Die Initiator_innen des Festivals, Juli 2013. |
Heute ist ein ruhiger Tag auf
Lampedusa. Doch die Ruhe trügt: Initiiert durch den lampedusanischen Verein
ASKAVUSA beginnt morgen das sechste Mal in Folge das Filmfestival
„LampedusaInFestival“ auf der kleinen Insel, die näher an Tunesien als
an Italien grenzt.
In den nächsten Tagen werden wir,
von borderline-europe, Menschenrechte ohne Grenzen e.V., an dieser
Stelle jeden Tag einen Beitrag zum Festival mit Bildern veröffentlichen, um Euch
über das Festival und unsere Arbeit vor Ort zu informieren. Heute nutzen wir
die Ruhe vor dem Ereignis, um Euch einen kurzen Einblick über die Geschichte
und zur Entstehung des Festivals zu geben.
Was und wer steckt hinter „LampedusaInFestival“
„LampedusaInFestival“ ist ein
inhaltsbezogenes Filmfestival, dass sich an Filmemacher_innen der ganzen Welt
richtet, die zum Anlass des Festivals ihre Filme für den transnationalen
Filmwettbewerb, der mit 650-350 Euro dotiert ist, einschicken können. Über
sechs Tage werden vor allem Filme gezeigt, die sich mit den Themen Migration
und Flucht auseinandersetzen. Doch „LampedusaInFestival“ ist mehr als das. Mehr
noch als ein Filmfestival ist „LampedusaInFestival“ ein sozial- und
gesellschafts-politisches Projekt, ins Leben gerufen durch den Verein ASKAVUSA,
der sich im Jahre 2009, aus Protest gegen die Erbauung eines zweiten
Auffanglagers für Geflüchtete auf Lampedusa, gegründet hat. Ziel der
Initiator_innen des Festivals war und ist es, Expert_innen, Aktivist_innen,
Journalist_innen, Künstler_innen und interessierte Menschen aus Europa und der
ganzen Welt, auf dieser kleinen Insel zwischen Nordafrika und der Europäischen
Union zusammenzubringen, um gemeinsam über die wohl wichtigsten und
bewegendsten Themen unserer heutigen Zeit zu diskutieren: Migration und Flucht.
Lampedusa als „sozialer Raum“ und (politisches) „Symbol“
Als „sozialer Raum“ ist Lampedusa
genau der richtige Ort für die Debatte über Flucht und Migration und genau der
richtige Ort für ein Festival dieser Art. Kaum ein anderer Ort in Europa steht
so symbolisch für Migration, als das „Tor zu Europa“ (Italienisch: Porta
d’Europa), als jene kleine Insel, etwa 140 Kilometer von Tunesien entfernt
und damit dem afrikanischen Kontinent näher als dem europäischen, mit etwa 280
Kilometern Entfernung zu Sizilien. Durch seine Nähe zu Nordafrika (Tunesien,
Marokko, Libyen) hat Lampedusa eine lange Einwanderungs- und Grenzregionsgeschichte
und das Thema Migration spielt seit Jahrzehnten eine prägende Rolle im Leben
der Inselbewohner_innen. Lampedusa, als europäische Grenzregion, ist zum einen
als Grenze Europas „Mittel zur Exklusion“ (Friese, Heidrun: Grenzen der
Gastfreundschaft. Die Bootsflüchtlinge von Lampedusa und die europäische Frage,
Bielefeld 2014: S. 48) und gleichzeitig ein Ort der Begegnung, wo Lampedusaner_innen
(die Bewohner Lampedusas), Tourist_innen und Migrant_innen als Menschen
aufeinandertreffen. Die Bewohner_innen der Insel haben in der Vergangenheit
bewiesen, was Gastfreundschaft bedeutet, wenn sie in Zeiten des
Notstands auf der Insel Geflüchtete mit Essen und Trinken versorgt haben, aber
rassistische Angriffe, vor allem im Jahr 2011, als etwa 5000 Tunesier_innen auf
der Insel untergebracht werden mussten und vor allem Silvio Berlusconi und die
Lega Nord mithilfe rassistischer Hetze die Menschen instrumentalisiert haben, haben
auch gezeigt, wo sich Grenzen der Gastfreundschaft aufzeigen können. „Lampedusa
steht der Imagination auch und gerade für die Furcht vor den schwarzen Massen
[sic!], Invasionen [sic!], Unkontrollierbarkeit [sic!], vor dem Verlust
nationalkultureller Identität [sic!] und zugleich auch für humanitäre
Anteilnahme, Mitgefühl, Philanthropie, Verletzlichkeit, Hilfe für die Opfer,
Solidarität und solche Entwürfe, die zugleich die Spannungen des Begriffs
Gastfreundschaft und die Konflikte um ihre Praktiken weitertragen.“ (Friese
2014: 31) „Öffentliche Aufmerksamkeit und Medienberichterstattung haben die
Insel aber auch zum Symbol für politische Aktivisten, Journalisten, Künstler
und mittlerweile auch zum bevorzugten Arbeitsfeld von Anthropologen gemacht,
die sich mit undokumentierter Mobilität im Mittelmeer beschäftigen.“ (Friese
2014: 30)
Im Zuge dessen versteht sich „LampedusaInFestival“
als Fest der Begegnung von Inselbewohner_innen und Gäst_innen von überall und
ist damit Anlass für Austausch und Diskussionen, über das defizitäre und
menschenunwürdige europäische Grenz- und
Migrationsregime, dass weiterhin mehr auf Abschottung, als eine „gastfreundschaftliche
Willkommenskultur“ setzt. „[Doch] ohne den Bezug auf diese konkreten Orte (wie
z.B. Lampedusa, Ergänzung der Autorin), ihre Akteure, die Gesten der
Gastfreundschaft und ihre Grenzen bleibt die Forderung nach Gastfreundschaft,
Gerechtigkeit und einer kosmopolitischen politischen Ordnung doch ein rein
akademisches Unterfangen.“ (Friese 2014: 35) Damit es nicht bei einer
akademischen Auseinandersetzung bleibt, versteht sich „LampedusaInFestival“
also als Fest des Austausches und des Zusammenkommens, um Strukturen gemeinsam
zu erkennen, nachzuvollziehen, die aktuellen Positionen im Diskurs um das
europäische Migrations- und Grenzregime auszutauschen und gemeinsame,
transnationale Lösungsansätze und Vernetzungsmöglichkeiten gegen das derzeitig
vorherrschende und menschenverachtende Grenzregime Europas zu finden. Ziel ist
es dabei vor allem die Inselbewohner_innen in das Festival und den Diskurs miteinzubeziehen,
da diese paradoxerweise keinerlei Berührungspunkte mit den Migrant_innen auf
der Insel haben, bis auf den Ausnahmezustand 2011 und die ‚No
Fingerprint’-Demonstrationen, bei denen die Migrant_innen im Sommer 2013 das
Lager verlassen hatten.
