coda