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Mittwoch, 24. September 2014

Tagebuch auf Lampedusa[InFestival]: Ein Tag vor dem Festival


Die Initiator_innen des Festivals, Juli 2013.
Heute ist ein ruhiger Tag auf Lampedusa. Doch die Ruhe trügt: Initiiert durch den lampedusanischen Verein ASKAVUSA beginnt morgen das sechste Mal in Folge das Filmfestival „LampedusaInFestival“ auf der kleinen Insel, die näher an Tunesien als an Italien grenzt.

In den nächsten Tagen werden wir, von borderline-europe, Menschenrechte ohne Grenzen e.V., an dieser Stelle jeden Tag einen Beitrag zum Festival mit Bildern veröffentlichen, um Euch über das Festival und unsere Arbeit vor Ort zu informieren. Heute nutzen wir die Ruhe vor dem Ereignis, um Euch einen kurzen Einblick über die Geschichte und zur Entstehung des Festivals zu geben.

Was und wer steckt hinter „LampedusaInFestival“

„LampedusaInFestival“ ist ein inhaltsbezogenes Filmfestival, dass sich an Filmemacher_innen der ganzen Welt richtet, die zum Anlass des Festivals ihre Filme für den transnationalen Filmwettbewerb, der mit 650-350 Euro dotiert ist, einschicken können. Über sechs Tage werden vor allem Filme gezeigt, die sich mit den Themen Migration und Flucht auseinandersetzen. Doch „LampedusaInFestival“ ist mehr als das. Mehr noch als ein Filmfestival ist „LampedusaInFestival“ ein sozial- und gesellschafts-politisches Projekt, ins Leben gerufen durch den Verein ASKAVUSA, der sich im Jahre 2009, aus Protest gegen die Erbauung eines zweiten Auffanglagers für Geflüchtete auf Lampedusa, gegründet hat. Ziel der Initiator_innen des Festivals war und ist es, Expert_innen, Aktivist_innen, Journalist_innen, Künstler_innen und interessierte Menschen aus Europa und der ganzen Welt, auf dieser kleinen Insel zwischen Nordafrika und der Europäischen Union zusammenzubringen, um gemeinsam über die wohl wichtigsten und bewegendsten Themen unserer heutigen Zeit zu diskutieren: Migration und Flucht.

Lampedusa als „sozialer Raum“ und (politisches) „Symbol“

Als „sozialer Raum“ ist Lampedusa genau der richtige Ort für die Debatte über Flucht und Migration und genau der richtige Ort für ein Festival dieser Art. Kaum ein anderer Ort in Europa steht so symbolisch für Migration, als das „Tor zu Europa“ (Italienisch: Porta d’Europa), als jene kleine Insel, etwa 140 Kilometer von Tunesien entfernt und damit dem afrikanischen Kontinent näher als dem europäischen, mit etwa 280 Kilometern Entfernung zu Sizilien. Durch seine Nähe zu Nordafrika (Tunesien, Marokko, Libyen) hat Lampedusa eine lange Einwanderungs- und Grenzregionsgeschichte und das Thema Migration spielt seit Jahrzehnten eine prägende Rolle im Leben der Inselbewohner_innen. Lampedusa, als europäische Grenzregion, ist zum einen als Grenze Europas „Mittel zur Exklusion“ (Friese, Heidrun: Grenzen der Gastfreundschaft. Die Bootsflüchtlinge von Lampedusa und die europäische Frage, Bielefeld 2014: S. 48) und gleichzeitig ein Ort der Begegnung, wo Lampedusaner_innen (die Bewohner Lampedusas), Tourist_innen und Migrant_innen als Menschen aufeinandertreffen. Die Bewohner_innen der Insel haben in der Vergangenheit bewiesen, was Gastfreundschaft bedeutet, wenn sie in Zeiten des Notstands auf der Insel Geflüchtete mit Essen und Trinken versorgt haben, aber rassistische Angriffe, vor allem im Jahr 2011, als etwa 5000 Tunesier_innen auf der Insel untergebracht werden mussten und vor allem Silvio Berlusconi und die Lega Nord mithilfe rassistischer Hetze die Menschen instrumentalisiert haben, haben auch gezeigt, wo sich Grenzen der Gastfreundschaft aufzeigen können. „Lampedusa steht der Imagination auch und gerade für die Furcht vor den schwarzen Massen [sic!], Invasionen [sic!], Unkontrollierbarkeit [sic!], vor dem Verlust nationalkultureller Identität [sic!] und zugleich auch für humanitäre Anteilnahme, Mitgefühl, Philanthropie, Verletzlichkeit, Hilfe für die Opfer, Solidarität und solche Entwürfe, die zugleich die Spannungen des Begriffs Gastfreundschaft und die Konflikte um ihre Praktiken weitertragen.“ (Friese 2014: 31) „Öffentliche Aufmerksamkeit und Medienberichterstattung haben die Insel aber auch zum Symbol für politische Aktivisten, Journalisten, Künstler und mittlerweile auch zum bevorzugten Arbeitsfeld von Anthropologen gemacht, die sich mit undokumentierter Mobilität im Mittelmeer beschäftigen.“ (Friese 2014: 30)

