Inhalt:
- Die Zahl der Anlandungen wird nicht weniger und von den Toten will niemand sprechen.
- Die “schwarzen Löcher” in der Aufnahmemaschinerie werden von jenen getragen, die keine Alternative haben.
- Die neuen Beschlüsse der Europäischen Kommission: wie weiter in der europäischen Migrationspolitik?
- Bericht der parlamentarischen Untersuchungskommission über die CARA*, die Aufnahmezentren für Asylbewerber und die CIE*, die Abschiebehaftzentren
- Die Beobachtungsstelle Rassismus und Fremdenfeindlichkeit meldet aus Scordia: Senegalese mit Messerstichen im Gesicht verletzt.
DIE ZAHL DER ANLANDUNGEN WIRD NICHT WENIGER UND VON DEN TOTEN WILL NIEMAND
SPRECHEN
Allein während des letzten Maiwochenendes sind circa 3600 Migranten in Lampedusa und in den Häfen Siziliens in Trapani, Palermo, Porto Empedocle, Augusta, Catania und Pozzallo gelandet. Unter ihnen auch 17 unterwegs Verstorbene. Im Lichte der letzten Beschlüsse der Europäischen Kommission fragen wir uns, was diese Menschen, die keine andere Wahl als die Flucht haben, hier erwartet.
Allein während des letzten Maiwochenendes sind circa 3600 Migranten in Lampedusa und in den Häfen Siziliens in Trapani, Palermo, Porto Empedocle, Augusta, Catania und Pozzallo gelandet. Unter ihnen auch 17 unterwegs Verstorbene. Im Lichte der letzten Beschlüsse der Europäischen Kommission fragen wir uns, was diese Menschen, die keine andere Wahl als die Flucht haben, hier erwartet.
Wer
nach Italien kommt und auf Demokratie und Respekt vor dem menschlichen Leben
hofft, kann auch an Land sterben.
Von den immer zahlreicheren Opfern der
Katastrophen bei der Überfahrt erfahren wir aus den Medien. Aber es sterben
täglich auch Migranten in unserem Land, ohne dass darüber berichtet wird. Die
Heuchelei derer ist beschämend, die sie unsere Brüder nennen, es aber
gleichzeitig vorziehen, diese Todesfälle schnell zu vergessen – die die
wirklichen Fluchtgründe und die aktuelle Situation der Flüchtlinge nicht
verstehen wollen – genauso wenig wie unseren Anteil als Weltbürger an ihrem Schicksal.
Unter
diesen zahlreichen unsichtbaren Toten ist auch ein Jugendlicher aus Pakistan.
Er ist auf der Straße zwischen Pian del Lago und dem Aufnahmezentrum auf dem
Fahrrad angefahren worden und seinen Verletzungen erlegen. An seiner
Gedenkfeier war kein einziger offizieller Behördenvertreter anwesend. Diese
sind sich ihrer Mitverantwortung und der Konsequenzen nicht bewusst, welche ein
System hervorbringt, das die Aufnahmezentren weit abgelegen einrichtet, und die
nur durch schlecht unterhaltene Straßen mit den urbanen Zentren zu erreichen
sind. Das ist eines der unzähligen Beispiele für die Unterscheidung zwischen
Menschen der Kategorie A und B und dafür, dass man sich nicht einsetzt für die
Rechte und Integration der Flüchtlinge.
Das
Anwenden verschiedener Massstäbe scheint auch die Diskussion über die Bergung
des Wracks und der Opfer des Schiffsunglücks vom 18. April zu prägen. Deswegen
lancieren verschiedene Vereinigungen, unter ihnen Borderline Sicilia, folgenden
Appell:
die
Verwandten müssen ihren Toten eine würdige Bestattung bereiten können; die
Umstände für das Schiffsunglück müssen geklärt werden und die Organisatoren
dieser Reisen in den Tod müssen zur Verantwortung gezogen werden.
