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Montag, 20. April 2015

Ältere Asylbewerber müssen 24 Stunden vorm CARA* in Pian del Lago warten


Letzten Mittwoch hatten wir davon berichtet, wie 60 Migranten in der Nacht des 14. April in Palermo ankamen und am gleichen Morgen ins staatliche Zentrum für Asylsuchende (CARA) nach Pian del Lago gebracht wurden. Urplötzlich rühmte sich das CARA* mit der Verfügbarkeit von Dutzenden Plätzen, trotz der langen Liste von Asylantragstellern, die seit mehreren Wochen darauf warten aufgenommen zu werden.
Insbesondere über die Situation eines älteren Paares hatten wir informiert, die mit ihren Kindern seit einer Woche auf die Aufnahme vom zuständigen Asylzentrum warten. Nachdem sie dann vom Polizeipräsidium zu 15 Uhr einberufen wurden, befanden sie sich um 20 Uhr des gleichen Tages immer noch am Eingang des Zentrums.
Der Tag darauf erfuhren wir, dass sie immer noch da waren und dort die ganze Nacht verbracht hatten. Als sie sich zum Asylzentrum begaben, nahmen sie all ihr Gepäck mit, weil sie aufgrund der Einberufung überzeugt davon waren, aufgenommen zu werden. Vor Ort wurde ihnen dann gesagt, dass nur einen Platz für die Frau zur Verfügung steht. Es handelte sich um die gleichen Vorschlag, den man ihnen bereits am ersten Tag unterbreitete, als sie versuchten den Aufnahmeantrag zu stellen. Dieses Angebot hatten sie verständlicherweise abgelehnt, da die alte Frau nicht in der Lage ist alleine in das CARA zu gehen und  sich von ihrer ganzen Familie zu trennen. Außerdem lässt ihr gesundheitlicher Zustand keine vollständige Autonomie  zu, weil sie Schwierigkeiten mit der Fortbewegung hat und durchgängig auf familiäre Unterstützung angewiesen ist. Die Betreiber des Zentrum antworten auf diese zweite Zurückweisung der Lösung, die mal wieder keine Lösung darstellte, mit Gleichgültigkeit.
So blieben die zwei alten Personen die ganze Nacht und den darauffolgenden Morgen auf einem Stuhl vor dem Zentrum sitzen. Die einzigen Solidaritätsbekundungen kamen von einigen Landsmännern, die im Aufnahmezentrum leben, und von anderen außerhalb des Aufnahmezentrums, die den Protest der Söhne der Betroffenen unterstützten. Sie hatten sich gegen die inakzeptablen Aufnahmebedingungen aufgelehnt. Nicht einmal die Situation des Vaters - ein Mann über siebzig mit starken Rückenproblemen - wurde berücksichtigt.
Am gleichen Morgen war ein Mitglied der UNHCR vor Ort, um der Kommission der Region beizuwohnen. Uns ist unklar, weshalb dieses Mitglied nicht versucht hat eine Lösung für die extreme Situation der beiden älteren Flüchtlinge zu finden, deren Zustand sehr schlecht ist.
Um 15:30 Uhr des gleichen Tages sahen wir die zwei ältere Eheleute mit ihrem Sohn in ein Auto steigen. Wir hatten für den Moment die Illusion, dass sich nach der 24-stündigen Tortur endlich eine Lösung gefunden hätte, doch am selben Abend erfuhren wir, dass die Autofahrt in Wirklichkeit nur dazu diente, die Flüchtlinge ins Stadtzentrum zu bringen. Man hatte ihnen gesagt, dass man am Montag eine Lösung finden würde.
Es ist klar, dass die zwei älteren Leute mit ihrem bedenklichen Gesundheitszustand niemals zu Fuß die 5 Kilometer vom Asylzentrum zur Innenstadt hätten gehen können. Die Gegend ist tatsächlich ohne Anbindung zu öffentlichen Verkehrsmitteln und es existieren weder Gehwege noch Strassenbeleuchtung. Die Strasse ist erfahrungsgemäß sehr gefährlich und nicht passierbar, weshalb es bereits wiederholt zu Unfällen in der Gegend gekommen ist. Die Opfer sind immer die Asylbewerber des Asylzentrums, die gezwungen sind, diesen Weg zu Fuß zu gehen. Von September bis heute gab es gut drei Unfälle. Der Letzte ereignete sich letzte Woche (http://www.seguonews.it/cronaca/pian-lago-immigrato-investito-unauto-ricoverato-in-prognosi-riservata-santelia/ 
http://www.radiocl1.it/web/incidente-a-pian-del-lago-immigrato-investito/www.canicattiweb.com/2015/04/12/sicilia-investe-immigrato-e-non-presta-soccorso-denunciato-giovane-di-20-anni-a-caltanissetta/
)

Schließlich hat die Präfektur heute morgen endlich dafür gesorgt, dass die beiden Eheleute und eines ihrer Kinder in eine SPRAR* Einrichtung aufgenommen wurden. Die Einrichtung ist ein Projekt für Familien und wird von der Vereinigung “I Girasoli” betrieben.
Unterdessen gab es am Morgen neue Proteste durch Asylbewerber am Eingang des Asylzentrums in Pian del Lago. Es bleibt zudem noch immer ein Geheimnis, wie die plötzliche Verfügbarkeit von 60 Schlafplätzen die Schwierigkeiten und den hundertsten Notstand der von dem Innenministerium ausgerufen wurde. Wir befinden uns jetzt bereits seit 25 Jahren in diesem „Notstand“ angesichts des Migrationsflusses und bis heute hat man es nicht geschafft, eine vernünftige Migrations- und Aufnahmepolitik aufzustellen, die auf die realen Bedürfnisse eingeht.
Wenn sich eine Katastrophe, wie die von letzte Nacht, ereignet, und nur ein Flüchtling während seiner Reise nach Italien und Europa stirbt, sollten wir nicht nostalgisch zu den Militärschiffen im Mittelmeer schauen, die dort retten. Stattdessen sollten wir auf die Migrationspolitik und eine effektive Seenotrettung der Menschenrechte schauen, für die sowohl Italien als auch Europa nicht verantwortlich sein wollen. 

Giovanna Vaccaro

 
Borderline Sicilia Onlus

Aus dem Italienischen von Sebastian Frese


*CARA: Aufnahmezentrum für Asylsuchende
*SPRAR: Sistema di protezione per rifugiati e richiedenti asilo: Schutzsystem für Asylsuchende und Flüchtlinge, kommunales Aufnahmesystem auf freiwilliger Basis (keine staatliche Verpflichtung), ca. 3000 - 3500 Plätze in ganz Italien. Soll zur Integration der Flüchtlinge dienen.