Im Zuge dessen versteht sich „LampedusaInFestival“ als Fest der Begegnung von Inselbewohner_innen und Gäst_innen von überall und ist damit Anlass für Austausch und Diskussionen, über das defizitäre und menschenunwürdige europäische Grenz-  und Migrationsregime, dass weiterhin mehr auf Abschottung, als eine „gastfreundschaftliche Willkommenskultur“ setzt. „[Doch] ohne den Bezug auf diese konkreten Orte (wie z.B. Lampedusa, Ergänzung der Autorin), ihre Akteure, die Gesten der Gastfreundschaft und ihre Grenzen bleibt die Forderung nach Gastfreundschaft, Gerechtigkeit und einer kosmopolitischen politischen Ordnung doch ein rein akademisches Unterfangen.“ (Friese 2014: 35) Damit es nicht bei einer akademischen Auseinandersetzung bleibt, versteht sich „LampedusaInFestival“ also als Fest des Austausches und des Zusammenkommens, um Strukturen gemeinsam zu erkennen, nachzuvollziehen, die aktuellen Positionen im Diskurs um das europäische Migrations- und Grenzregime auszutauschen und gemeinsame, transnationale Lösungsansätze und Vernetzungsmöglichkeiten gegen das derzeitig vorherrschende und menschenverachtende Grenzregime Europas zu finden. Ziel ist es dabei vor allem die Inselbewohner_innen in das Festival und den Diskurs miteinzubeziehen, da diese paradoxerweise keinerlei Berührungspunkte mit den Migrant_innen auf der Insel haben, bis auf den Ausnahmezustand 2011 und die ‚No Fingerprint’-Demonstrationen, bei denen die Migrant_innen im Sommer 2013 das Lager verlassen hatten.

Thema: ‚Militarisierung der Außengrenzen Europas’

„Was ‚am Rande’ des Nationalstaats, am Rande Europas geschieht ist lange schon in das ‚Zentrum’ Europas gerückt. Grenzen, die Formen und Praktiken ihrer Administration und Überwachung haben sich im Prozess der Globalisierung verändert und die gegenwärtige Sicherheitsobsession kann sich auf eindrucksvolle neue Technologien verlassen: Roboter, Drohnen, biometrische Messung, internationale Datenvernetzung, der Einsatz elektronischer Instrumente, die ja auch in den neuen internationalen Polizeiaktionen und deterritorialisierten Kriegen eingesetzt werden, geben Grenzen eine neue Dimension.“ (Friese 2014: 49)

Nachdem bei dem Unglück vom 3. Oktober 2013, 366 Menschen unmittelbar vor der Küste Lampedusas in den Tod gerissen wurden; und die EU kein weiteres „Wegsehen“ mehr tolerieren durfte, sondern handeln musste, da dem Unglück ein medialer Aufschrei folgte und in Folge dessen eine zivilgesellschaftliche Aufmerksamkeit, die von den europäischen Politiker_innen nicht ignoriert werden konnte; reagierte die italienische Regierung mit der (Militär-)Seenotrettungsaktion „Mare Nostrum“, um einerseits das fortdauernde Sterben der Menschen im Mittelmeer vor den Küsten Italiens zu verhindern, andererseits gilt „Mare Nostrum“ der Kontrolle der sogenannten ‚irregulären Migration“ nach Italien, bzw. Europa. Nicht-Regierungsorganisationen, so auch borderline-europe, Menschenrechte ohne Grenzen e.V., kritisieren allerdings die Seenotrettung durch das italienische Militär (auch wenn dadurch viele Menschen gerettet werden können), da damit ein eindeutiges Signal der Abwehr, Abschottung und Ausgrenzung an die Migrant_innen gesendet wird. Die EU an sich hat bis dato noch nicht reagiert. Nachdem die Aktion M.N. im November 2014 voraussichtlich auslaufen wird, tritt an deren Stelle die FRONTEX-Mission „Triton“, auch als „Frontex Plus“ bezeichnet, die noch eindeutiger als M.N. auf die Abschreckung der ‚irregulären Migrant_innen’ setzen wird, so die Befürchtungen der NGO’s. Thema ist damit auch die Verlagerungen der nationalstaatlichen Grenzen der Länder ‚innerhalb’ Europas nach ‚außen’ an die Außengrenzen Europas und die Exterritorialisierung der europäischen Grenzen an Anrainerstaatengrenzen, wie z.B. die Küsten Tunesiens und Libyens, mithilfe von ‚Rücknahmeabkommen’ und ‚Freundschaftsverträgen’ mit den jeweiligen Regierungen der außereuropäischen Länder.

Passend zum Thema, ist auch das Thema der sechsten Edition von „LampedusaInFestival“ die Militarisierung der Außengrenzen Europas.

Expert_innen, Aktivist_innen, Jounalist_innen, Migrant_innen, Lampedusaner_innen, Tourist_innen und interessierte Menschen werden sechs Tage diskutieren, über transnationale Möglichkeiten der Vernetzung gegen das europäische Grenzregime. NGO’s und Initiativen, wie Boats4People, Migreurop, NoMuos, borderline-europe, die Initiator_innen und Gastgeber_innen des Kollektivs ASKAVUSA, Filmemacher_innen, Refugee-Aktivst_innen der Gruppe „Lampedusa in Hamburg“, aktive Einzelpersonen und weitere Aktivist_innen beteiligen sich an dem Festival mit Vorträgen, Filmbeiträgen, Podiumsdiskussionen, Konzerten, Fotoausstellungen und Vielem mehr und werden für einen lebhaften Austausch und Diskurs sorgen, rund um die Frage: 

Wie zusammen leben?*

Come con-vivere?

How to live-together?

*(Friese 2014: 37, zitiert nach Roland Barthes 2007). 


Text: Alexa Magsaam //borderline-europe, Menschenrechte ohne Grenzen e.V.
Foto: Alessia Capasso (2013)