Thema: ‚Militarisierung der Außengrenzen Europas’
„Was ‚am Rande’ des
Nationalstaats, am Rande Europas geschieht ist lange schon in das ‚Zentrum’
Europas gerückt. Grenzen, die Formen und Praktiken ihrer Administration und
Überwachung haben sich im Prozess der Globalisierung verändert und die
gegenwärtige Sicherheitsobsession kann sich auf eindrucksvolle neue
Technologien verlassen: Roboter, Drohnen, biometrische Messung, internationale
Datenvernetzung, der Einsatz elektronischer Instrumente, die ja auch in den
neuen internationalen Polizeiaktionen und deterritorialisierten Kriegen
eingesetzt werden, geben Grenzen eine neue Dimension.“ (Friese 2014: 49)
Nachdem bei dem Unglück vom 3.
Oktober 2013, 366 Menschen unmittelbar vor der Küste Lampedusas in den Tod
gerissen wurden; und die EU kein weiteres „Wegsehen“ mehr tolerieren durfte,
sondern handeln musste, da dem Unglück ein medialer Aufschrei folgte und in
Folge dessen eine zivilgesellschaftliche Aufmerksamkeit, die von den
europäischen Politiker_innen nicht ignoriert werden konnte; reagierte die
italienische Regierung mit der (Militär-)Seenotrettungsaktion „Mare Nostrum“,
um einerseits das fortdauernde Sterben der Menschen im Mittelmeer vor den
Küsten Italiens zu verhindern, andererseits gilt „Mare Nostrum“ der Kontrolle
der sogenannten ‚irregulären Migration“ nach Italien, bzw. Europa. Nicht-Regierungsorganisationen,
so auch borderline-europe, Menschenrechte ohne Grenzen e.V., kritisieren
allerdings die Seenotrettung durch das italienische Militär (auch wenn dadurch
viele Menschen gerettet werden können), da damit ein eindeutiges Signal der Abwehr,
Abschottung und Ausgrenzung an die Migrant_innen gesendet wird. Die EU an sich
hat bis dato noch nicht reagiert. Nachdem die Aktion M.N. im November 2014
voraussichtlich auslaufen wird, tritt an deren Stelle die FRONTEX-Mission
„Triton“, auch als „Frontex Plus“ bezeichnet, die noch eindeutiger als M.N. auf
die Abschreckung der ‚irregulären Migrant_innen’ setzen wird, so die
Befürchtungen der NGO’s. Thema ist damit auch die Verlagerungen der
nationalstaatlichen Grenzen der Länder ‚innerhalb’ Europas nach ‚außen’ an die
Außengrenzen Europas und die Exterritorialisierung der europäischen Grenzen an
Anrainerstaatengrenzen, wie z.B. die Küsten Tunesiens und Libyens, mithilfe von
‚Rücknahmeabkommen’ und ‚Freundschaftsverträgen’ mit den jeweiligen Regierungen
der außereuropäischen Länder.
Passend zum Thema, ist auch das
Thema der sechsten Edition von „LampedusaInFestival“ die Militarisierung der
Außengrenzen Europas.
Expert_innen, Aktivist_innen,
Jounalist_innen, Migrant_innen, Lampedusaner_innen, Tourist_innen und interessierte
Menschen werden sechs Tage diskutieren, über transnationale Möglichkeiten der
Vernetzung gegen das europäische Grenzregime. NGO’s und Initiativen, wie
Boats4People, Migreurop, NoMuos, borderline-europe, die Initiator_innen und
Gastgeber_innen des Kollektivs ASKAVUSA, Filmemacher_innen, Refugee-Aktivst_innen
der Gruppe „Lampedusa in Hamburg“, aktive Einzelpersonen und weitere
Aktivist_innen beteiligen sich an dem Festival mit Vorträgen, Filmbeiträgen,
Podiumsdiskussionen, Konzerten, Fotoausstellungen und Vielem mehr und werden
für einen lebhaften Austausch und Diskurs sorgen, rund um die Frage:
Wie zusammen
leben?*
Come con-vivere?
How to live-together?
*(Friese 2014: 37, zitiert nach Roland Barthes 2007).
Come con-vivere?
How to live-together?
*(Friese 2014: 37, zitiert nach Roland Barthes 2007).
Text: Alexa
Magsaam //borderline-europe, Menschenrechte ohne Grenzen e.V.
Foto: Alessia Capasso (2013)