DIE
“SCHWARZEN LÖCHER” IN DER AUFNAHMEMASCHINERIE WERDEN VON JENEN GETRAGEN, DIE
KEINE ALTERNATIVE HABEN
Das
gleiche System, das den Toten im Meer den Rücken kehrt ist auch dabei, die
„Aufnahmemaschinerie“ auf prekäre Weise zu reorganisieren. Sie erhöhen die
Transfers der neu ankommenden Migranten in andere Regionen; eine höhere
Transparenz seitens der Präfekturen für die Beauftragung des Betriebes eines
Zentrums wird angestrebt. So werden neue Kooperativen als Betreiber der
Aufnahmestrukturen zugelassen. Oft haben diese jedoch weder Erfahrung noch
Kompetenzen auf dem Gebiet der Immigration. Zudem beginnen die neuen
Territorialkommissionen ihre Arbeit mit einer nicht zu rechtfertigenden
Langsamkeit und Verspätung. All das geht auf Kosten der Migranten, die in
Unsicherheit und Sorge über ihre Zukunft immer leichter Opfer der illegalen
Märkte werden.
Die
Erschwernisse wegen des Mangels an Mitteln und die Verspätungen der
Rückerstattungen machen den Kommunen und Aufnahmezentren zu schaffen, die
dadurch zu massiven Ausgabekürzungen gezwungen sind. Viele Betreiber erhalten
seit Monaten keinen Lohn, was ihre Arbeitsmotivation nicht erhöht. Die
Migranten erhalten oft nicht einmal ihr vom Gesetz zustehendes Taschengeld. In
dieser Kettenreaktion der finanziellen Interessen bezahlen die Flüchtlinge, die
keine Alternative haben, den höchsten Preis.
In
dieser Misswirtschaft der finanziellen Mittel, der auf ein Minimum reduzierten
Dienstleistungen und des Mangels an Kontrolle haben Spekulanten ein leichtes
Spiel. Das trifft auf Mitglieder der “Omnia Academy” zu, ein Unternehmen, das
verschiedene Empfangszentren in der Region von Agrigent betreibt, darunter auch
das in Favara. Gerade hier sind polizeiliche Untersuchungen in Gang. Es besteht
der Verdacht, das einige der Mitglieder an Betrügereien und Delinquenz
beteiligt sind. Die Betreiber hätten Abgänge aus den Zentren nicht gemeldet und
so Finanzierungen bezogen, die ihnen nicht mehr zustanden.
Sehr
verschieden davon ist ein Management, das als Ziel den Schutz und die Rechte
der Migranten hat. Die Kooperative Don Bosco 2000, die Betreiberin der Zentren
CAS und SPRAR* in Piazza Armerina haben
einen hohen Standard in den Zentren und bestreben damit die Integration der
Gäste in die Gesellschaft, in der sie leben. Trotz aller Trägheit des
bürokratischen Systems streben sie eine würdige Aufnahme an, die die Autonomie
für ein zukünftiges, neu aufzubauendes Leben fördert.
DIE
NEUEN BESCHLÜSSE DER EUROPÄISCHEN KOMMISSION: DIE NOTWENDIGKEIT SICH ZU
ENTSCHEIDEN
Die
neuen Beschlüsse der Europäischen Kommission zielen auf die Stärkung von
Frontex und auf die Festlegung von Quoten und ziemlich fragwürdigen Kriterien
für die Verteilung der Migranten in Europa.
Die
Versprechen für die Revision der Dublin Vereinbarungen bleiben vage und jene,
denen es gelingt, setzen ihre Reise fort. Viel zu Wenige sprechen von den
unmenschlichen Umständen auf den Fluchtwegen auch durch Europa, und wenn, dann
um die schlechte europäische Politik anzuprangern und den italienischen Anteil
daran vergessend, den unsere “Aufnahmemaschinerie” darin spielt.
Einige
Europaabgeordnete haben eine Interpellation eingereicht betreffend der
Vorkommnisse im CSPA* Pozzallo, dem Erstaufnahmezentrum nach der Ankunft. Im
April seien Flüchtlinge mit Gewalt und Elektroschocks gezwungen worden, ihre
Fingerabdrücke zu hinterlassen. Eine wichtige Massnahme um einen beunhigenden
Vorfall ans Licht zu bringen, der zeigt, wie überfällig die Dublin Abkommen
sind und wie ihre Anwendung in strukturelle oder manifeste Gewalt umschlagen
kann.
Aber
die erste staatliche Massnahme als Reaktion auf die Situation ist die Eröffnung
eines neuen Frontexsitzes in Catania. Ein Vorgehen, das zeigt, dass Sizilien
militarisiert und die Festung Europa abgeriegelt werden soll. Es werden
Investitionen in einer Stadt wie Catania getätigt, die gleichzeitig die Mittel
für die Integration der Flüchtlinge herunterfährt. Der Appell von humanitären
Vereinigungen, dass eine Veränderung der internationalen Migrationspolitik und
ein neues Recht für europäisches Asyl dringend ist.
