aibi.it – Wie ein Gepäckstück war
er eingepfercht auf einem der zahlreichen Wracks, die versuchen mit ihrer menschlichen
Fracht das Mittelmeer auf der Flucht vor der Verzweiflung zu überqueren.
Er ist dem Tode entronnen,
auf der Flucht vor einem Brand, der im libyschen Flüchtlingslager ausgebrochen
war, wo er sich zusammen mit 89 Migranten aus Somalia und Eritrea (unter ihnen
20 Frauen und 2 Kinder) befand. Er wurde dann auf ein kaputtes Gummiboot
verladen, auf dem die Flüchtlinge Italien erreichen wollten. Er hat seine
Mutter brennen sehen, denn sie ist dem Brand nach der Explosion einer
Gasflasche nicht entkommen. Vielleicht wird er Waise in einem fremden Land,
denn seine Mutter kämpft mit dem Leben im Zentrum für Brandverletzte von
Palermo. Und in dieser Situation ist ihm die Wärme einer familiären Betreuung
verweigert worden – wenn auch nur für ein paar Tage, einfach während der
Wartezeit auf die Entscheidung über sein zukünftiges Schicksal.
Giulio,
so wurde entschieden, dass der kleine Junge aus Eritrea heissen soll, ist etwa
2 ½ Jahre alt. Am Donnerstag, den 16. April ist er in der Nacht an Bord eines
Bootes der Guardia di Finanza (Zoll) in Lampedusa angekommen. Seine Seereise
begann in Libyen, wie die von Tausend anderen, die aus Syrien, aus Nordafrika
und aus Subsahara Afrika aufbrechen. Er hat es geschafft bis nach Lampedusa
trotz der traumatischen Umstände seiner Reise. Anders als eine junge Frau, die
sich auf dem gleichen Gummiboot befand. Sie ist an ihren Brandverletzungen
durch die Explosion im libyschen Lager auf der Überfahrt gestorben. Weitere 18
sind in Lampedusa angekommen, unter ihnen auch Giulio’s Mutter, die unverzüglich
mit dem Helikopter ins Krankenhaus von Palermo geflogen wurde, wo sie in der
Intensivstation gepflegt wird.
Der
Kleine wurde mit den anderen Migranten ins Erstaufnahmezentrum der Insel
gebracht, wo versucht werden sollte, eine passende Lösung für ein Kleinkind zu
finden. Diese Lösung ergab sich erst eine Woche später: am 22. April um 15 Uhr
wurde Giulio in eine Gemeinde verlegt, mit der Absicht, dass er seine Mutter
besuchen kann, sobald es ihr besser geht.
Aber
war es wirklich unvermeidlich, Giulio eine ganze Woche lang im
Erstaufnahmezentrum zu lassen mit allen andern Migranten? An einem unpassenden
Ort für ein Kind, und noch ungeeigneter für ein verlassenes Kleinkind dessen
Mutter um ihr Leben kämpft.
Die
Organisation “Amici dei Bambini /Freunde der Kinder” hat im Rahmen ihres
Projektes “ Bambini in Alto Mare / Kinder auf hoher See” sofort eine Familie
gefunden, die den kleinen Giulio aufgenommen hätte. Dafür wäre es nötig
gewesen, Giulio zuerst dem Sozialamt in Lampedusa zu melden, die ihn dann an
die betreuende Familie übergeben hätten.
Aber
auch in diesem Fall, wie in unzähligen anderen Fällen von unbegleiteten
minderjährigen Flüchtlingen (Minori Stranieri Non Accompagnati „Misna“) war
eine rasche Problemlösung nicht möglich. Die übliche schwerfällige Bürokratie
hat die zuständigen Institutionen wieder dazu gebracht, die bereits bestehende Einrichtung
der Familienplatzierung nicht zu berücksichtigen weil es einfacher war, das
Kind im Erstaufnahmezentrum zu lassen. Das Resultat? Giulio weint, er isst
nicht, er spielt nicht und er weigert sich, im Inneren des Zentrums zu bleiben.
Er will nach draussen und fixiert das Eingangstor in der Hoffnung, dass jemand,
den er kennt, eintritt. Wieviele andere Giulios braucht es noch, damit auch der
Staat die Unterbringung in Familien fördert, weil er erkennt, dass das die
beste Lösung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge ist?
Aus dem Italienischen von Susanne Tassé