DIE
PARLAMENTARISCHE KOMMISSION ÜBER CARA UND CIE IN SIZILIEN: DAS ZENTRUM IN MINEO
IST NICHT VEREINBAR MIT DER MENSCHENWÜRDE
Die
zuständige parlamentarische Kommission für die CARA und CIE kommt nach Sizilien
und beginnt ihren Besuch in Mineo, dem grössten Aufnahmezentrum Europas. Dort,
vor dem Zentrum, hat zum Anlass des 1. Mai eine antirassistische Vereinigung
zusammen mit einigen Migranten eine Versammlung organisiert. Das Misstrauen und
die Zurückhaltung der Flüchtlinge sich zu äußern, zeigt die Schwierigkeit, ein
System der Vergeltung und Ausbeutung aufzudecken, die verbunden sind mit den
Lebensbedingungen innerhalb des Aufnahmezentrums. Die lokalen Medien neigen
dazu, das zu ignorieren.
In
der Anhörung vor der parlamentarischen Kommission präsentieren die Vertreter
der MEDU, der Ärzte für Menschenrechte, die seit Monaten im Zentrum von Mineo
tätig sind, einen Bericht, der darlegt, dass die Organisation und die
Überbelegung tödliche Konsequenzen haben für das Leben der Migranten. In einer
Struktur mit mehr als 4000 Migranten statt der 2000 vorgesehenen, bekommen
verwundbare Personen nicht mehr die nötige Unterstützung. Weitere Faktoren,
welche die psychophysische Gesundheit der Flüchtlinge beeinträchtigen, sind:
das Fehlen der nötigen Dokumente für die Aufnahme ins nationale
Gesundheitssystem, die Abgelegenheit des Ortes und die Warteschlangen ohne Ende
für jeden Belang ihres täglichen Lebens.
Auch
der Abgeordnete der Partei Sel, “Linke, Oekologie und Freiheit”, begleitete die
parlamentarische Kommission auf ihrem Besuch. Er prangerte die absolute
Unzulänglichkeit innerhalb des Aufnahmezentrums an und forderte die totale
Transparenz der Administration seitens der Betreiber
Die
sizilianische Sektion der ASGI, der Vereinigung für juristische Studien der
Immigration, verfasst einen Brief an alle lokalen und nationalen Institutionen,
der Aufklärung verlangt über die Kritiken und Unterlassungen das
Aufnahmezentrum und die Wiederherstellung eines legalen Managements, sowie die
Gewährleistung der Sicherheit der Migranten fordert. ASGI hofft auf die
Rückkehr zum früheren Modell der kleinräumigen Unterbringung und mit national
gültigen Regeln zum Wohle und zur bestmöglichen Integration der Migranten.
BEOBACHTUNGSSTELLLE
RASSISMUS UND XENOPHOBIE: IN SCORDIA WIRD EIN JUNGER SENEGALES ANGEGRIFFEN
In
Scordia bei Catania wurde ein Senegalese aus dem lokalen SPRAR beim Verlassen
eines Nachtlokals mit einem Messer von Unbekannten niedergestochen. Sein
Gesicht musste mit 19 Stichen genäht werden. Offenbar haben die Angreifer Geld
verlangt. In einem Klima von Xenophobie und gesellschaftlicher Zerrissenheit
werden die Frustrationen oft an den Schwächeren und Verwundbaren ausgelassen.
*CARA - Centro di accoglienza per
richiedenti asilo: Aufnahmezentrum für Asylsuchende
*CIE - Centro di Identificazione
ed Espulsione: Abschiebehaft
*SPRAR - Sistema di protezione
per rifugiati e richiedenti asilo: Schutzsystem für Asylsuchende und
Flüchtlinge,
kommunales Aufnahmesystem auf freiwilliger Basis (keine staatliche
Verpflichtung), ca. 3000 - 3500 Plätze in ganz Italien. Soll zur Integration
der Flüchtlinge dienen.
*CSPA - Centro di Soccorso e
prima Accoglienza: Zentrum zur Ersten Hilfe und Erstaufnahme.
Übersetzung
aus dem Italienischen von Susanne Tassé Tagne
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